Année politique Suisse 2000 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
Der
Nationalrat nahm in der Frühjahrssession die Beratung über das
neue Heilmittelgesetz auf. In der Eintretensdebatte erhielt die eurokompatibel ausgestaltete Vorlage viel Applaus. Alle politischen Lager begrüssten den Systemwechsel von der interkantonalen Kontrolle zur Bundeskompetenz; er bringe die Schweiz auf internationaler Ebene weiter und belasse den Kantonen doch Gestaltungsraum, vorab in der Komplementärmedizin. Zu hitzigen Diskussionen führten dann aber die sogenannten
Parallelimporte von Arzneimitteln, die dazu dienen sollen, die in der Schweiz sehr hohen Preise für Medikamente in- oder ausländischer Provenienz auf ein Niveau zu senken, das dem Durchschnitt vergleichbarer Länder entspricht. Dazu sollen Heilmittel aus jenem Land (re)importiert werden können, in dem sie am billigsten sind, allerdings nur unter der Bedingung, dass das Präparat sowohl in der Schweiz wie im betreffenden Exportland zugelassen ist. Für einmal war es die Linke, die sich für eine Liberalisierung des Marktes einsetzte, während sich SVP und FDP vehement dagegen stemmten. Mit Unterstützung der CVP wurde der Grundsatz möglicher Parallelimporte – wenn auch äusserst knapp mit 89 zu 86 Stimmen – bejaht. Allerdings wurde auf Antrag von Meier-Schatz (cvp, SG) mit 102 zu 71 Stimmen eine Bremse eingebaut; demnach ist von Parallelimporten abzusehen, wenn im Ursprungsland die Preise der betreffenden Arzneimittel staatlich gestützt werden. Für weniger Emotionen sorgte die Regelung des
Versandhandels. Dieser wird grundsätzlich untersagt, kann jedoch zugelassen werden, wenn ein ärztliches Rezept vorliegt sowie Beratung und Überwachung der Kundschaft sichergestellt sind. Ein Totalverbot, wie es Borer (svp, SO) verlangte, wurde mit 111 zu 43 Stimmen deutlich verworfen. Nicht zugelassen wird der Handel über Internet sowie die Werbung für rezeptpflichtige Medikamente. Einen Sieg konnte die bei den Parallelimporten unterlegene Pharmalobby bei der
Produktehaftpflicht erwirken; diese hatte die vorberatende Kommission einführen wollen, unterlag aber mit 107 zu 63 Stimmen. Ohne nennenswerte Opposition passierten die Bestimmungen zum neuen
Heilmittelinstitut, in welches die interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) und die zuständige Fachstelle im Bundesamt für Gesundheit integriert werden
[42].
Der
Ständerat befasste sich in der Herbstsession ebenfalls sehr intensiv mit der Frage der
Parallelimporte. Im Vorfeld seiner Beratungen hatte er vom Bundesrat einen Zusatzbericht zu patentrechtlichen und wettbewerbspolitischen Fragen verlangt. Er wollte der Einfuhr billigerer Medikamente zwar nicht durchwegs eine Absage erteilen, fügte aber mit 31 zu 7 Stimmen eine weitere Beschränkung ein, indem dies nur für
nicht patentgeschützte
Arzneimittel möglich sein soll. Der Nationalrat hatte die Frage der Behandlung von patentgeschützten Produkten, der 1999 vom sogenannten „Kodak-Urteil“ des Bundesgerichtes ausgelöst worden war, den Patentrichtern überlassen wollen. Zudem fügte die kleine Kammer einen
„Erstanmelderschutz“ ein, der in der Praxis dazu geführt hätte, dass die vereinfachte Zulassung von Heilmitteln aus dem Ausland kaum mehr wirtschaftlich gewesen wäre, da die Zweitanmelder den ganzen (kostspieligen) Rechtsweg hätten beschreiten müssen, der zur Erteilung einer Erstzulassung nötig ist. Begründet wurde dieser Entscheid mit Zweifeln an der kostendämpfenden Wirkung der Massnahme sowie mit den Interessen der einheimischen Pharmaindustrie mit ihren rund 30 000 Beschäftigten. Naturgemäss mehr zu reden als im Nationalrat gab in der Ständekammer der Übergang der Kompetenzen in der Heilmittelkontrolle von den Kantonen auf den Bund. Ein Minderheitsantrag, die Erteilung von Bewilligungen für die Arzneimittelherstellung nicht dem eidgenössischen
Heilmittelinstitut, sondern den Kantonen zu übertragen, wurde aber mit 29 zu 3 Stimmen klar abgelehnt. Wie der Nationalrat hielt auch die kleine Kammer am generellen Verbot (mit Ausnahmen) beim
Versandhandel, beim Internethandel sowie bei der Werbung für rezeptpflichtige Medikamente fest; beim Versandhandel wollte er aber das Bewilligungsverfahren entgegen dem Vorschlag des Bundesrates den Kantonen übertragen
[43].
