Année politique Suisse 2000 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires
Regierung
Mitte Oktober gab Bundespräsident
Adolf Ogi (svp) bekannt, dass er auf Ende Jahr aus der Regierung zurücktreten werde
[5]. In seiner dreizehnjährigen Amtszeit hatte Ogi zuerst dem Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (heute UVEK) und dann dem Militärdepartement (heute VBS) vorgestanden. Seine spontane und volksnahe Art, seine Dialogbereitschaft und sein Kommunikationstalent, aber auch sein Wirken um eine Verbesserung des Bildes der Schweiz im Ausland wurden in Rückblicken allgemein gelobt. In kaum einem Medienkommentar fehlte der Ausdruck des Bedauerns über seinen Rücktritt.
Als mögliche
Nachfolgekandidaten wurden von der Presse sofort die Ständeräte Christoffel Brändli (GR) und Samuel Schmid (BE), Nationalrat Ulrich Siegrist (AG) sowie die Zürcher Regierungsrätin Rita Fuhrer und ihr Thurgauer Amtskollege Roland Eberle genannt. Damit war auch das politische Spektrum der SVP einigermassen abgedeckt: Siegrist gilt als Exponent des liberalen Flügels, und Schmid hatte sich mehrmals als Kritiker einer nationalistischen und populistischen Parteilinie hervorgetan, Brändli wurde etwa in der Mitte der Partei eingeordnet und Eberle und Fuhrer galten vor allem wegen ihren Positionen in der Asylpolitik als Vertreter des rechten Parteiflügels
[6]. Siegrist verzichtete auf eine Kandidatur; die anderen vier wurden von ihren Kantonalsektionen nominiert. Eine Woche vor der Wahl stellte die SVP-Fraktion Fuhrer und Eberle als Kandidaten auf. Die nichtberücksichtigten Schmid und Brändli erklärten, dass sie trotz dieses Verdikts eine Wahl zum Bundesrat annehmen würden
[7].
Die
Grünen kündigten kurz nach Ogis Demission an, dass sie eine
eigene Kandidatin aufstellen würden, was sie mit der Nominierung von Nationalrätin Cécile Bühlmann (LU) dann auch taten. Die
SP versuchte vergeblich, die FDP und die CVP von der Opportunität eines
Rauswurfs der SVP aus der Regierung zu überzeugen. Ihr Angebot, zu diesem Zweck eine freisinnige Kandidatur zu unterstützen, fand lediglich bei einigen Freisinnigen aus der Romandie Interesse. Danach lancierten einzelne SP-Politiker die Idee, mit Ulrich Siegrist wenigstens einen möglichst weit vom politischen Kurs seiner Partei entfernten Vertreter der SVP zu wählen. Ganz zum Schluss der Kampagne versuchte die SP dann auch noch, den FDP-Präsidenten Franz Steinegger (UR) ins Spiel zu bringen
[8]. Die
FDP und die
CVP hatten zwar keine Lust, der SVP den Bundesratssitz zu entreissen; aber sie machten von Anfang an klar, dass sie niemanden unterstützen würden, der auf der radikalen aussenpolitischen Linie von Nationalrat Blocher und seiner Zürcher SVP politisiert. Da Eberle und auch Fuhrer sowohl beim UNO-Beitritt als auch bei der Frage der Bewaffnung von schweizerischen Armeekontingenten bei Friedenseinsätzen im Ausland eine von Blocher divergierende Meinung vertreten, waren für sie grundsätzlich alle vier SVP-Politiker wählbar. Beide Fraktionen verzichteten darauf, eine bestimmte Kandidatur zu unterstützen. Die Fraktion der Liberalen sprach sich für Schmid aus
[9].
