Année politique Suisse 2000 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Im März hat die SVP ihre Parteigremien neu organisiert und bestellt. Die Zahl der Delegierten wurde von 500 auf 600 erhöht, das Vizepräsidium von zwei auf drei Mitglieder verstärkt. Ueli Maurer (ZH) wurde für weitere vier Jahre in seinem Amt als Parteipräsident bestätigt. Das Vizepräsidium teilen sich die Bisherige Cornelia Stamm Hurter und neu die Nationalräte Jean Fattebert (VD) und Toni Brunner (SG). Bereits im Vorfeld des Sonderparteitages wurde der Leitende Ausschuss neu besetzt. Das Präsidium lehnte dabei die Aufnahme der als liberal geltenden Nationalrätin Ursula Haller und des alt Nationalrats Albert Rychen (beide BE) ab und sprach sich für die mit dem Zürcher Flügel politisierenden Angelica Zanolari, Parteipräsidentin in Basel-Stadt, und für Nationalrat Christoph Mörgeli (ZH) aus. Als Vertreter der Berner Sektion im Leitenden Ausschuss verblieben lediglich Bundesrat Ogi sowie Kantonalpräsident und Nationalrat Hermann Weyeneth – beide von Amtes wegen [40].
Prominente Parteimitglieder protestierten gegen die Vormachtstellung des Zürcher Flügels. Die ehemalige Generalsekretärin der SVP, Myrtha Welti, reichte ihren Austritt aus der Partei ein. Max Friedli, der vor ihr dasselbe Amt inne hatte, liess seine Mitgliedschaft vorübergehend suspendieren. Alt Ständerat Ulrich Zimmerli (BE) dachte gar laut über eine Abspaltung der Berner SVP oder über eine Fusion mit anderen Parteien (z.B. der LP) nach, und die Zürcher Nationalrätin Lisbeth Fehr (ZH) bemängelte gewisse „totalitären Züge“ in den eigenen Reihen. Der bernische Kantonalpräsident Weyeneth versuchte indessen, die Wogen zu glätten und erklärte, seine Sektion wolle versuchen, sich innerhalb der Mutterpartei wieder stärker durchzusetzen [41].
An der ersten Delegiertenversammlung nach den Wahlerfolgen vom vergangenen Herbst versicherte Parteipräsident Ueli Maurer, dass sich seine Partei nicht auf den Lorbeeren der Wahl ausruhen werde. Die Delegierten fassten gegen den Beschluss des Zentralvorstandes die Ja-Parole zur Beschleunigungsinitiative (Verkürzung der Behandlungsfristen für Volksinitiativen) [42].
Nach der klaren Abstimmungsniederlage der weniger weit gehenden Beschleunigungsinitiative wurde die von namhaften Exponenten der Zürcher SVP im Vorjahr lancierte Initiative für eine radikale Verkürzung der Behandlungsfristen für Volksinitiativen, die sogenannte Maulkorbinitiative, nicht eingereicht, obwohl nach Angabe der Initianten genügend Unterschriften gesammelt worden waren [43]. Das SVP-Präsidium entschied Mitte März, auf die geplante Lancierung einer Initiative zur Volkswahl des Bundesrates vorläufig zu verzichten. Als Grund angegeben wurde die Konzentration der SVP auf die Einreichung der beiden im Vorjahr lancierten Volksinitiativen (Nationalbankgold für die AHV bzw. restriktivere Asylpolitik). Nicht zu überhören war aber auch massive parteiinterne Kritik an diesem Vorhaben [44].
An einem Sonderparteitag im März forderte die SVP eine finanziell tragbare Sozialpolitik. Parteipräsident Maurer führte an, dass trotz explodierender Beiträge die Sozialwerke fast ausnahmslos vor einem Schuldenberg oder leeren Kassen stünden. Die Lösung des Problems dürfe nicht der kommenden Generation auferlegt werden. Die Beitragsexplosion sei nicht zuletzt auf die Vollkaskomentalität vieler Versicherter zurückzuführen. Die Delegierten stimmten einem Grundsatzpapier zu, welches langfristig eine Ausgabenreduktion auf das Niveau von 1990 zum Ziel hat. Bei der AHV erachtet die Partei eine Erhöhung des Rentenalters für sinnvoll. Einer Flexibilisierung will sie nicht im Wege stehen, falls diese nicht zu Mehrausgaben führe. Schliesslich sollten die zur Verfügung stehenden Mittel (Nationalbankgold, Spielbankenerträge) besser genutzt werden [45].
