Année politique Suisse 2000 : Politique sociale / Groupes sociaux / Flüchtlingspolitik
print
Vollzug
Die Kommission für Flüchtlingsfragen versuchte herauszufinden, weshalb die Befolgung der Wegweisungsentscheide so schlecht ist. Sie ortete das Hauptproblem bei der langen Dauer der Verfahren. Sie empfahl deshalb dem Bundesrat, diese (inkl. Rekurse) auf sechs Monate zu verkürzen. Je länger der Aufenthalt in der Schweiz dauere, desto stärker sei die Integration und desto geringer die Bereitschaft zur Ausreise. Wenn die Wegweisung nicht innerhalb von sechs Monaten verfügt werden könne, beispielsweise weil sich das Herkunftsland in einem Ausnahmezustand befindet, sei die vorläufige Aufnahme zu gewähren. Die Kommission möchte die Frage prüfen, ob sich der Zugang zu Arbeitsmarkt und Ausbildung nicht mittelfristig positiv auf die Rückkehrbereitschaft auswirken könnte, weil damit eine wirtschaftliche Perspektive in der alten Heimat geschaffen würde. Zudem regte sie an, die „Rückkehr auf Probe“, die bei den Bosnien-Flüchtlingen bereits praktiziert wurde, ins gängige Repertoire für Kriegsflüchtlinge aufzunehmen [32].
Auf den 1. September hob der Bundesrat die im Vorjahr vorgenommene Ausdehnung des Arbeitsverbots für neueinreisende Asylbewerber von drei Monaten auf ein Jahr (resp. von sechs Monaten auf ein Jahr für vorläufig aufgenommene Personen) wieder auf. Da diese Massnahme aufgrund des „Notrechtsartikels“ des Asylgesetzes (Art. 9) eingeführt worden war, hätte ab dem 31. August keine rechtliche Basis für deren Weiterführung mehr bestanden [33].
Seit einigen Jahren gerät die Asylrekurskommission (ARK) zunehmend unter Druck der politischen Rechten. Nationalrat Fehr (svp, ZH) reichte zusammen mit 65 Mitunterzeichnenden eine Motion ein, die vom Bundesrat als Sofortmassnahme den Erlass von Ordnungsvorschriften verlangte, die eine „gesetzestreue“ Form des Rekurswesens sicherstellten. Fehr warf der ARK vor, durch eine fragwürdige bis unverantwortliche Praxis „dem Missbrauch des Asylrechts Vorschub“ zu leisten. Bundesrätin Metzler erklärte, die Aufsicht über die ARK sei gewährleistet, insbesondere auch durch die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments. Gesetzesänderungen seien immer möglich, doch bis es allenfalls so weit sei, müsse die Unabhängigkeit der ARK respektiert werden. Mit 62 zu 42 Stimmen wurde die Motion abgelehnt [34]. Die ARK hatte sich den Zorn der Rechtsbürgerlichen zugezogen, weil sie u.a. die „Drittstaatenregelung“, wie sie die Verordnung zum neuen Asylgesetz vorsah, für nicht zulässig erklärte. Bisher wurde der Aufenthalt in einem „sicheren“ Drittland toleriert, ohne dass der Asylbewerber, wenn der dort kein Asylgesuch eingereicht hatte, deshalb vom Verfahren ausgeschlossen wurde. Die neue Verordnung wollte verlangen, der Asylsuchende müsse belegen, dass er „ohne Verzug“ durch das Drittland transitiert sei. Die ARK befand, das Gesetz gebe keine Grundlage, um von der alten Praxis abzuweichen [35]. Auf Kritik vor allem bei der FDP stiess auch der Entscheid der ARK, Röntgenaufnahmen zur Bestimmung des Alters von Asylsuchenden nicht als Rechtsmittel zu anerkennen [36].
Bereits im Vorjahr hatte der Bund den Zeitpunkt der Rückreise für die während dem Kosovo-Konflikt vorläufig aufgenommenen Personen auf den 31. Mai des Berichtsjahres festgesetzt. Ende Februar wurde ein Rückübernahmeabkommen mit Albanien unterzeichnet, welches die Rückreise der Kosovaren über albanisches Gebiet regelt. Im März schlossen neun Staaten (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Deutschland, Italien, Kroatien, Österreich, Slowenien, Ungarn und die Schweiz) ein multilaterales Transitabkommen, das die visumsfreie Rückkehr der Flüchtlinge auf dem Landweg erlaubt. Mit der zivilen UNO-Verwaltung im Kosovo (Unmik) unterzeichnete Bundesrätin Metzler bei einem Besuch Anfang April ein „Memorandum of Understandig“, welches die Modalitäten der Rückführungen beinhaltete. Mitte April wurden erstmals seit Kriegsende 58 straffällige resp. „renitente“ Personen unter starkem Polizeigeleit nach Pristina geflogen [37]. Der Leiter der Unmik appellierte an die Schweiz, Kosovoflüchtlinge nicht in grosser Zahl zwangsweise auszuschaffen, da das Gebiet noch weit von beruhigten Verhältnissen entfernt sei und die massive Rückkehr von „Personen mit gewalttätiger Vergangenheit“ die Lage weiter destabilisieren könnte [38].
