Année politique Suisse 2001 : Politique sociale / Population et travail
 
Arbeitszeit
Gemäss den neuesten Ergebnissen des BFS nahm im Jahrzehnt 1990-2000 die wöchentliche Normalarbeitszeit der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmenden um durchschnittlich 29 Minuten von 42,2 auf 41,8 Stunden ab. Die schrittweise Reduktion erfasste sämtliche Wirtschaftsbranchen. Am deutlichsten sank sie im Bausektor (-80 Min.) und im Gastgewerbe (-72 Min.), am wenigsten in der öffentlichen Verwaltung (-6 Min.) sowie im Gesundheits- und Sozialwesen (-12 Min.). Überdurchschnittlich blieb die Arbeitszeit in den Kantonen Graubünden und Wallis, was auf die grosse Bedeutung des Gastgewerbes zurückzuführen ist. 2000 wurden insgesamt 164 Mio Überstunden geleistet, was rein rechnerisch rund 83 000 Vollzeitstellen entspricht. Die Rangliste führte mit 77 jährlichen Überstunden das Kredit- und Versicherungsgewerbe an, gefolgt von der Branche Immobilien und Informatik (51 Std.) und dem Unterrichtswesen (48 Std.) [21].
Die 1999 von den Gewerkschaften eingereichte Volksinitiative „Für eine kürzere Arbeitszeit“, die eine Verringerung der Arbeitszeit von heute durchschnittlich 42 Stunden auf 36 Stunden pro Woche mit Lohngarantie für kleine und mittlere Einkommen sowie eine drastische Eindämmung der Überstunden verlangte, hatte im Parlament keine Chance. Als das Begehren 1998 nach Jahren hoher Arbeitslosigkeit lanciert worden war, schienen seine Forderungen nach einer besseren Verteilung der bezahlten Arbeit in breiten Kreisen zumindest prüfenswert. In einer wieder positiveren Konjunktur mit einem in vielen Branchen ausgetrockneten Arbeitsmarkt stand der Ruf nach gesetzlicher Senkung der maximalen Arbeitszeit hingegen im politischen Gegenwind. Am Anfang der Debatte lehnte der Nationalrat einen von der SP unterstützten Minderheitsantrag von Meier-Schatz (cvp, SG) auf Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, einen sehr moderaten indirekten Gegenvorschlag auszuarbeiten, deutlich ab. In der Gesamtabstimmung wurde die Initiative vom geschlossenen bürgerlichen Lager mit 101 zu 50 Stimmen verworfen. Insbesondere die Sprecher der FDP machten geltend, diese „Rasenmäherinitiative“ schwäche den Wirtschaftsstandort und gefährde das „Jobwunder“ Schweiz; zudem sei die Regelung der Arbeitsbedingungen in erster Linie eine Angelegenheit der Sozialpartner. Hauptsächlich mit diesem Argument wurde die Initiative auch vom Ständerat mit 35 zu 4 Stimmen zur Ablehnung empfohlen [22]. Trotz Widerstand in den eigenen Reihen beschloss der SGB, an seiner Initiative festzuhalten [23].
Eine parlamentarische Initiative Rechsteiner (sp, SG), die eine obligationenrechtlich festgelegte Entschädigung der geleisteten Überzeit durch Zeit- resp. Lohnzuschläge erreichen wollte, wurde vom Nationalrat mit 82 zu 60 Stimmen abgelehnt. Die grosse Kammer schloss sich damit der Mehrheit der vorberatenden Kommission an, welche die Arbeitsmarktflexibilität als Standortvorteil der Schweizer Wirtschaft höher wertete als sozialpolitische Bedenken gegenüber dem Stress am Arbeitsplatz [24].
Obgleich der Bundesrat bereit war, den Vorstoss in Postulatsform entgegen zu nehmen, wurde eine Motion Teuscher (gp, BE), die verlangte, Betriebe, welche Arbeitnehmende auf Abruf beschäftigen, seien von der Auftragsvergabe im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens auszuschliessen, von Stahl (svp, ZH) bekämpft und damit vorderhand der Diskussion entzogen [25].
 
[21] Presse vom 16.2.02. 21
[22] AB NR, 2001, S. 90 ff. und 953; AB SR, 2001, S. 383 ff. und 473. Siehe SPJ 2000, S. 189 f. 22
[23] Presse vom 20.6., 5.7. und 18.12.01; SoZ, 29.7.01. 23
[24] AB NR, 2001, S. 1623 ff. 24
[25] AB NR, 2001, S. 1436. 25