Mitte April sprach sich der SVP-Zentralvorstand deutlich für die Annahme der bilateralen Verträge mit der EU aus. Die Zürcher Kantonalsektion hatte sich wenige Tage zuvor knapp für ein Nein entschieden. Die Ausgangslage für die Delegiertenversammlung war deshalb ungewiss. Bundesrat Ogi vertrat in Appenzell die Meinung, die SVP müsse den von ihr nach dem EWR-Nein 1992 eingeleiteten bilateralen Weg jetzt auch beschreiten. Blocher dagegen warnte vor einer Schwächung des Wirtschaftsstandortes Schweiz und vor einer Zunahme der Arbeitslosigkeit; er verzichtete aber darauf, der Partei die Nein-Parole zu empfehlen. Mit 297 gegen 201 Stimmen wurde die Ja-Parole beschlossen. Bis zur Abstimmung fassten allerdings vierzehn Kantonalsektionen die Nein-Parole [46].
Am Sonderparteitag vom Juli in Unterentfelden (AG) beriet die SVP ihre aussenpolitische Position. Nebst der Diskussion eines Positionspapiers ging es dabei vor allem um die Frage nach der Haltung gegenüber der Revision des Militärgesetzes (Auslandeinsätze). Die Delegierten sprachen einem allfälligen bürgerlichen Referendum gegen die Revision ihre Unterstützung zu. Auf der Seite der Gegner hielten die Nationalräte Mörgeli und Schlüer (beide ZH) an einer engen Neutralitätsdefinition fest. Friedenspolitik, Handelspartnerschaften und Gute Dienste seien die Mittel der schweizerischen Friedenssicherung. Unter dem Modewort Kooperation laufe die Schweiz aber Gefahr, in zukünftige Konflikte hineingezogen zu werden [47].
Mitte Juli präsentierte die Partei ein Positionspapier zur Gesundheitspolitik. Das Papier umfasste 24 Gesetzes- und Verordnungsänderungen, die ein menschlich und finanziell tragbares Gesundheitswesen zum Ziel haben. In erster Linie will die SVP die Krankenkassenprämien senken und den Leistungskatalog der Grundversicherung schlanker gestalten. Nicht weniger als neun Vorstösse zur Gesundheitspolitik reichte die SVP-Fraktion der eidgenössischen Räte in der Herbstsession ein. Im Oktober gab Maurer ausserdem bekannt, seine Partei wolle die Lancierung einer entsprechenden Krankenkassen-Initiative prüfen [48].
Am Parteitag in Genf beantragte der Zentralvorstand die Ablehnung der Volksinitiative zur Plafonierung des Ausländerbestandes (18%-Initiative). Die Delegierten entschieden sich aber mit 159 zu 109 Stimmen für ein Ja. Die Parteileitung zeigte sich enttäuscht. Generalsekretär Jean-Blaise Defago dachte sogar laut über seinen Rücktritt nach. In einem Radio-Interview beschuldigte Georg Kreis, Basler Historiker und Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, die SVP, indirekt den Rechtsextremismus zu fördern [49].
Diese Kritik an der SVP wurde auch international geäussert. Bereits zu Jahresbeginn hatte der Europarat einen Bericht seiner Kommission für politische Angelegenheiten zur Bedrohung der Demokratie durch extremistische Parteien und Bewegungen genehmigt. Darin wurden der SVP gemeinsam mit Haider’s Freiheitlicher Partei Österreichs und Le Pen’s Front National in Frankreich die Begünstigung rassistischer und fremdenfeindlicher Ideen und Gewaltakte vorgeworfen. Nationalrat Reimann (AG), Mitglied der Europaratsdelegation der Schweiz, vermutete hinter dieser Angelegenheit einen weiteren Schachzug der SP gegen seine Partei: Präsidiert hatte die Kommission nämlich der ehemalige SP-Nationalrat Victor Ruffy. Dagegen lobte SVP-Nationalrätin und Europaratsdelegationsmitglied Lisbeth Fehr (ZH) die Arbeit ihres Delegationsgefährten Nationalrat Andreas Gross (sp, ZH), der weitaus schwerwiegendere Passagen des Berichtes in der Kommission erfolgreich bekämpft hätte [50].
