Année politique Suisse 1999 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Kulturpolitik
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Kulturpolitik der Kantone und Städte
Was vor zwei Jahren als kulturhistorisches Geplänkel anfing, eskalierte in der Zwischenzeit zu einem ausgewachsenen Rechtshändel: der Kanton St. Gallen bekundete seine Bereitschaft, notfalls bis vor Bundesgericht zu gehen, um die ihm im Zweiten Villmergerkrieg von 1712 von den Berner und Zürcher Truppen entwendeten Bibliotheksschätze zurück zu erhalten. Während Bern das Raubgut bereits 1719 wieder nach St. Gallen überführt hat, lagern gewisse Objekte nach wie vor in Zürich, so etwa ein einmaliger Erd- und Himmelsglobus, der um 1570 angefertigt wurde, und der heute als Zürcher Leihgabe im Landesmuseum in Zürich ausgestellt ist [20].
In der Stadt Bern sorgte die Zukunft des autonomen Kulturzentrums Reitschule erneut für heisse Köpfe. Der Gemeinderat erklärte die im Vorjahr eingereichte Initiative „Reitschule für alle“, welche das Objekt in ein Einkaufszentrum mit kultureller Nebennutzung umwandeln möchte, wegen des erwarteten hohen Verkehrsaufkommens aus Umweltschutzgründen für ungültig. Er beantragte dem Stadtparlament einen Kreditrahmen von 7,74 Mio Fr. für die Sanierung der Dächer und Fassaden des Kulturzentrums. Gegen den Willen der FDP, der SVP und der Rechtsbürgerlichen wurde dieser Antrag mit 47 zu 20 Stimmen deutlich angenommen, worauf der Gemeinderat die Volksabstimmung darüber auf Mitte Juni festsetzte. Wenige Tage später erklärte der Regierungsstatthalter die vom Gemeinderat abgeschmetterte Initiative jedoch für zumindest teilweise genehmigungsfähig. Nach Auffassung der Initianten bedeutete dieser Entscheid, dass der Kredit bis zur Abstimmung über ihr Begehren sistiert werden müsse, weshalb sie beim Statthalteramt erneut Beschwerde einreichten, diesmal gegen den vom Gemeinderat vorgesehenen Abstimmungstermin. Dieses befand, eine rasche Sanierung sei – ungeachtet der künftigen Nutzung – für den jetzigen Betrieb der Reitschule aus Sicherheitsgründen unabdingbar und liess die rechtsbürgerlichen Initianten diesmal abblitzen. Die Berner Bevölkerung nahm die Sanierungsinitiative an, allerdings mit dem hauchdünnen Vorsprung von 85 Stimmen  [21].
 
[20] Presse vom 8.3.99. Siehe SPJ 1997, S. 322.20
[21] Bund und BZ, 13.3., 9.4., 15.4., 19.4., 29.4., 4.5., 5.5., 2.6., 14.6., 22.6. und 8.10.99.21