Am 6. Dezember
wählte die
Vereinigte Bundesversammlung Ogis Nachfolger. Im ersten Wahlgang erhielten von den offiziellen Kandidaten Fuhrer 54, die von den Grünen nominierte Bühlmann 53 und Eberle 16 Stimmen. Klar vor Eberle lagen die im Auswahlprozedere der nationalen SVP auf der Strecke gebliebenen Samuel Schmid und Christoffel Brändli sowie der von der SP trotz seines Verzichts ins Spiel gebrachte Ulrich Siegrist mit 50, 25 resp. 33 Stimmen. Bereits im zweiten Wahlgang schwenkte ein Teil der SP-Fraktion von Bühlmann zu Siegrist, welcher sich mit 55 Stimmen hinter Schmid (76) auf den zweiten Platz vorschob und dabei Rita Fuhrer (50) überholte. Diese Reihenfolge blieb in den folgenden Wahlgängen unverändert, wobei die Stimmen für die ausscheidenden Kandidierenden Brändli und Eberle zum grössten Teil Schmid zufielen.
Samuel Schmid wurde im sechsten Wahlgang bei einem absoluten Mehr von 117 mit 121 Stimmen gewählt; auf Siegrist entfielen 83 und auf Fuhrer 28 Stimmen. Um Siegrist zu verhindern, hatte am Ende ein Teil der SVP-Fraktion von Fuhrer zu Schmid gewechselt. Die SVP war zwar etwas verärgert über das Scheitern ihrer beiden offiziellen Kandidaturen, Fraktionschef Frey (ZH) erklärte aber, auch mit Schmid als SVP-Vertreter im Bundesrat leben zu können
[10]. Im Anschluss an diese Entscheidung wurde Moritz Leuenberger (sp) mit 187 Stimmen zum Bundespräsidenten für das Jahr 2001 und Kaspar Villiger zu seinem Vize gewählt
[11]. Zu Rochaden bei der Departementsverteilung kam es nicht: Schmid trat auf den 1. Januar 2001 die Nachfolge von Ogi als Vorsteher des VBS an
[12].
Die SVP reaktivierte zu Jahresbeginn ihr 1998 zurückgestelltes Projekt der
Volkswahl des Bundesrats. Sie stellte ein von Nationalrat Mörgeli (ZH) ausgearbeitetes Modell vor, das nach dem Vorbild des bernischen Wahlrechts einen einzigen Wahlkreis, aber Garantien für die Berücksichtigung der nichtdeutschsprachigen Regionen vorsah. Wie bereits vor zwei Jahren wurde auch parteiintern an diesem Vorhaben heftige Kritik geübt. So lehnte etwa die Aargauer SVP die Volkswahl ab, weil diese die kleinen Kantone und die Randregionen benachteiligen würde. Die Parteileitung begründete ihren Entscheid, der Delegiertenversammlung nicht wie geplant am 15. April die Lancierung einer entsprechenden Volksinitiative vorzuschlagen jedoch nicht damit, sondern mit der Priorität der Einreichung der beiden 1999 lancierten Volksinitiativen (Nationalbankgold und Asylrecht). Das Versprechen, die Bundesratswahlinitiative auf jeden Fall noch im Jahr 2000 lancieren zu wollen, konnte nicht eingehalten werden
[13].
Der Bundesrat befasste sich in Klausursitzungen mit einer Vertiefung des von ihm bevorzugten Modells einer
zweistufige Regierung mit Bundesräten als Regierungskollegium und ihnen unterstellten sogenannten Delegierten Ministern (DM) ohne Stimmrecht in der Exekutive. Dabei prüfte er zwei Varianten: in der einen wären diese DM als Fachminister für einen besonders wichtigen Schwerpunkt des Departements zuständig (z.B. als Justizminister), in der anderen gäbe es für jeden Departementschef einen Stellvertreter ohne spezifischen Fachbereich. Diese DM sollen vom Gesamtbundesrat auf Antrag der einzelnen Departementsvorsteher auf vier Jahre gewählt werden. Das Mitentscheidungsrecht des Parlaments würde sich auf eine Bestätigung sämtlicher Delegierten Minister en bloc beschränken
[14].
Der Ständerat übernahm den Beschluss der grossen Kammer aus dem Vorjahr, dass der Bundesrat einen der beiden Vizekanzler zum
Regierungssprecher bestimmen soll. Der Bundesrat betraute daraufhin den bisherigen faktischen Regierungssprecher, Vizekanzler Casanova, offiziell mit dieser Funktion
[15].
