Année politique Suisse 1999 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Berufsbildung
Im Frühjahr schickte der Bundesrat ein neues Berufsbildungsgesetz in die Vernehmlassung. Der Gesetzesentwurf hielt am dualen System der Berufsbildung – Lehrstelle und Schule – fest, strebte eine erhöhte vertikale und horizontale Durchlässigkeit unter den Angeboten an und regelte neu auch die Lehrgänge im Sozial-, Gesundheits- und künstlerischen Bereich. Die Berufsbildung wurde darin als Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und Privatwirtschaft definiert. Nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist im Oktober zeigte sich in allen Stellungnahmen nebst einer grundsätzlich guten Aufnahme des Entwurfs Kritik an der Regelung der Finanzierung. Mehrkosten, die der Bund auf die Kantone abwälzen wolle, seien durch mehr Autonomie für die Kantone abzugelten, meinte die FDP. Nach Ansicht der SP müssten sowohl Bund wie Kantone zusätzliche Mittel einfliessen lassen; ausserdem sei der gesamte Bildungsbereich in einem Departement zusammenzufassen. Die Kritik der CVP zielte gegen die unklare Ausweisung des künftigen Finanzbedarfs, die Unausgewogenheit der Kostenverteilung zwischen Bund und Kantonen sowie die fehlende Kohärenz zwischen dieser Vorlage und dem Projekt des Neuen Finanzausgleichs. Diesen Vorwurf erhob auch die SVP und äusserte sich zudem gegenüber dem geplanten branchenbezogenen Berufsbildungsfonds skeptisch. Auch die EDK äusserte sich positiv zu den Grundzügen des Entwurfs, bezeichnete aber die Angaben zu den Mehrkosten als lückenhaft. Nach Ansicht der kantonalen Erziehungsdirektoren müsse vor einer Weiterbearbeitung des Gesetzesentwurfs eine seriöse Kostenrechnung vorlegt werden. Vom Bund seien künftig 30 Prozent des öffentlichen Aufwands für die Berufsbildung zu übernehmen und nicht nur 18,3 Prozent, wie dies gegenwärtig der Fall ist [27].
Ohne Gegenstimmen genehmigten beide Räte den Bundesbeschluss über die Finanzierung der Berufsbildung (Betriebsbeiträge) in den Jahren 2000-2003 im Rahmen der Sammelbotschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Technologie [28].
Der Nationalrat überwies eine Motion Rychen (svp, BE) als Postulat, welche die Schaffung eines Bundesamtes für Berufsbildung gefordert hatte. Im Rahmen eines eigenen Bundesamtes werde es gemäss Rychen möglich sein, die notwendige enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat effizienter und zielgerichteter zu gestalten [29]. Als Zweitrat überwies die kleine Kammer ihrerseits eine Motion Theiler (fdp, LU) zur Schaffung eines interaktiven Berufsinformationszentrums als Postulat beider Räte im Sinne einer Empfehlung [30].
Im Juni fand das zweite Schweizerische Lernfestival unter dem Motto „Eine Stunde lernen pro Tag“ statt. Von der Schweizerischen Vereinigung für Erwachsenenbildung (SVEB) und dem Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) initiiert, hatte das Festival zum Ziel, die Bevölkerung für die Wichtigkeit der Weiterbildung zu sensibilisieren – gerade in einer wirtschaftlichen Umbruchphase des verschärften Wettbewerbs und des veränderten Qualifikationsbedarfs auf dem Arbeitsmarkt. Ein vom BBT und vom BAK im Hinblick auf die Revision des Berufsbildungsgesetzes in Auftrag gegebener Bericht kam zum Schluss, dass das schweizerische Bildungssystem noch weit davon entfernt ist, dem lebenslangen Lernen genügend Rechnung zu tragen [31].