Anfang Mai wurden an einer Asylkonferenz, an welcher der Bund und die Kantone vertreten waren, die Modalitäten der Wegweisung der Menschen aus dem Kosovo beschlossen. Ein längeres Bleiberecht erhielten ethnische Minderheiten, die keiner der vorherrschenden Bevölkerungsgruppen zugeteilt werden können (Roma, Ashkali und Sinti) sowie Albaner aus Südserbien, für deren Sicherheit niemand hätte garantieren können; für sie wurde die Frist vorerst bis Ende August erstreckt und später bis Ende Mai 2001 verlängert. Jugendliche in anerkannter Ausbildung wurden ebenfalls von der Wegweisung ausgeschlossen, allerdings nur unter der Bedingung, dass ihre Familien ausreisen. Keine generelle Ausnahme gab es für besonders verletzliche Personen wie Betagte, Kranke und alleinstehende Frauen mit Kindern. Sie erhielten jedoch im Rahmen der Prüfung jedes Einzelfalls auf unzumutbare Härten die Chance, eine Bewilligung für den weiteren Aufenthalt zu erhalten. Das Tempo der Rückschaffungen blieb den Kantonen überlassen, wobei aber ein Kontingent von 500 Personen pro Monat vereinbart wurde; ab dem 1. Juni vergütete der Bund nur noch jenen Kantonen die Fürsorgekosten, die sich an die zahlenmässigen Vorgaben hielten [39].
Im November richtete die Unmik einen Appell an die westeuropäischen Länder, bis zum Frühling 2001 keine weiteren Flüchtlinge in den Kosovo zurück zu schicken, da das bürgerkriegszerstörte Gebiet zumindest während des Winters keinen weiteren Zustrom von Rückkehrern ohne gesicherte Unterkunft verkraften könne; eine Massenrückkehr sei kontraproduktiv für den Wiederaufbau und die Entwicklungsbemühungen. Während Belgien und Schweden beschlossen, vorderhand keine Flüchtlinge mehr zu repatriieren, blieb die Schweiz hart und entschied, am beschlossenen Rückführungsrhythmus festzuhalten [40].
Mit einem vorerst bis Ende 2001 befristeten Rückkehrprogramm für Asylsuchende aus Sri Lanka will das BFF vermehrt Personen zur freiwilligen Heimkehr ermuntern. Das Programm sieht für Erwachsene 1000 Franken und für Minderjährige 500 Franken Rückkehrgeld sowie Hilfestellungen bei Forderungen gegenüber AHV und Pensionskassen vor. Zur Verbesserung der beruflichen Startchancen im Heimatland soll zudem Fachwissen für den Aufbau einer neuen Existenz vermittelt werden [41].
 
[32] Presse vom 16.2.00. Eine raschere Abwicklung des Asylverfahrens verlangte auch eine als Postulat überwiesene Motion der FDP-Fraktion (AB NR, 2000, S. 1185 f.). 32
[33] NZZ, 29.1.00; Presse vom 15.6.00. Eine Motion Eymann (lp, BS) sowie ein Postulat Aeppli (sp, ZH), welche die Aufhebung des Arbeitsverbots verlangten, wurden daraufhin zurückgezogen (AB NR, 2000, S. 669 f.). 33
[34] AB NR, 2000, S. 1186 f. Siehe auch die Antwort des BR auf eine Frage Fehr in der Fragestunde der Herbstsession (a.a.O., S. 1059 f.); NLZ, 28.4.00 (Vorwürfe Fehr). Eine Motion Mathys (svp, AG), die zur Straffung des Asylverfahrens Korrekturen bei den Rekursmöglichkeiten verlangte, wurde ebenfalls abgelehnt (AB NR, 2000, S. 1193). Siehe SPJ 1999, S. 295. 34
[35] NZZ, 20.1. und 28.4.00; BaZ, 9.3.00. Siehe SPJ 1999, S. 293. 35
[36] TA, 22.2.00; Bund, 27.9.00; NZZ, 28.9.00. 36
[37] Presse vom 1.3., 8.4. und 13.4.00; NZZ, 22.3.00. 37
[38] LT, 17.4.00. 38
[39] Presse vom 5.5., 31.5. und 18.8.00. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hielt die Rückreise in den Kosovo für zumutbar: für Familien, die seit mehr als vier Jahren in der Schweiz leben und deren Kinder eingeschult sind, verlangte sie ein verlängertes Bleiberecht (Presse vom 15.3.00). In seiner Antwort auf eine Interpellation Beerli (fdp, BE) erklärte der BR, eingeschulte Kinder sollten das Schuljahr beenden können, aber spätestens vor Beginn des neuen Schuljahres ausreisen (AB SR, 2000, S. 204 f.). 39
[40] Presse vom 24.11. und 30.11.00. 40
[41] Presse vom 31.10.00. 41