Année politique Suisse 2000 : Politique sociale / Population et travail
 
Schutz der Arbeitnehmenden
Wie der Ständerat im Vorjahr, verweigerte auch der Nationalrat der Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 181 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über private Arbeitsvermittler seine Zustimmung, weil das geltende Recht im Bereich des Mutterschaftsurlaubs und des Mindestlohns den Forderungen des Abkommens nicht entspricht [40].
Auf Anfang des Berichtsjahres trat die Richtlinie Nr. 6508 der Eidg. Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS) in Kraft. Damit wurden neu praktisch alle Betriebe in der Schweiz gesetzlich verpflichtet, das Gefahrenpotential, dem ihre Arbeitnehmer am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, einzuschätzen und je nach Resultat geeignete Vorkehrungen zur Arbeitssicherheit zu treffen. Kritiker (insbesondere der Kaufmännische Verband Zürich) warfen den neuen Vorschriften vor, ihre Umsetzung verursache unverhältnismässig hohe Kosten, sei zu sicherheitslastig und verkenne die wichtigsten Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz (Stress, Mobbing usw.) [41].
Eine Studie des Genfer Arbeitsinspektorats, die im Auftrag der Gewerkschaft GBI gesamtschweizerisch ergänzt wurde, zeigte, dass Menschen mit harter körperlicher Arbeit häufiger invalid werden und frühzeitig sterben. Während Wissenschafter, Architekten, Ingenieure und Techniker die besten Aussichten haben, bis 65 Jahre arbeitsfähig zu bleiben, erreichen nur gerade 57% der Bauarbeiter diese Altersgrenze unbeschadet. Kaum besser ergeht es den ungelernten Arbeitnehmern in industriellen Betrieben. Die GBI forderte deshalb einen verstärkten Gesundheitsschutz für diese Berufsgruppen, kürzere Tages- und Wochenarbeitszeiten sowie die Möglichkeit einer vorzeitigen Pensionierung nach 40 Berufsjahren [42].
1997 hatte der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Gross (sp, TG) Folge gegeben, die einen besseren Schutz der Arbeitnehmenden bei Entlassungen infolge von Konkursen oder Fusionen verlangte. Im Berichtsjahr gab der Bundesrat eine entsprechende Änderung des OR in die Vernehmlassung [43]. Dazu aufgefordert wurde er auch durch ein Postulat der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates, welches die Regierung ersuchte, eine Revision des OR und allenfalls des Mitwirkungsgesetzes zu prüfen, die darauf abzielt, die Mitwirkung und den Kündigungsschutz (insbesondere auch bezüglich Standortverlegungen und -auflösungen) zu prüfen [44].
Mit Billigung des Bundesrates gab der Nationalrat einer ausformulierten parlamentarischen Initiative Thanei (sp, ZH) Folge und beschloss damit eine Heraufsetzung der Streitwertgrenze für kostenlose Verfahren im Arbeitsrecht von 20 000 Fr. auf 30 000 Fr. Letztmals war die Grenze 1988 erhöht worden. Der Ständerat hiess diese Teilrevision des OR ebenfalls gut [45].
Mit einer gegen den Willen des Bundesrates mit 141 zu 1 Stimmen angenommenen Motion beauftragte Nationalrat Raggenbass (cvp, TG) die Regierung, für einen effizienteren Vollzug des Arbeits- und Unfallversicherungsgesetzes zu sorgen. Um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, soll die unmittelbare Umsetzung und Kontrolle des Arbeitsgesetzes in den Betrieben ausschliesslich durch die kantonalen Inspektoren erfolgen. Die regionalen Arbeitsinspektorate sollen zu Kompetenzzentren umfunktioniert und die eidgenössischen nur noch als Oberaufsichtsinstanzen tätig sein. Die Motion wurde auch vom Ständerat angenommen [46].
 
[40] AB NR, 2000, S. 136 und 462; AB SR, 2000, S. 228. Siehe SPJ 1999, S. 241.40
[41] NZZ, 26.1.00; BaZ, 24.2.00.41
[42] Presse vom 29.8.00.42
[43] TG, 2.3.00. Siehe SPJ 1998, S. 232.43
[44] AB NR, 2000, S. 843.44
[45] BBl, 2000, S. 3475 ff. und 4859 ff. (BR); AB NR, 2000, S. 1177 und 1612; AB SR, 2000, S. 851 ff. und 941.45
[46] AB NR, 2000, S. 493 f.; AB SR, 2000, S. 868.46