In der Differenzbereinigung sprach sich der Nationalrat auf Antrag seiner Kommission für ein umfassendes
Verbot des Parallelimports noch patentgeschützter Heilmittel aus, ohne aber die generellen patentrechtlichen Fragen zu präjudizieren. Eine weitergehende Regulierung mit einem „Erstanmelderschutz“ erachtete er hingegen als innovationshemmend und im Widerspruch zur kostendämpfenden Zielsetzung des KVG stehend. Beim Bewilligungsverfahren für den Versandhandel schloss er sich – wenn auch nur sehr knapp mit 82 zu 81 Stimmen – der Auffassung des Ständerates an. Dieser übernahm bei den Parallelimporten und weiteren kleineren Differenzen die Beschlüsse der grossen Kammer, womit das Heilmittelgesetz noch vor Ende Jahr definitiv bereinigt werden konnte
[44].
Einstimmig lehnte der
Nationalrat im Anschluss an diese Beratung die vom Detailhandelsgrossisten Denner eingereichte
Volksinitiative „für tiefere Arzneimittelpreise“ ab. Wie schon der Bundesrat widersetzte sich auch der Nationalrat diesen Vorschlägen aus Gründen der Patientensicherheit sowie im Namen der Therapiefreiheit der Ärzte. Dem Rat lag noch ein Kommissionsantrag vor, welcher die Initiative mit einem direkten Gegenvorschlag abfangen wollte. Die Befürworter dieser Lösung argumentierten, das Ansinnen der Initianten sei an und für sich legitim, wenn eben auch gefährlich formuliert; mit ihrem vielversprechenden Titel sei ein Erfolg der Initiative in der Volksabstimmung nicht auszuschliessen. Die bürgerliche Ratsmehrheit befand aber, mit dem neuen Heilmittelgesetz und den mit der 1. Teilrevision des KVG beschlossenen Massnahmen bezüglich der Abgabe von Generika seien die Fragen genügend geklärt. Der Kommissionsantrag wurde mit 77 zu 71 Stimmen knapp abgelehnt, die Denner-Initiative einstimmig verworfen
[45]. Oppositionslos wies auch der
Ständerat die Initiative ab, ebenso wie (mit 29 zu 5 Stimmen) einen Antrag Studer (sp, NE) auf Ausarbeitung eines Gegenvorschlags; anders als jener im Nationalrat betraf dieser nur die privilegierte Abgabe von Generika, nicht aber die Zulassung von Parallelimporten
[46].
Mit dem gleichen Argument (Heilmittelgesetz und 1. Teilrevision des KVG) lehnte das Parlament auch die vom Apothekerverein eingereichte
Arzneimittelinitiative ohne Gegenvorschlag ab. Im Nationalrat, wo sich nur gerade die SVP-Fraktion mehrheitlich hinter das Begehren stellte, erklärte Egerszegi (fdp, AG), Mitglied des Initiativkomitees, sie werde darauf hinwirken, dass die Volkinitiative zurückgezogen werde
[47].
Die
Wettbewerbskommission (Weko) nahm sich unzulässige Preisabsprachen der Pharma- und Gesundheitsbranche beim Vertrieb von Medikamenten vor. Ihrer Ansicht nach verstossen mehrere Bestimmungen in der geltendende
Margen- und Rabattordnung des Dachverbands der Arzneimittelbranche (Sanphar) gegen das Kartellgesetz. Die Weko kritisierte insbesondere, dass das Reglement genau vorschreibe, wie viel Rabatt Hersteller und Importeure beim Verkauf an Grossisten gewähren dürften; wer höhere Ermässigungen gebe, werde mit bis zu 100 000 Fr. gebüsst. Ausserdem würden nur Grossisten, die mindestens 10 000 Medikamente im Sortiment führten, günstigere Einkaufsbedingungen gewährt. Die Weko warf auch Apothekern und selbstdispensierenden Ärzten vor, ihre Margen untereinander abzusprechen und damit die Medikamentenpreise künstlich hoch zu halten. Nach Anhörung der interessierten Kreise verbot die Weko derartige Vereinbarungen
[48].
[42]
AB NR, 2000, S. 73 ff., 90 ff. und 164 ff. Vgl.
SPJ 1999, S. 249 f. Zur Zulässigkeit von Parallelimporten siehe oben, Teil I, 4a (Wettbewerb).42
[43]
AB SR, 2000, S. 589 ff.43
[44]
AB NR, 2000, S. 1318 ff. und 1612;
AB SR, 2000, S. 855 f. und 941.44
[45]
AB NR, 2000, S. 186 ff., 324 f. und 616. Vgl.
SPJ 1999, S. 250.45
[46]
AB SR, 2000, S. 290 ff. und 313.46
[47]
AB SR, 2000, S. 621 f. und 942;
AB NR, 2000, S. 1494 ff. und 1614. Siehe
SPJ 1999, S. 250 f.47
[48]
NLZ12.1.00;
TA, 30.3.00;
SHZ, 19.4.00; Presse vom 16.6.00.48
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