Année politique Suisse 2000 : Enseignement, culture et médias / Médias
Presse
Die Zahl der
Pressetitel in der Schweiz sank im Berichtsjahr auf 224, wobei die Anzahl Tageszeitungen mit 97 Titeln unter 100 fiel. Vollredaktionen gab es statt 45 nur noch 43. Gemäss Schätzungen des „media trend journals“ (MTJ) lag die Auflage der Deutschschweizer Tageszeitungen unverändert bei rund zwei Millionen Exemplaren, wobei die zehn grössten Zeitungen gemeinsam auf gut 1,6 Millionen kamen. Gesamtschweizerisch errechnete der Verband Schweizer Presse eine
Auflage aller Zeitungen (232 Titel, die zwischen ein- und sechsmal in der Woche erscheinen, ohne Berücksichtigung von Gratiszeitungen, Amtsblättern, Interessen- oder Mitgliedschaftspresse) von 4,2 Millionen Stück
[13]. Ein ansehnliches reales Wachstum von deutlich über 6% konnte die Schweizer Presse im
Inserategeschäft verbuchen, was sowohl auf den konjunkturbedingten Boom der Stellenanzeigen als auch auf die Belebung und Ausweitung des Marktes durch neue Titel – so insbesondere die neuen Pendlerzeitungen – zurückzuführen war
[14].
Den Forderungen der Wirtschaft nach aktuelleren und verlässlicheren Zahlen zum
Verhalten der Leserschaft im Printbereich – wie sie für die elektronischen Medien täglich geliefert werden – begegnete die AG für Werbemedienforschung (WEMF) mit einem Systemwechsel bei ihren Befragungen. Die „
MACH Basic 2000“ basierte auf einer neuen, an internationale Standards angepassten Erhebungsmethode, womit Vergleiche mit der „MACH Basic 99“ nicht mehr zulässig waren. Indem die neue Methode die Aufmerksamkeit vom Werbeträger Zeitung oder Zeitschrift hin zum Werbemittel, dem Inserat, hinlenkt, soll die Messung des Leserschaftsverhaltens möglichst nahe an der Realität sein. Aus der „härteren“ Abfrage der „MACH Basic 2000“ resultierten generell niedrigere Leserzahlen, wobei die Rangfolge innerhalb der verschiedenen Titelgruppen (Tages- und Wochenzeitungen, wöchentliche Zeitschriften, Monats- oder Special-Interest-Titel) stabil blieben. Die meistgelesene Tageszeitung war wie bisher der „Blick“ mit einer Reichweite von 742 000 Leserinnen und Lesern gefolgt vom „Tages-Anzeiger“ mit 616 000 und der „Neuen Zürcher Zeitung“ mit 308 000. Zu den „grossen“ Tageszeitungen mit hohen Leserinnen- und Leserzahlen gehörten im weiteren „Le Matin“ (274 000), die „Berner Zeitung“ (255 000), „24 heures“ und die „Südostschweiz“ (beide 232 000), die „Neue Luzerner Zeitung“ (223 000), die „Aargauer Zeitung“ (221 000), das „St. Galler Tagblatt“ (220 000) und die „Basler Zeitung“ (218 000)
[15].
Im Mai des Berichtsjahres trat ein
neuer Gesamtarbeitsvertrag (
GAV) für Journalistinnen und Journalisten sowie für das technische Redaktionspersonal in Kraft. Trotz Kritik vor allem seitens kleiner Verlage, die sich mit markant höheren Belastungen bei den Lohnrechnungen konfrontiert sahen, setzte sich der Antrag des Präsidiums des Verbands Schweizer Presse auf Inkraftsetzung durch. Der zäh ausgehandelte Vertrag wurde dem seit 1997 herrschenden vertragslosen Zustand vorgezogen. Laut der Mediengewerkschaft Comedia, die dem GAV bereits im Februar knapp zugestimmt hatte, waren schliesslich der Verzicht der Gewerkschaften auf einen gesamtschweizerischen Minimallohn sowie die Furcht der Verleger vor Kampfmassnahmen für den zustimmenden Entscheid ausschlaggebend gewesen. Zentrale Punkte des GAV, der auch das mit der Aufbereitung der Printmedien im Internet betraute Personal umfasste, waren verbesserte
Kompensationen im Bereich Nacht- und/oder Sonntagsarbeit sowie die nach geographischen Regionen in drei Kategorien und nach vier Dienstaltersklassen abgestuften
Mindestlöhne. Der Schweizer Verband der Journalistinnen und Journalisten (SVJ) stimmte dem GAV ebenfalls zu
[16]. Im Juli kündigten etliche Kleinverleger vorsorglich ihre Mitgliedschaft beim Verband Schweizer Presse (CH-P)
auf. Laut Comedia verliessen praktisch die gesamte Presse um den Zürichsee und im Tessin, das Verlagshaus der Südostschweiz Presse AG, einige Zeitungen mit Kleinstauflagen und die Schweizerische Depeschenagentur (sda) den Verband. Grund für die Austritte waren Differenzen bei der Festsetzung der Mindestlöhne, fallweise aber auch die grundsätzliche Ablehnung des neuen GAV. Gestützt auf ein Urteil des Bundesgerichts vom 13. Juni hielt die Comedia fest, die GAV-Normen hätten bis zum Ablauf der Vertragsdauer im Jahre 2004 auf das Arbeitsverhältnis anwendbar zu bleiben, auch wenn der Arbeitgeber aus dem Verband ausgetreten sei
[17].