Der Bundesrat legte dem Parlament die
Legislaturplanung 1999-2003 vor. Wie seit 1962 üblich nahm er darin eine Standortbestimmung der Regierungspolitik vor und stellte die wichtigsten Ziele der nächsten vier Jahre vor. Noch stärker als bei der letzten Ausgabe versuchte der Bericht, anstelle einer Aufzählung aller anzugehenden Aufgaben eine kohärente und zielorientierte Politikformulierung vorzunehmen. Ausgehend von den drei Leitgedanken Öffnung nach Aussen, wirtschaftliche Konsolidierung und Förderung des inneren Zusammenhalts wurden zwölf Ziele mit den dazugehörenden Projekten definiert
[16]. Der Nationalrat liess diesen Bericht von einer Spezialkommission vorberaten, welche eine ganze Reihe von ergänzenden Richtlinienmotionen einreichte. Das Parlament nahm vom Bericht Kenntnis und überwies die meisten Richtlinienmotionen in Postulatsform
[17].
[5] Presse vom 19.10.00.5
[6] Presse vom 19.10.00;
NZZ, 25.10.00.6
[7]
BüZ, 25.10. und 25.11.00 (Brändli);
NLZ, 3.11.00 (Siegrist);
SGT, 3.11.00 (Eberle);
Bund, 13.11.00 (Schmid);
TA, 20.11.00 (Fuhrer); Presse vom 29.11.00 (Fraktion).7
[8] GP:
TA, 27.11.00. SP:
LT, 2.11.00;
BZ, 4.11.00;
NZZ, 7.11. und 8.11.00;
TA, 23.11.00 (Siegrist). Der Versuch, die SVP aus dem BR abzuwählen, fand in der SP-Fraktion mit 29:5 Stimmen eine klare Mehrheit (
NLZ, 18.11.00). Für die welschen Freisinnigen siehe z.B.
LT, 15.12.00.8
[10]
AB NR, 2000, S. 1619 ff.; Presse vom 7.12.00. Frey:
SZ, 7.12.00. Zur Taktik der einzelnen Fraktionen siehe auch
BaZ, 9.12.00.10
[11]
AB NR, 2000, S. 1624.11
[12] Presse vom 9.12.00. Zu Leuenbergers Präsidialjahr siehe auch die Interviews in
SGT, 29.12.00 und
Bund, 30.12.00.12
[13]
Blick, 10.1.00; Presse vom 12.1.00 (Modell);
NZZ und
SGT, 22.3.00 sowie
BaZ, 25.5.00 (Verschiebung);
NZZ, 15.4.00 (SVP-AG). Vgl.
SPJ 1998, S. 41. Zur Geschichte der Forderung nach Volkswahl des BR siehe auch A. Kölz in
NZZ, 8.4.00.13
[14] Presse vom 27.10.00. Vgl.
SPJ 1999, S. 39. Siehe auch
Lit. Bundeskanzlei.14
[15]
AB SR, 2000, S. 10 ff. und 229;
AB NR, 2000, S. 382 und 463;
BBl, 2000, S. 2166;
NZZ, 24.8.00 (Casanova). Siehe auch
SPJ 1999, S. 40.15
[16]
BBl, 2000, S. 2276 ff.; Presse vom 2.3.00. Vgl.
SPJ 1996, S. 32 f.16
[17]
BBl, 2000, S. 2927 ff. (Spezialkommission);
AB NR, 2000, S. 742 ff., 770 ff. und 803 ff.;
AB SR, 2000, S. 368 ff. und 650 ff. Zu einzelnen Richtlinienmotionen siehe den jeweiligen Sachzusammenhang. Der BR gab zudem auch noch einen Bericht „Die Ziele des Bundesrats im Jahr 2001“ heraus (vgl. dazu auch Bundespräsident Ogi in
AB SR, 2000, S. 896 f. und
BaZ, 12.12.00).17
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