Année politique Suisse 2001 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Im Januar bestätigten die Christlichdemokraten an ihrer Delegiertenversammlung in Bern vorerst nur Parteipräsident Adalbert
Durrer sowie die Mitglieder des Vizepräsidiums Rosmarie
Zapfl und François
Lachat in ihren Funktionen. Während Fraktionschef Jean-Philippe Maître von Amtes wegen Einsitz im Präsidium nahm, sollten die restlichen drei Sitze erst an der nächsten Delegiertenversammlung vom Mai besetzt werden. Viele Kantonalsektionen forderten, die Leitung mit politischen Schwergewichten zu besetzen und die Partei politisch weiter rechts auszurichten, um der SVP Einhalt zu gebieten
[23].
Ende Februar gründeten wertkonservative CVP-Parlamentarier um Nationalrat Hans Werner Widrig (SG) und Ständerat Philipp Stähelin (TG) eine neue parlamentarische Untergruppe „
Werte und Gesellschaft“, um den Mitte-Links-Kurs der Mehrheit der Fraktion zu korrigieren und um der SVP in den CVP-Stammlanden entgegenzutreten
[24].
Mitte März gab Adalbert
Durrer überraschend seinen
Rücktritt als Parteipräsident und ab Herbst auch als Nationalrat bekannt. Er wechselte anschliessend als PR-Direktor zur Grossbank UBS. Bald wurde die Forderung laut, dass auch die beiden Vizepräsidenten, die wegen ihrer pro-EU Politik kritisiert wurden, neuen Leuten Platz machen müssten. Vom neuen Präsidium wurde verlangt, dass es die verschiedenen Strömungen der Partei vereinen könne
[25].
Die für die Nachfolge zuständige Arbeitsgruppe unter der Leitung von Nationalrat Peter Hess nominierte den Thurgauer Ständerat
Philipp Stähelin
als neuen Präsidenten und schlug die St. Galler Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz, den Tessiner Ständerat Filippo Lombardi und die Präsidentin der CVP Frauen und Nachfolgerin von Brigitte Hauser, Ida Glanzmann, als Mitglieder des CVP-Präsidiums vor. Der Walliser Nationalrat Jean-Michel Cina sollte im Hinblick auf die Erneuerungswahlen 2003 die Verantwortung für die Strategie- und Programmarbeit der Partei übernehmen. Mitte Mai bestätigten die CVP-Delegierten in Wil die neue Leitung und beriefen die Aargauer Nationalrätin Doris Leuthard anstelle von Rosmarie Zapfl ins Vizepräsidium. Damit wurden alle ursprünglich als Favoriten für die Nachfolge Durrers gehandelten Personen in die neue Parteileitung eingebunden
[26].
Anfang April gab auch Generalsekretär Hilmar
Gernet seinen Rücktritt bekannt, damit die neue Führung eine Person ihrer Wahl bestimmen konnte. Seine Nachfolge trat der protestantische 30-jährige Aargauer Reto Nause an, der durch sein provokatives Politmarketing Aufsehen erregt und Doris Leuthard auf Anhieb in den Nationalrat gebracht hatte. Für die CVP Aargau hatte er den 1991 verlorenen dritten Nationalratsitz zurückerobert und den Wähleranteil von 14% auf 16% gesteigert. Neue Pressesprecherin wurde die 25-jährige Aargauerin Béatrice Wertli; politischer Fraktionssekretär der Genfer Pierre-Antoine Gobet
[27].
Überraschend beschlossen die CVP-Delegierten gegen die Empfehlungen von Bundesrat und Parlament und ihres Präsidenten Adalbert Durrer mit 189:148 Stimmen bei drei Enthaltungen die
Ja-Parole für die EU-Beitrittsinitiative. Ausser Basel, Bern und Freiburg beschlossen alle übrigen CVP-Kantonalsektionen die Nein-Parole. Nach der Abstimmung gab sich Durrer überzeugt, dass die Ja-Parole der CVP Schweiz zu weiteren Stimmenverlusten an die SVP im
Aargau und in Solothurn geführt habe
[28].
Mitte März beschloss der CVP-Vorstand, das
Referendum gegen die Fristenregelung zu ergreifen. Gleichzeitig beauftragte er die Fraktion, mittels einer parlamentarischen Initiative das CVP-Schutzmodell nochmals ins Gespräch zu bringen. Die CVP Frauen weigerten sich, das Referendum zu unterstützten, wollten sich aber auch nicht dagegen engagieren. Statt den geforderten 50 000 Unterschriften brachte die CVP lediglich 32 000 zustande. Für die Abstimmungskampagne erwog sie eine Zusammenarbeit mit der „Gesellschaft für den Schutz des ungeborenen Lebens“, die unter anderem von der EVP getragen wurde, distanzierte sich jedoch nicht klar von der aggressiven Kampagne der radikalen Abtreibungsgegner „Hilfe für Mutter und Kind“, was ihr Kritik einbrachte
[29].
An der Delegiertenversammlung in Wil befürwortete die überwiegende Mehrheit der CVP die Streichung des
Bistumsartikels und hiess die Militärgesetzrevisionen gut
[30].
