Année politique Suisse 2000 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
Sozialdemokratische Partei (SP)
Die SP befand sich im vergangenen Jahr in einer ihrer schwersten finanziellen Krisen seit Bestehen. Zum Jahresbeginn gab ihre Finanzdelegation bekannt, dass die Partei aufgrund von
Zahlungsrückständen grosser Kantonalsektionen in Zahlungsnot stecke. Die Sektionen schuldeten der Parteizentrale aus dem Vorjahr noch rund eine Million Franken. Allein aus Bern und Zürich standen Zahlungen über 700 000 Franken aus. Der Leiter der Finanzdelegation, Edwin Knuchel, erklärte, der Mitgliederrückgang und die Überalterung unter der Mitgliedschaft hätten Mindereinnahmen bei den meist progressiv nach Einkommen festgelegten Mitgliederbeiträgen zur Folge. Parteisekretär Jean-Philippe Jeanneret warnte, dass das Eigenkapital der Partei bis 2001 aufgebraucht sein werde, sollte keine nennenswerte Besserung eintreten. Als Sofortmassnahme wurde ein Fundraising-Konzept ausgearbeitet. Ende März versandte die Parteileitung 150 000 persönliche Briefe an ausgewählte Adressaten mit dem Aufruf, eine nicht näher definierte Kampagne „Soziale Schweiz“ mittels Spenden und Leserbriefen tatkräftig zu unterstützen
[5].
Gleichzeitig wählte der Zentralvorstand die Bernerin
Ursula Dubois zur Zentralsekretärin und Pressesprecherin. Ihr Vorgänger, Peter Peyer, war vor Jahresende aus seinem Amt suspendiert worden, nachdem er die Parteileitung öffentlich kritisiert hatte
[6].
Im Februar zog sich die SP-Geschäftsleitung zu einer Retraite nach Muri bei Bern zurück und beriet über die politischen Schwerpunkte der kommenden Legislatur aber auch über die
parteiinternen Probleme. Die Partei verabschiedete ein Strategiepapier: Der „extreme“ Steuerföderalismus müsse überwunden, die Sozialversicherungen den veränderten Lebensbedingungen angepasst, KMU’s mit günstigem Risikokapital unter die Arme gegriffen werden und ein EU-Beitritt dürfe nicht aus den Augen verloren werden. Parteipräsidentin Koch und Generalsekretär Jean-François Steiert demonstrierten im Anschluss an die Gespräche Einigkeit. Aus internen Dokumenten ging jedoch hervor, dass der Geschäftsleitung ein viermonatiges Ultimatum gesetzt worden war. Bis zum Juni sollten die internen Differenzen beigelegt werden. Eine ganze Kette an
Rücktrittsvermutungen und Rücktrittsforderungen machte die darauffolgenden Tage die Runde. Steiert brach als erster das Eis und erklärte, er stünde keiner Lösung im Wege. Koch beteuerte dagegen, sie werde auf keinen Fall zurücktreten
[7].
Ende Februar traf sich die Fraktion ebenfalls zur Krisenberatung. Die Parlamentarier setzten mit Koch (ZH), Fraktionspräsident Cavalli (TI) und der Genfer Ständerätin Brunner eine dreiköpfige Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung von Strukturreformen ein.
Versuche, Koch zu Fall zu bringen, wurden abgewiesen [8]. Koch gab sich optimistisch und erklärte, dass sie unter den gegebenen Umständen am Parteitag vom Oktober wieder kandidieren wolle
[9].
Mitte April trat Ursula Koch aus gesundheitlichen Gründen mit sofortiger Wirkung
als Parteipräsidentin und Nationalrätin zurück. Dies teilte sie dem SP-Parteivorstand in einem Brief mit und entzog sich sodann der Öffentlichkeit. Vizepräsident Pierre Aeby (FR) übernahm interimistisch das Präsidium
[10].
Anfangs Mai brachte die
Dreierkommission für die Strukturreform, in welcher Bundesrätin Ruth Dreifuss Ursula Koch ersetzt hatte, ihre Arbeit zum Abschluss. Sie schlug vor, die Führungsgremien (Geschäftsleitung und Parteivorstand) stark zu verkleinern und die Basis mit der Einführung einer Delegiertenversammlung (zusätzlich zum bisherigen Parteitag) konsequenter miteinzubeziehen
[11]. Als chancenreichste Nachfolgerin für das Parteipräsidium wurde inzwischen Ständerätin Brunner gehandelt. Generalsekretär
Steiert
trat noch im Mai aus seinem Amt zurück. Mit seinem Rücktritt wolle er die Personaldebatte entkrampfen und seiner Partei die Rückkehr zu den Sachthemen erleichtern
[12].