Im September flackerten die Wirren um rechtsextreme Personen in der SVP erneut auf. Trotz Rücktrittsaufforderungen war der ehemalige Genfer Parteisekretär Pascale Junod noch immer aktiv am Parteileben beteiligt. Die Parteileitung beschloss nun, den Kontakt zur Genfer Sektion zu intensivieren. Im Kanton Uri wurde dem Sekretär einer Ortssektion der Austritt nahegelegt, weil er sich am Skinhead-Aufmarsch bei der Nationalfeier auf dem Rütli beteiligt hatte. Der Vorschlag von Bundesrat Ogi, die SVP nach rechtsextremen Elementen systematisch zu durchkämmen, wurde aber erneut zurückgewiesen [51].
Mitte Oktober gab Bundesrat Ogi seinen Rücktritt per Ende Jahr bekannt. Die Bundesversammlung wählte im Dezember den SVP-Berner Ständerat Samuel Schmid zu dessen Nachfolger und verwies die offiziellen SVP-Kandidierenden Eberle (TG) und Fuhrer (ZH) auf die Ränge [52].
Bei den kantonalen Parlamentswahlen befand sich die SVP weiterhin im Aufwind. Insgesamt gewann sie 54 Mandate hinzu. Besonders deutlich waren die Zugewinne in den Kantonen St. Gallen (+28), Basel-Stadt (+13) und Schwyz (+8). In St. Gallen konnte sie ihren Stimmenanteil von 9,8% auf 22,6% mehr als verdoppeln. Im Kanton Uri holte sie sich auf Anhieb vier Mandate. Hingegen musste sie im Kanton Graubünden deutliche Abstriche hinnehmen. Bei den Regierungsratswahlen konnte sich die SVP hingegen keine zusätzlichen Sitze sichern. Trotz ihrem Erfolg bei den Parlamentswahlen gelang ihr in Schwyz, St. Gallen und Basel der Einzug in die Regierung nicht.
 
[40] Presse vom 4.3., 6.3. und 21.3.00. 40
[41] NZZ, 7.3. und 8.3.00; Bund, 21.3.00. Vgl. zum Wandel der SVP auch NZZ, 22.3.00. 41
[42] Presse vom 31.1.00. 42
[43] Siehe oben, Teil I, 1c (Volksrechte). 43
[44] BZ, 21.3.00; Presse vom 22.3.00 sowie oben, Teil I, 1c (Regierung). Die beiden erwähnten SVP-Volksinitiativen konnten im Herbst eingereicht werden (vgl. die Sachkapitel und SPJ 1999, S. 390). 44
[45] Presse vom 6.3.00. Das Grundsatzpapier wurde Anfang Mai veröffentlicht (Presse vom 9.5.00). 45
[46] NZZ, 15.4.00; Presse vom 17.4.00. 46
[47] Presse vom 3.7.00. 47
[48] Presse vom 18.7.00. Siehe auch oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik). 48
[49] Presse vom 19.8., 21.8., 22.8. und 28.8.00. Im Oktober lud die Parteileitung die Medien bereits zu einem Ausblick auf den Wahlkampf 2003 ein (Presse vom 20.10.00). 49
[50] Presse vom 26.1.00. Zur Entstehungsgeschichte des Berichtes: NZZ, 10.2.00. Eine Entgegnung von NR Reimann (svp, AG) ist in NZZ, 12.2.00, erschienen. 50
[51] TG, 18.9.00; Presse vom 28.9.00; NZZ, 2.10.00. Vgl. SPJ 1999, S. 391. Zu den Skinheads siehe oben, Teil I, 1b (Politische Manifestationen). 51
[52] Siehe oben, Teil I, 1c (Regierung). 52