Année politique Suisse 2000 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Kirchen
print
Vereinnahmende Bewegungen
Entgegen dem Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Nationalrates vom Vorjahr, sieht der Bundesrat keinen Anlass, eine schweizerische „Sektenpolitik“ zu definieren. In seiner Stellungnahme attestierte der Bundesrat der GPK, ein gesellschaftlich bedeutendes Thema aufgegriffen zu haben. Der Ruf nach staatlichen Eingriffen zum Schutz der Betroffenen und ihrer Angehörigen sei zwar verständlich, doch sei das Staatswesen an die Grenzen der Rechtsordnung gebunden. Der Bundesrat müsse die Glaubens- und Gewissensfreiheit respektieren und der föderalistischen Struktur der Schweiz, welche die Kultushoheit den Kantonen überantwortet, Rechnung tragen. Er nehme gegenüber Sekten und vereinnahmenden Bewegungen seit Jahren eine klare Haltung ein, doch sei es nicht seine Aufgabe, eine spezielle Sektenpolitik zu formulieren. Die Staatsschutzorgane dürften nur dann aktiv werden, wenn konkrete Anzeichen einer Gefährdung der inneren Sicherheit gegeben seien, es sich um rassistische Aktivitäten oder organisierte Kriminalität handle resp. ein ausländisches Verbot der Organisation vorliege. Der Präsident der GPK, der Berner SP-Nationalrat Tschäppat, bezeichnete die Stellungnahme des Bundesrates als „peinlich“. Es gehe nicht um die Glaubens- und Religionsfreiheit, sondern um den Missbrauch von abhängigen Mitgliedern in vereinnahmenden Gruppierungen. Die Haltung der Landesregierung sei auch im europäischen Umfeld unverständlich. Frankreich, Deutschland, Österreich und Belgien hätten in der Sektenfrage Massnahmen ergriffen, obgleich auch diese Länder sich der Glaubensfreiheit verpflichtet fühlten [61].
Anders als im Vorjahr Basel-Stadt, erreichte die Stadt Zürich im Kampf gegen die als unlauter eingestuften Werbemethoden von „Scientology“ vor Bundesgericht nur einen Teilerfolg. Im Gegensatz zum Basler Fall, wo sich die Scientologen auf die Religionsfreiheit berufen hatten, machten sie nun die Gewerbefreiheit geltend, um weiterhin in der Öffentlichkeit Propagandamaterial für ihre Kurse verteilen zu dürfen. Die Lausanner Richter befanden, Zürich könne die Verteilung von Werbeprospekten zwar gewissen Bedingungen unterstellen, nicht aber generell verbieten [62]. Im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich, wo die Aktivitäten von „Scientology“ wegen nachweislicher Unterwanderung von Behörden und Gesellschaft seit mehreren Jahren vom Staatsschutz eng überwacht werden, kam das Bundesamt für Polizei zum zweiten Mal nach 1998 zum Schluss, es dränge sich keine besondere Beobachtung im Hinblick auf die innere Sicherheit des Staates auf [63].
 
[61] Presse vom 30.6.00. Diese Haltung des BR wurde auch von der „Infosekta“, einer privaten Dokumentationsstelle, die seit rund zehn Jahren vereinnahmende Gruppierungen beobachtet, als das Phänomen über Gebühr verharmlosend scharf kritisiert. Siehe dazu Lit. Infosekta sowie Lit. Pahud de Mortanges. Vgl. SPJ 1999, S. 334 f.61
[62] LT, 1.7.00. Siehe dazu die ausführliche Darstellung in: Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht, 2000, S. 120-124. Vgl. SPJ 1999, S. 335. Überraschend erteilte der Zürcher Bildungsrat der Scientology-Privatschule Ziel (Zentrum für individuelles und effektives Lernen) eine generelle Bewilligung zum Führen einer Schule für Kinder und Jugendliche, obgleich das Bundesgericht 1997 die aus Scientologen zusammengesetzte Trägerschaft als nicht vertrauenswürdig bezeichnet hatte (TA, 24.6.00).62
[63] Presse vom 16.12.00.63