Ende Mai bereinigte der SP-Vorstand die
Anträge zur internen Strukturreform. Auf eine Streichung der Sitze von SP-Frauen und Jungsozialisten in der Geschäftsleitung wurde verzichtet, nachdem die Betroffenen harsche Kritik geübt hatten. Die Fraktion ist jedoch nur noch mit ihrem Präsidenten darin vertreten. Dieses Leitungsgremium wurde von bislang 18 auf neun Mitglieder halbiert. Der Vorstand hiess ausserdem die Einsetzung einer Delegiertenversammlungen gut. Im September beschloss dann der Parteivorstand, der mit seinen gut 100 Mitgliedern bisher als eine Art Mini- Parteiparlament wichtige Funktionen der neuen Delegiertenversammlung wahrgenommen hatte (z.B. Parolenfassung zu eidgenössischen Abstimmungen) sich abzuschaffen. Neu wurde eine ähnlich wie der alte Vorstand zusammengesetzte Koordinationskommission geschaffen, welche vor allem die Zusammenarbeit zwischen den Kantonalsektionen und der nationalen Partei verbessern soll
[13].
An der Vorstandsitzung von Ende Mai hatte sich Christiane Brunner bereit erklärt, im Oktober den SP-Vorsitz zu übernehmen. Mitte Juli äusserten Nationalrat Hans-Jürg Fehr (SH) und seine Ratskollegin Christine Goll (ZH) Interesse am Vizepräsidium der Partei. Für das Präsidialamt war Brunner noch keine ernsthafte Konkurrenz erwachsen. Allein Hildegard Fässler (SG) stand lange im Gespräch, verzichtete aber Mitte August auf eine Kampfkandidatur. In der Vorstandssitzung vom September wurde das
Dreierteam nominiert [14].
Erwartungsgemäss wurden Brunner, Goll und Fehr Mitte Oktober von den Delegierten als
Dreierteam ins Parteipräsidium gewählt. Die neue Parteipräsidentin Brunner bekannte sich in ihrer Antrittsrede zum linken Kurs der SP. Es sei nicht die Aufgabe ihrer Partei, die Defizite in der politischen Mitte auszugleichen. Auch die
Strukturreform der Partei wurde klar genehmigt. In die redimensionierte Geschäftleitung neu aufgenommen wurden der Berner Grossrat Michael Kaufmann, Rudolf Rechsteiner (BS) und der Waadtländer Jungsozialist Philipp Müller
[15].
Im Dezember wurde der Urner
Reto
Gamma vom Parteivorstand
zum neuen Generalsekretär gewählt. Der Journalist Gamma hatte das Amt im Herbst interimistisch vom zurückgetretenen Steiert übernommen, aber lange auf eine eigene Kandidatur verzichtet. Der Favorit von Präsidentin Brunner setzte sich in der Ausmarchung gegen Peter Bosshard, Sekretär bei der Erklärung von Bern, durch
[16].
Ende Januar verabschiedete die SP ihre
Europa-Plattform, in welcher sie den raschen Beitritt zur EU forderte. Die Schweiz sei historisch und kulturell ein Teil Europas und müsse in Europa mitbestimmen können. Sie erwarte vom Bundesrat eine Wiederaufnahme des Beitrittsgesuchs unmittelbar nach der Volksabstimmung zu den bilateralen Verträgen. Die Beitrittsverhandlungen sollten bis 2003 abgeschlossen sein
[17].
Ende März fasste die Parteispitze einstimmig die
Ja-Parole zu den bilateralen Verträgen mit der EU. In einer Broschüre verkündete sie einhellig, die bilateralen Verträge seien die erste Station auf dem Weg zum vollständigen Beitritt. Vollmer (BE) betonte, erst die SP habe die Abkommen durch ihre Überzeugungsarbeit mehrheitsfähig gemacht
[18].
Ein wichtiges Schwerpunkthema war für die SP im Berichtsjahr die Liberalisierung und die Privatisierung der Wirtschaft. Mit einer Resolution verlangte sie vom Bundesrat, auf eine volle
Privatisierung der Swisscom zu verzichten. Sie drohte mit dem Referendum, sollte der Bundesanteil an der Swisscom unter 50 Prozent abgesenkt werden. Westschweizer Parteigenossen warfen dem Chef des federführenden UVEK, Bundesrat Leuenberger, vor, er hätte sich der Sozialdemokratie entfremdet und sich zu stark wirtschaftsliberaler Programme angenommen. An einer Delegiertenversammlung der Zürcher Sektion bezog Bundesrat Leuenberger Position für die bundesrätliche Politik. Den Gegnern der Privatisierung warf er Rückwärtsgewandtheit vor. Nach einer mehrstündigen Debatte zum Service public fassten die Delegierten in Lugano im Sinne eines Kompromisses eine Resolution, die starke staatliche Unternehmen verlangt, geregelte Liberalisierungen aber zulässt
[19].
