Année politique Suisse 2000 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
print
Kostenentwicklung
Unter Federführung des EDI diskutierten im April rund 60 Experten über die Mängel und dringend notwendigen Reformen des schweizerischen Gesundheitswesens. Im Vordergrund des Gedankenaustauschs stand die Spitalplanung, bei welcher die überregionale Zusammenarbeit stärkeres Gewicht erhalten soll. Einen grossen Handlungsbedarf sahen die Fachleute auch bei den Leistungserbringern. Es bestand Einigkeit darüber, dass die Kriterien für deren Zulassung strenger als bisher reguliert werden sollten (siehe unten, Medizinalpersonen). Neu thematisiert wurde die Qualitätssicherung, von der sich alle eine kostendämpfende Wirkung erhoffen, bei der die Schweiz aber im internationalen Vergleich noch weit hinten nach hinkt [14]. Ein zweiter runder Tisch befasste sich im November mit der immer wieder festgestellten Mengenausweitung, welche die meisten Sparanstrengungen (beispielsweise durch den Abbau von Spitalbetten) fast umgehend zunichte macht. Wichtigste Diskussionspunkte waren hier der in den letzten Jahren erfolgte Kostenschub bei den ambulanten Behandlungen, die Tendenz, ältere, bewährte und billige Medikamente durch neue teure zu ersetzen, sowie der sprunghafte Anstieg von Praxisgründungen. Für Bundesrätin Dreifuss und das BSV stehen drei Massnahmen im Vordergrund: ein Zulassungsstopp für Ärzte, die Verpflichtung zum Einholen einer ärztlichen Zweitmeinung vor bestimmten kostenintensiven Behandlungen sowie die Einführung eines individuellen Gesundheitspasses und einheitlicher Patientendossiers in den Spitälern, um Mehrfachuntersuchungen möglichst zu vermeiden [15].
Ein Fragenkomplex, der in den letzten Jahren immer wieder zu Diskussionen Anlass gab, ist jener der Rationierung im Gesundheitswesen. Die Eidgenössische Kommission für Grundsatzfragen der Krankenversicherung (EGK), die sich aus Vertretern von Bund und Kantonen, der medizinischen Ethik sowie von Spitälern, Ärzten und Konsumenten zusammensetzt, veröffentlichte erstmals Thesen zu diesem brisanten Thema. Unter Berufung auf Bundesverfassung und KVG bekannte sie sich zum Grundsatz der gleichen Medizin für alle; anstatt aus Kostengründen zu rationieren, solle das noch mögliche Sparpotential ausgeschöpft werden. Die EGK bemängelte, dass nach wie vor nicht genügend energisch gegen nicht nachweislich wirksame Therapien, Überkapazitäten im stationären Bereich und unnötige Operationen vorgegangen werde. Sie widersetzte sich allerdings auch nicht der Einsicht, dass in bestimmten Bereichen (insbesondere in der Transplantationsmedizin) mangels Ressourcen Rationierungsmassnahmen nicht umgangen werden können [16].
 
[14] Presse vom 5.4.00. In ihrem Länderbericht 2000 zur Lage der Schweiz ortete die OECD ein Überangebot von Angebot und Nachfrage als Hauptgrund für die hohen Gesundheitskosten der Schweiz. Ihre Empfehlungen (überregionale Spitalplanung, Eindämmung der Zahl der Leistungserbringer) deckten sich mit jenen der Experten (Lit. OECD).14
[15] Presse vom 7.10. und 18.11.00. Eine Motion der SGK-NR aus dem Jahr 1998, die u.a. verlangte, dass der BR die Tarife im ambulanten Bereich jährlich zum voraus festsetzt, wurde auf Antrag des BR, der auf die grundsätzliche Verhandlungsfreiheit der Tarifpartner verwies, lediglich als Postulat angenommen (AB NR, 2000, S. 369).15
[16] CHSS, 2000, S. 197 ff. und 271 ff.; LT, 2.2.00; NZZ, 8.4.00; Ww, 13.4.00; Presse vom 25.8.00 (EGK); TA, 29.8. und 11.10.00. Vgl. auch CHSS, 2000, S. 148 (BSV-Direktor Piller). Diesem ihrer Ansicht nach beschönigendem Befund widersprachen die Praktiker an der Front: Sie vertraten die Auffassung, Rationierung sei längst Alltag in Spitälern und Praxen (TA, 15.9.00). Siehe SPJ 1999, S. 244 f.16