Unter dem Motto „
News for free“ setzten die
Gratiszeitungen ihren Vormarsch auf dem Schweizer Medienmarkt fort. Vorerst im Grossraum Zürich – im Laufe des Herbsts aber auch in den Regionen Basel, Bern, Aarau, Luzern und St. Gallen – wurden die Gratisblätter „
20 Minuten“ und „
Metropol“ (ursprünglich als „Metro“ angekündigt) verteilt. „Metropol“ setzte nebst einer lokalen Ausgabe für Zürich auch auf eine
nationale Ausgabe mit einer Auflage von 285 000 Exemplaren, um in die Regionen Luzern, Aarau, Basel und Bern expandieren zu können. „20 Minuten“ warf hingegen regionale Ausgaben in Bern und Basel auf den Markt. Dort sicherte sich das Gratisblatt ein Exklusivrecht für das Aufstellen von Verteilboxen an Bahnhöfen, in Trams und Bussen
[18]. Um der seit längerem angekündigten Lancierung von Gratiszeitungen auf dem Basler Medienmarkt nicht tatenlos zusehen zu müssen, schritt die Basler Mediengruppe (BMG) zur Umgestaltung und redaktionellen Aufwertung des traditionellen Lokalanzeigers „
Baslerstab“. Die BMG hoffte, den „Baslerstab“ dadurch auch für den Inseratemarkt interessanter zu machen und teilweise jene Lücke zu füllen, welche die im Juni letztmals erschienene Wochenzeitung „Basler Woche“ hinterlassen hatte. Diese Gratis-Wochenzeitung hatte sich mit einer Auflage von 177 000 einen bedeutenden Platz in der lokalen Berichterstattung gesichert
[19].
Ein Blick auf die ersten veröffentlichten
Leserzahlen wies
im Raum Zürich den „
Zürich-Express“ gegenüber „Metropol“ und „20 Minuten“ als klaren Sieger aus. Dieser sicherte sich im Verbreitungsgebiet „Grossraum Zürich“ (Winterthur, Baden, Wetzikon, Lachen) 192 000 Leserinnen und Leser. „20 Minuten“ erreichte in demselben Gebiet eine Leserschaft von 171 000 Personen. „Metropol“, die Pendlerzeitung mit dem grössten, bis nach Glarus, Schaffhausen und Zurzach reichenden Verbreitungsgebiet kam auf 124 000 Leserinnen und Leser. Gegen Jahresende belief sich die Auflage der beiden letztgenannten Blätter nach eigenen Angaben auf je 150 000. In Basel und Bern setzte „Metropol“ zwischen 35 000 und 40 000 Exemplare ab, „20 Minuten“ zwischen 60 000 und 70 000. Auch wenn eine Erosion bei den Kioskverkäufen etablierter Blätter zu verzeichnen war, blieb der Rückgang kleiner als erwartet. Mittel- und langfristige Auswirkungen auf die traditionellen Zeitungen liessen sich noch nicht eruieren, fehlten doch genaue Zahlen über Verkaufseinbussen oder -zunahmen. Die neuen Produkte schienen aber den Markt vorläufig eher zu vergrössern beziehungsweise das Interesse insbesondere junger Leserinnen und Leser am Zeitungslesen generell zu wecken
[20].
