Année politique Suisse 2001 : Politique sociale / Population et travail
Löhne
Gemäss den Berechnungen des
BFS stiegen die Nominallöhne 2001 um durchschnittlich 2,5% gegenüber dem Vorjahr. Angesichts der schwachen Inflationsrate machten die
Reallöhne mit einem Plus von
1,5% den grössten Sprung nach oben seit 1991. Die Lohnentwicklung profitierte vom deutlichen Konjunkturaufschwung im Jahr 2000 und den positiven Aussichten für 2001. Mit einem Plus von 2,7% verzeichnete der sekundäre Sektor ein kräftigeres Nominallohnwachstum als der tertiäre (+2,3%) und der primäre Sektor (+1,7%). Die bedeutendsten Steigerungen ergaben sich im industriellen Sektor bei der Herstellung elektrischer und elektronischer Geräte (+3,6) sowie in der chemischen Industrie (+3,0%). Im Dienstleistungssektor konnten die Branchen Versicherungsgewerbe (+3,6%) und Banken (+4,2%) klar überdurchschnittlich zulegen; unter der 2%-Marke blieb das Lohnwachstum hingegen im Gastgewerbe (+1,8%) sowie in der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheits- und Sozialwesen (je +1,5%). Die Konjunkturforschungsstelle der ETH (
KOF), die von anderen Daten ausgeht als das BFS (AHV- anstatt SUVA-Statistik) kam demgegenüber auch dieses Jahr zu höheren Werten. Gemäss KOF nahmen die Löhne real um mindestens
2,4% zu
[13].
In den Herbstverhandlungen für die
Löhne 2002 verlangten die Gewerkschaften über alle Branchen hinweg Lohnerhöhungen von vier bis fünf Prozent. Sie argumentierten, die Arbeitnehmenden hätten in schlechten Zeiten auf den Teuerungsausgleich verzichtet und zur Produktivitätssteigerung beigetragen, weshalb jetzt Nachholbedarf bestehe. Die Explosion der Managerlöhne beweise, dass bei den Firmen das Geld dazu vorhanden sei. Zudem sollten ihrer Auffassung nach der Teuerungsausgleich und kollektive Lohnanpassungen wieder mehr Gewicht gegenüber der individuellen Leistungskomponente erhalten
[14]. Die Arbeitgeber, die im Juni noch eine Erhöhung um drei Prozent nicht ausgeschlossen hatten, krebsten im Lauf des Sommers und des Herbsts auf rund zwei Prozent zurück. Sie machten die Konjunkturflaute geltend, die durch die Ereignisse vom 11. September und das Swissair-Grounding noch verstärkt worden sei
[15]. Gemäss BFS wurden in den Verhandlungen im Rahmen der wichtigsten Gesamtarbeitsverträge (GAV) Nominallohnerhöhungen von
2,5% ausgehandelt. Davon wurden 1,3% generell und 1,2% individuell zugesichert. Deutlich über dem Durchschnitt lag der tertiäre Sektor mit +2,9% (1,8% generell). Starke Anstiege erzielten unter anderem die Branchen Gesundheits- und Sozialwesen (+4,6%), Landverkehr (+3,5%) und Nachrichtenübermittlung (+3,2%). Die in den GAV festgelegten Mindestlöhne wurden im Mittel um 2,6% erhöht; besonders ins Gewicht fiel die Lohnanpassung im Gastgewerbe (+3,8%)
[16].
Nach den Ergebnissen der neuesten
Lohnstrukturerhebung des BFS betrug der Medianlohn für eine 100%ige Stelle im Jahr 2000 monatlich 5220 Fr. brutto. Hinter diesem gesamtschweizerischen Mittelwert verbergen sich grosse Unterschiede je nach
Branche, Geschlecht und Staatsangehörigkeit. Zwischen den Hochlohnbranchen (Banken, Versicherungen, Forschung und Entwicklung, Chemie und Tabakindustrie) und den Tieflohnbranchen (Detailhandel, persönliche Dienstleistungen, Gast- und Reinigungsgewerbe, Bekleidungsindustrie) bestehen selbst für Tätigkeiten mit ähnlichen Anforderungen Differenzen von bis zu 3000 Fr. Während die Durchschnittslöhne seit 1998 im Jahresmittel nominal um 1,1% zunahmen und damit teuerungsbedingt stabil blieben, stiegen jene der Kader um 1,9%, wobei die „Fringe benefits“ der Führungskräfte (Firmenwagen, Zuschüsse an 2. Säule etc.) nicht berücksichtigt wurden. Fast so viel zulegen (+1,8%) – wenn auch auf viel tieferem Niveau – konnten die einfachen und repetitiven Tätigkeiten. Bescheiden blieb hingegen der Zuwachs für Arbeiten, die Berufs- und Fachkenntnisse voraussetzen (+1,1%), gar abgenommen hat der Medianlohn für qualifizierte Arbeiten (-0,2%).