In einem Positionspapier zum
Service public sprach sich die CVP dafür aus, dass der Bund die Mehrheit an den Swisscom-Aktien behalten sollte. Noch im Frühling hatte sie für den Verkauf optiert unter der Bedingung, dass der Bund mehr als einen Drittel aller Aktien als „Sperrminorität“ behalte
[31].
Ende Juli forderte nach der SVP und der FDP auch die CVP überraschend die Planung einer zweiten
Tunnelröhre durch den Gotthard, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Während die Nidwaldner und Schwyzer Christlichdemokraten den Vorstoss begrüssten, stiess er bei den Urnern und Luzernern auf Kritik. Sie monierten, dass die Forderung nicht breiter diskutiert und dass insbesondere Uri als betroffener Kanton zu wenig in die Meinungsbildung miteinbezogen worden war
[32].
Anfangs August hielt der für Strategie und Kommunikation zuständige Jean-Michel Cina seiner Partei die
übereilten Positionsänderungen der letzten Zeit zum Service public, der zweiten Gotthardröhre und in der Familienpolitik vor. Er forderte, einmal gefasste Standpunkte nicht ohne Not aufzugeben und Änderungen innerparteilich breit abzustützen, damit die CVP für die Wählerinnen und Wähler berechenbar bleibe
[33].
Im November schlug die CVP als letzte Bundesratspartei neue Massnahmen für die
Reform der Krankenversicherung vor. Die Spitäler müssten von den Kantonen gelöst und zu unabhängigen Unternehmen werden. Die Kantone hingegen sollten die Kassen entlasten, indem sie Einzelfälle von über 100 000 Fr. und die Kosten für die Reduktion der Kinderprämien übernähmen. Der aktuelle Leistungskatalog sei durch eine vom BSV unabhängige Zulassungsbehörde zu überprüfen
[34].
Kurz vor Weihnachten präsentierte die CVP ihr
Agrar-Leitbild. Sie wehrte sich gegen die Aufhebung der Milchkontingentierung und den Abbau der Marktstützung, da sie die Landwirtschaft als Teil des Service public betrachte. Bei den Direktzahlungen sollten Einkommens- und Vermögensobergrenzen beibehalten werden
[35].
In den kantonalen Parlamentswahlen büsste die CVP insgesamt fünf Sitze ein: Während sie im Wallis wieder ihre alte Stärke erlangte und vier Mandate hinzu gewann, musste sie im Aargau fünf und in Solothurn vier Sitze abtreten – in beiden Kantonen zugunsten der SVP. In den Regierungsratswahlen in Genf konnte die CVP einen zusätzlichen Sitz auf Kosten der FDP erringen.
[23]
SoZ, 21.1.01; Presse vom 22.1.01. Zur Besetzung des Präsidiums:
SoZ, 14.1.01;
NZZ, 17.1.01;
SGT, 19.1.01. 23
[24]
Lib. und
QJ, 1.2.01; Presse vom 6.-8.2. und 19.-26.2.01. Zu den Mitgliedern von „Werte und Gesellschaft“ gehörten aus der grossen Kammer Elvira Bader (SO) als Präsidentin, Toni Eberhard (SZ), Heinrich Estermann (LU), Rudolf Imhof (BL), Josef Leu (LU), Arthur Loepfe (AI), Thérèse Meyer (FR), Hansueli Raggenbass (TG) und Hans Werner Widrig (SG) sowie die Ständeräte Rolf Escher (VS), Bruno Frick (SZ), Hansheiri Inderkum (UR), Carlo Schmid (AI), Marianne Slongo (NW) und Philipp Stähelin (TG). Geplant war, dass die Gruppe 25 bis 30 Mitglieder und damit die halbe Fraktion umfassen würde: Die Gewerbegruppe würde sich anschliessen, ebenfalls die Landwirtschaftsgruppe, welche jedoch als Untergruppe weiter existierte. Bestehen blieben die Gruppen der Lateiner und der Christlich-Sozialen (
SGT, 24.2.01). 24
[25] Presse vom 16.3. und 17.3.01. 25
[26] Presse vom 4.4., 10.4. und 18.4.01;
BZ, 27.4.01 (Stähelin); Presse vom 2.5. und 14.5.01 (Glanzmann);
SGT, 27.2.01;
TA, 28.2.01;
NLZ und
SGT, 30.4.01. 26
[27] Presse vom 7.4. (Gernet) und 27.4.01 (Felber);
LT, 12.7.01;
BZ, 12.7. und 17.7.01; Presse vom 13.7.01;
Lib., 18.7.01 (Nause und Generalsekretariat). 27
[28]
SoZ, 21.1.01; Presse vom 22.1.01. Zu den mögliche Folgen des Entscheids für die CVP: Presse vom 23.1. und 6.3.01. 28
[29] Presse vom 17.3.01;
AZ, 7.6.01;
BZ, 6.7.01; Presse vom 10.7.01;
LT, 21.8.01. 29
[30] Presse vom 14.5.01. 30
[31] Presse vom 12.7.01. 31
[32] Presse vom 28.7.01;
NLZ und
TA, 31.7.01;
TA, 10.8.01. 32
[34] Presse vom 20.11.01. 34
[35] Presse vom 19.12.01. 35
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