Aufgrund des
Fusionsvorhabens zwischen der Berner Tagblatt Medien AG (BTM) und der neu gegründeten Berner Oberland Medien AG verschwanden im
Berner Oberland die Regionalausgabe Thun und Oberland der „Berner Zeitung“ (BZ) sowie das bisherige Kopfblatt des „Berner Oberländers“, das „Oberländische Volksblatt“ in Interlaken. Das „Thuner Tagblatt“ und der „Berner Oberländer“ wurden demgegenüber mit integriertem „Oberländischen Volksblatt“ zu BZ-Kopfblättern. Der Mantel mit Ausland-, Inland-, Wirtschafts- und Sportinformationen sowie Unterhaltung wird von der BZ geliefert – ebenso wie die Akquisition nationaler Inserate. Die
Wettbewerbskommission (Weko) prüfte Mitte des Jahres, ob die Fusion verboten oder nur unter Auflagen zugelassen werden sollte. Sie befand, dass das Fusionsprojekt wirksamen Wettbewerb nicht verhindere. Hatte die Weko 1998 gegen ein Projekt der BTM zur Übernahme des „Thuner Tagblatts“ noch Einspruch erhoben, verwies sie nun auf die Veränderungen in der Berner Medienlandschaft: Aufgrund einer erhöhten Beteiligung der NZZ-Gruppe an der Berner Zeitung „Der Bund“ von 45 auf 90 % sei dessen Position gestärkt und ein ausgeglichenerer Wettbewerb ermöglicht worden
[21].
Der bereits 1995 begonnene
Berner Anzeiger-Streit konnte auch in diesem Jahr nicht beigelegt werden. Die Einwohnergemeinde Bern und die 15 Partner des Verbands „Anzeiger für Bern-Land und angeschlossene Gemeinden“ beschlossen in einem vorerst 15 Jahre geltenden Vertrag die gemeinsame Herausgabe des „
Anzeiger Region Bern“ als Fusionsprodukt von „Stadtanzeiger“ und „Anzeiger rund um Bern“. Im Mai erhielt der Bund-Verlag im Submissionsverfahren für die Anzeiger-Konzession den Zuschlag. Das BTM-Tochterunternehmen Büchler Grafino AG, das ebenfalls eine Offerte eingereicht hatte, ging leer aus. Unmittelbar daraufhin kündigte die BTM-Gruppe die Herausgabe einer neuen Gratis- und Pendlerzeitung an. Unter dem Namen „
Berner Bär“ lancierte sie im September ein Fusionsprodukt aus „Tagblatt für die Stadt Bern“ und bisherigem „Berner Bär“
[22].
Ein gewichtiger Zeitungszusammenschluss erfolgte mit der Fusion von sechs Thurgauer Titeln zur „
Neuen Thurgauer Zeitung“ mit einer erwarteten Auflage von rund 45 000 Exemplaren. Auf Anfang 2001 ersetzt diese die „Thurgauer Zeitung“ und die „Bischofszeller Zeitung“ aus dem Verlag der Frauenfelder Huber & Co. AG sowie den „Thurgauer Volksfreund“, das „Thurgauer Tagblatt“, die „Thurgauer Volkszeitung“ und die „Bischofszeller Nachrichten“ aus der Ruckstuhl-Verlagsgruppe. Trägerin der neuen Zeitung wird die neu gegründete Gesellschaft Thurgauer Medien AG. Als Antwort darauf stellte das „St. Galler Tagblatt“ Ende Jahr die Lancierung des „
Mittelthurgauer Tagblatts“ ab Januar 2001 in Aussicht. Unter diesem Namen soll ein Teil der im Thurgau erscheinenden Auflage des „St. Galler Tagblatts“ vertrieben werden
[23]. Schliesslich kündigte auch noch die neu gegründete „Frauenfelder Medien AG“ für Januar 2001 die Herausgabe einer neuen, dreimal wöchentlich erscheinenden Gratiszeitung an. Die „
Neue Frauenfelder Woche“ soll in einer Auflage von 50 000 Exemplaren als „Qualitätszeitung“ mit lokaler und regionaler Ausrichtung vorwiegend durch Hauszustellung gratis verteilt werden
[24].
Die Weko konnte aufgrund ihrer im Juli 1999 eröffneten Untersuchung über Abonnements- und Inseratenpreise in der
Tessiner Presselandschaft keine Preisabsprachen unter den drei grossen Tageszeitungen „Corriere del Ticino“, „La Regione“ und „Giornale del Popolo“ ausmachen. Per Verfügung genehmigte sie eine einvernehmliche Regelung zwischen den entsprechenden Verlagshäusern und dem Tessiner Verlegerverband, welche sich verpflichteten, künftig jegliche Preisabrede über die Verkaufspreise ihrer Zeitungen zu unterlassen
[25].