Frauen verdienten nach wie vor im Mittel
21% weniger als Männer, selbst für Stellen mit ähnlichem Anforderungsprofil. Der Medianlohn der ausländischen Arbeitskräfte lag im Durchschnitt 15% unter jenem ihrer inländischen Kollegen
[17].
Im Berichtsjahr sorgten die hohen
Managerlöhne insbesondere in den ehemaligen Regiebetrieben des Bundes für publizistischen Wirbel. Ausgehend von parlamentarischen Aufträgen überprüfte der Bundesrat diese Saläre und beurteilte sie letztlich als marktkonform
[18]. Während Arbeitgeberverbandsdirekor Hasler die hohen Kaderlöhne (und die damit verbundene Intransparenz der Bezüge) rechtfertigte, massregelte der neue Präsident des Arbeitgeberverbands, Fritz Blaser, die Firmenverantwortlichen insbesondere im Finanzbereich, deren Löhne „eine Zumutung für die Bevölkerung“ seien. Die Schere zwischen hohen und tiefen Löhnen dürfe nicht noch weiter aufgehen, da sonst ein staatliches Eingreifen unvermeidbar werde
[19].
Eine Motion Leutenegger Oberholzer (sp, BL), die vom Bundesrat verlangte, die gesetzlichen Grundlagen für eine volle
Transparenz der Löhne der Geschäftsleitung (inkl. Boni, Aktienoptionen und „Fringe benefits“) und der Verwaltungsratsentschädigungen zu schaffen – und zwar sowohl bei den Aktiengesellschaften des privaten Rechts als auch bei spezialgesetzlichen Anstalten des Bundes – wurde von den Nationalräten Baumann (svp, TG) und Steiner (fdp, SO) bekämpft und somit vorderhand der Diskussion entzogen
[20].
[13] Presse vom 12.4.02. Die KOF erklärte, aufgrund neuester Informationen müsse ihre Rechnung sogar noch um etwa einen Prozentpunkt nach oben korrigiert werden. 13
[14] Presse vom 24.7. und 16.8.01. 14
[15]
SoZ, 5.8.01; Presse vom 2.11. und 10.11.01;
BZ, 19.12.01. 15
[16] Presse vom 19.6.01. Siehe auch unten (Gesamtarbeitsverträge). Während in den Jahren 1999-2001 der 1994-1998 festgestellte Trend zu individuellen Lohnanpassungen gebrochen schien, nahmen diese gemäss BFS in den Verhandlungen für 2002 wieder zu: 47% der Erhöhungen wurden individuell und 53% generell gewährt. 16
[17] Presse vom 14.11.2001. Vgl.
SPJ 1999, S. 234 f. Eine internationale Vergleichsstudie zeigte, dass die Wettbewerbsposition der Industrieländer im letzten Jahrzehnt stärker durch die Wechselkurse als durch die Arbeitskostendynamik bestimmt wurde. Die Schweiz erwies sich dabei als das Land mit den moderatesten Lohnzuwachsraten in Europa (
NZZ, 29.6.01). 17
[18] Presse vom 6.6.07. Siehe oben, Teil I, 6b (Politique des transports). 18
[19] Presse vom 27.6.01. Gemäss der Untersuchung einer privaten Beratungsfirma nahmen die Löhne der Firmenchefs innerhalb eines Jahres (inklusive variable Salärbestandteile) um 21% zu (Presse vom 20.6.01). Zur Gegenseite, den Menschen, die trotz Vollzeitstelle nicht genügend zur Existenzsicherung verdienen, siehe unten, Teil I, 7b, Sozialhilfe. Während die Statistik der AHV-Einkommen bis 1997 keine Öffnung der Lohnschere nachwies, scheint sich gemäss den neuesten Zahlen (1999) diese doch allmählich zu vollziehen (
Bund, 27.7.01). 19
[20]
AB NR, 2001, S. 1436. 20
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