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Lehrstellen
Als Zweitrat genehmigte der Ständerat einstimmig den Lehrstellenbeschluss II (LSB), der auf eine parlamentarische Initiative Strahm (sp, BE) zurückging, welche von der nationalrätlichen WBK gutgeheissen und der grossen Kammer zur Annahme empfohlen worden war. Der LSB soll den im August 2000 auslaufenden ersten Lehrstellenbeschluss von 1997 ablösen. Zur Schaffung zusätzlicher Lehrstellen in anspruchsvollen Berufsfeldern wie dem High-Tech- oder Dienstleistungsbereich und für die Integration von Jugendlichen mit schulischen oder anderen Schwierigkeiten sah der LSB je 40 Mio Fr. vor; für die Motivation junger Frauen, in zukunftsträchtige „Männerberufe“ einzusteigen, sowie diverse Begleitmassnahmen waren im weiteren je 10 Mio Fr. eingeplant. Als Erstrat hatte die grosse Kammer entgegen dem Antrag des Bundesrats, vorerst nur 75 Mio Fr. für drei Jahre einzusetzen, der grosszügigeren Variante seiner WBK zugestimmt und den LSB schliesslich mit einem Kostendach von 100 Mio Fr. für vier Jahre beschlossen [32]. Die parlamentarische Initiative Strahm (sp, BE) zur Schaffung eines Anreizsystems für Lehrstellen wurde in der Folge auf Antrag der WBK als erfüllt abgeschrieben [33].
Das BBT präsentierte Mitte des Berichtsjahres die aktuellen Projekte zur Förderung der Berufslehre und gab zudem den Auftakt zur dritten nationalen Lehrstellenkampagne. Diese soll die „Türöffnungsfunktion“ der Berufslehre in Richtung Berufsmittelschulen und Fachhochschulen betonen und dabei insbesondere Mädchen ansprechen [34]. Im Herbst schätzte das BBT die Lage auf dem Lehrstellenmarkt besser ein als 1998. Von den verfügbaren Lehrstellen waren im August noch sieben Prozent nicht besetzt gewesen. 1999 standen gesamthaft 75 500 Lehrstellen im Angebot, 4000 mehr als im Vorjahr und 8500 mehr als 1997 [35].
Ende Oktober wurde die Lehrstellen-Initiative der Gewerkschaftsjugend und anderer Jugend-Organisationen „für ein ausreichendes Berufsbildungsangebot“ mit 113 032 gültigen Unterschriften eingereicht. Die Volksinitiative will allen Jugendlichen das Absolvieren einer Lehre ermöglichen. Dazu soll der Bund einen Fonds einrichten, der von jenen Unternehmungen gespiesen wird, welche keine oder zu wenig Lehrstellen anbieten [36]. Auf kantonaler Ebene waren diverse Lehrstelleninitiativen am laufen – mit dem Ziel, Anreize zur Einrichtung von Lehrstellen in Unternehmen zu schaffen: Die Jungliberalen des Kantons Solothurn lancierten eine entsprechende Gesetzesinitiative; im Kanton Basel-Stadt begann die FDP mit der Unterschriftensammlung, und im Kanton Zürich kam die Volksinitiative der FDP für eine Lehrstellengutschrift zustande. Hingegen verwarf die Aargauer Stimmbevölkerung die Volksinitiative „Lehre statt Leere“ mit über 60 Prozent der Stimmen per Volksabstimmung [37].
Laut einer an der Telenetcom-Messe im Mai vorgestellten Studie waren in der Schweiz 10 000 bis 40 000 Informatikerstellen unbesetzt  [38]. Den 800 Personen, welche jährlich eine entsprechende Ausbildung abschliessen, stünde eine Nachfrage nach 7000 bis 9000 Fachkräften pro Jahr entgegen. Andere Studien gingen von 12 000 bis 20 000 jährlich fehlenden Fachkräften aus. Angesichts dieses Mangels und des raschen Wachstums der Branche stiegen zahlreiche Telekommunikations-Unternehmen in die Lehrlingsausbildung ein, und entsprechende Lehrgänge schossen wie Pilze aus dem Boden. Die Hochschulen versuchten – vorerst sehr unkoordiniert – nachzuziehen [39]. Diskussionslos überwies der Nationalrat im Einvernehmen mit dem Bundesrat ein Postulat Theiler (fdp, LU) betreffend einer Ausbildungsoffensive im Informatikbereich. Eine gemeinsam mit interessierten Wirtschaftszweigen angestrengte Offensive soll das grosse Manko an Informatikspezialisten rasch wettmachen und auch Arbeitslose in Umschulungsprogramme einbeziehen [40].