Im September fasste der SP-Vorstand die
Nein-Parole zum neuen Bundespersonalgesetz. Obwohl das Gesetz innerhalb der Partei und vor allem in der Deutschschweiz auch viele Befürworter fand, überwogen die Argumente der Gegner. Insbesondere die neu geschaffene Möglichkeit des Personalabbaus wurde stark kritisiert
[20]. An der Urne erlitt die Volksinitiative der SP für eine
Einführung eines konstruktiven Referendums eine Abfuhr. Nur 34,1% der Stimmenden und bloss 51% der SP-Sympathisanten sprachen sich dafür aus. Vom Volk abgelehnt wurde im November auch die von der SP zusammen mit pazifistischen Gruppen eingereichte „Umverteilungsinitiative“
[21].
In einer Pressekonferenz übte die SP Ende Juli Kritik an Bundesrat Villigers
Familiensteuerreform. Die Reform sei ein Etikettenschwindel und ein Steuergeschenk an die Reichen. Nationalrätin Jacqueline Fehr (ZH) führte an, dass das einkommensschwächste Drittel der Bevölkerung nicht von der Reform profitieren könne, weil es gar keine Bundessteuern entrichte. Eben dieses Drittel hätte indes eine Verbesserung der finanziellen Lage am nötigsten. Als Alternative schlug die SP ein Massnahmenpaket vor, welches Kinder und Jugendliche von Krankenkassenprämien befreien soll, die Einführung von eidgenössischen Kinderrenten vorsieht und Ergänzungsleistungen für Familien fordert. Ausserdem will die SP die vorschulischen Kinderbetreuungsangebote stärker fördern und eine Mutterschaftsversicherung einrichten, welche über 14 Wochen hinweg 80 Prozent des Lohns garantiert
[22].
An der letzten Sitzung des Parteivorstandes im Dezember löste die Frage der bewaffneten Einsätze von Schweizer Truppen im Ausland eine längere Debatte aus. Genfer Sozialdemokraten verlangten den Anschluss an das
Referendum der GSOA. Die Vorstandsmehrheit entschied sich aber zugunsten des revidierten Militärgesetzes
[23].
Bei den
Bundesratsersatzwahlen wollte eine Mehrheit der SP-Fraktion der SVP den Bundesratssitz zugunsten eines zusätzlichen FDP-Vertreters strittig machen. Die FDP war an dieser Offerte aber nicht interessiert. Parteiintern führte diese als schlecht vorbereitet kritisierte Strategie zu Kritik
[24].
Bei den
kantonalen Wahlen mussten die SP zahlreiche Einbussen hinnehmen. Konnten sie zwar im Thurgau (+2) und in Uri (+1) Sitzgewinne in den Parlamenten verbuchen, reduzierte sich ihre Vertretung in St. Gallen von 34 auf 27 Mandate; in Schaffhausen verlor sie zwei Sitze. In Basel-Stadt vermochte sich die SP als stärkste Fraktion zu behaupten. Bei den Regierungsratswahlen verlor die SP in Basel-Stadt, St. Gallen und Schaffhausen insgesamt drei Mandate
[25].
[5]
SoZ, 23.1.00;
NZZ, 26.1. und 10.5.00;
SGT, 1.4.00.5
[6]
NZZ, 24.1.00. Vgl.
SPJ 1999, S. 387.6
[7] Presse vom 21.2.-25.2.00.7
[8] Presse vom 26.2. und 27.2.00.8
[10] Presse vom 16.4. und 17.4.00;
NZZ, 19.5.00;
Bund, 6.6.00. 10
[11] Presse vom 12.5.00. 11
[12] Presse vom 23.5.00. 12
[13] Presse vom 29.5.00;
NZZ, 4.9.00. Im August lehnte die SP des Kantons Bern die vorgesehene Strukturreform der Mutterpartei ab. Insbesondere die Einführung einer Delegiertenversammlung, die auch das Generalsekretariat bestellen soll, wurde bekämpft (
NZZ, 8.8.00). 13
[14]
Presse vom 29.5.00;
NZZ, 27.7. und 4.9.00. 14
[15] Presse vom 16.10.00. 15
[16] Presse vom 11.12.00. 16
[18]
Baz und
NZZ, 27.3.00. 18
[19]
NZZ, 26.6. und 10.7.00;
SoZ, 9.7.00; Presse vom 16.10.00. 19
[20]
NZZ, 4.9.00. Vgl. oben, Teil I, 1c (Verwaltung). 20
[21] Presse vom 25.9. und 27.11.00; Ballmer-Cao, Thanh-Huyen et al.,
Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 24. September 2000, Vox Nr. 71, Genf 2000. 21
[22] Presse vom 27.7.00. 22
[23] Presse vom 11.12.00.23
[24] Presse vom 7.12.00;
Bund, 13.12.00. Zur BR-Wahl siehe oben, Teil I, 1c (Regierung). Zu den Faschismusvorwürfen von NR Blocher (svp, ZH) gegenüber der SP siehe oben (Parteiensystem). 24
[25] Vgl. auch oben, Teil I, 1e (Wahlen) sowie Tabellen im Anhang. 25
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