„
Der Bund“ konnte sein 150-jähriges
Jubiläum und das „
Israelitische Wochenblatt„ sein 100-jähriges Jubiläum feiern. Unter Anwesenheit von viel Prominenz und von bundesrätlichen Festreden umrahmt wurden der Medienleistung und der Geschichte der beiden Blätter gedacht. Das „Israelitische Wochenblatt“ ist mit der „Revue Juive“ eine der beiden bedeutendsten jüdischen Wochenpublikationen der Schweiz
[26]. Ihre
tausendste Ausgabe feierte die „
Wochenzeitung „ WoZ und liess diese in einer erhöhten Auflage (100 000 Stück) von prominenten Gastautorinnen und -autoren aus Politik, Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft und Sport verfassen. Die WoZ, die sich als einzige links-alternative Zeitung einen Platz in der Schweizer Presselandschaft hatte sichern können, blickte optimistisch in die Zukunft und diskutierte einen Aufbau von Regionalteilen gemäss Luzerner Vorbild. Anfangs Jahr hatte die WoZ die 1999 eingestellte Wochenzeitung „
Luzern heute“ in Form eines zusätzlichen, von einer festen Redaktion in Luzern verfassten und in der Innerschweiz verkauften Regionalbunds wieder auf dem Markt lanciert
[27]. Auf sein zehnjähriges Bestehen konnte der „
Mattino della Domenica“ zurückblicken. Der Geburtstag der allsonntäglichen Gratiszeitung des Präsidenten der Lega dei Ticinesi, Giuliano Bignasca, fand in der Presse mehrheitlich kritische Würdigungen, wurde dem Blatt doch unter anderem die Verantwortung für eine Verrohung der Tessiner Politik zugeschoben. Tatsächlich hatte der „Mattino della Domenica“ bereits des öfteren wegen obszönen und sexistischen Attacken gegen Politikerinnen und Politiker für Schlagzeilen gesorgt
[28].
[13] Le@d, 3/01;
BZ, 29.12.00.13
[14]
NZZ, 20.10.00 und 19.1.01.14
[15] Presse vom 12.9.00;
TG, 14.9.00.15
[16]
NZZ, 28.2., 6.4. und 8.4.00. Vgl.
SPJ 1999, S. 340.16
[17]
NZZ, 7.7.00;
WoZ, 12.10.00.17
[18] Presse vom 25.1., 29.1., 1.2., 9.9., 14.9. und 3.10.00;
Ww, 3.2.00;
NZZ, 24.3., 31.5. und 20.12.00;
Bund 20.5.00;
LT, 26.6.00;
WoZ, 27.7.00. Vgl.
SPJ 1999, S. 340.18
[19] Presse vom 22.6. und 2.9.00;
BaZ, 9.8., 12.9. und 12.10.00.19
[20]
AZ, 31.8.00;
NZZ, 7.9.00; Presse vom 2.12.00;
SGT, 16.12.00;
BZ, 29.12.00.20
[21]
BBl, 2000, S. 3354; Presse vom 30.3. und 23.8.00;
TA, 31.3.00;
Ww, 6.4.00;
BaZ, 14.6.00;
NZZ, 24.8.00. Vgl
. SPJ 1998, S. 336.21
[22]
TA, 20.5.00; Presse vom 26.5.00;
BZ, 5.9.00;
Bund, 6.9.00. Vgl.
SPJ 1995, S. 304.22
[23] Presse vom 30.10. und 21.12.00;
LT, 31.10.00;
Bund, 1.11.00;
SGT, 18.11.00. Die Neulancierung aus St. Gallen hätte ursprünglich „Neues Thurgauer Tagblatt“ heissen sollen; der Titel wurde aber rechtlich angefochten und daraufhin modifiziert.23
[25]
CdT, 9.2.00. Vgl.
SPJ 1999, S. 342. Zur Unabhängigkeit der Medien im Tessin siehe
NZZ, 11.8.00.25
[26] Presse vom 30.9.00;
Bund, 2.10.00;
BaZ, 21.11.00.26
[27]
NZZ, 3.2.00;
WoZ, 10.3.00; Presse vom 16.3., 21.10., 26.10. und 27.10.00. Vgl.
SPJ 1999, S. 341.27
[28] Presse vom 18.3.00; vgl.
SPJ 1999, S. 338.28
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