 
[27] BBl, 1999, S. 3383; Presse vom 6.5. und 19.10.99; NZZ, 1.7., 14.10. und 10.12.99. 27
[28], S. Amtl. Bull. StR, 1999, S. 352; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1751. Zur Sammelbotschaft (BBl, 1999, S. 297 ff.) vgl. unten, Hochschulen. 28
[29] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1177. 29
[30] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 95 f. Vgl. SPJ 1998, S. 306. 30
[31] Bund, 3.5., 10.5. und 17.5.99; SGT, 11.5.99; NZZ, 27.5.99 (Beilage). Vgl. Lit. Schläfli / Gonon. Zur Qualitätssicherung an Berufsschulen siehe auch SHZ, 17.3.99 sowie die Anwort des BR auf die einfache Anfrage Weber (sp, AG) in Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1649 ff. 31
[32] BBl, 1999, S. 3087 ff. (Bericht der WBK); BBl, 1999, S. 3111 f. (Stellungnahme BR); Amtl. Bull. StR, 1999, S. 462 ff., 586 und 596; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 427 ff.; BBl, 1999, S. 5115 ff., 5192 und 9780 f.; NZZ, 19.3.99; Presse vom 9.3., 19.3. und 9.6.99. Vgl. SPJ 1997, S. 309 f. und 1998, S. 306. 32
[33] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 436 f. 33
[34] Presse vom 3.7.99. Vgl. SPJ 1998, S. 306. 34
[35] NZZ, 29.10.99. 35
[36] BBl, 1999, S. 9135 f.; NZZ, 21.10.99; Presse vom 27.10. und 11.11.99. Vgl. SPJ 1998, S. 306. Vgl. hierzu auch die Antwort des BR auf die Anfrage Weber (sp, AG) betreffend Massnahmen zur Generierung von Lehrstellen durch den Bund (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2333 f.). Zur Diskussion über finanzielle Entschädigungen an Betriebe, die Lehrlinge ausbilden bzw. zur Trittbrettfahrer-Problematik vgl. Bund 23.8.99. Zum Aufbau von Ausbildungsverbünden, in denen mehrere Firmen gemeinsam Lehrlinge ausbilden, vgl. BaZ, 28.8.99. 36
[37] BaZ, 30.2. und 18.3.99 (BS); SZ, 10.7.99 (SO); NZZ, 26.3. und 2.7.99 (ZH); AZ, 29.11.99. Vgl. SPJ 1998, S. 371 und 377 (AG). 37
[38] Betreffend Informatik-Ausbildungsprogramme in der obligatorischen Schulzeit sowie Schule und Internet siehe oben, Grundschulen. 38
[39] NZZ, 18.5.99; SHZ, 19.5.99; SGT, 5.7. und 18.12.99; NLZ, 12.7.99; LT, 20.7.99. Zur finanziellen Unterstützung von Forschungsprogrammen an Hoch- und Fachhochschulen durch private Telekommunikationsfirmen vgl. NZZ, 27.4.99, und zu den verschiedenen Angeboten im Bereich der Informatik-Ausbildung siehe NZZ, 21.9.99. Vgl. auch die Antwort des BR auf die Vorstösse Strahm (sp, BE) betreffend Mangel an ausgebildetem Informatikpersonal und Schaffung zusätzlicher Informatiklehrstellen beim Bund (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1393 ff.; Amtl. Bull. NR, 1999, Beilage, S. 169 f.; TA, 19.8.99). 39
[40] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1328. 40