Année politique Suisse 2001 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
Erstmals erhielten drei Schweizer Ortschaften vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) finanzielle und fachliche Unterstützung für Programme, die
Gesundheit und Umwelt miteinander verknüpfen. Aarau (AG, Wohnen), Thal (SO, Natur) und Crans-Montana (VS, Mobilität) wurden aus 15 Bewerbungen ausgewählt. Hier übernimmt der Bund während der nächsten fünf Jahre die Hälfte der Projektkosten (jährlich maximal 200 000 Fr.)
[1].
Im Dezember nahm das Schweizerische
Gesundheitsobservatorium in Neuenburg seine Arbeit auf. Es wird Gesundheitsdaten sammeln und auswerten. Damit dient es dem Bund und den Kantonen als wichtiges Steuerungsinstrument der Gesundheitspolitik
[2].
Im Vorjahr hatte sich der Bundesrat gegen die aktive
Sterbehilfe ausgesprochen und seine Absicht bekundet, lediglich die heute weitgehend akzeptierte passive und indirekt aktive Sterbehilfe gesetzlich zu regeln. Diese restriktive Haltung hatte den Tessiner Krebsarzt und SP-Nationalrat Cavalli auf den Plan gerufen. Mit einer parlamentarischen Initiative forderte er eine Euthanasie-Regelung nach niederländischem Recht: Bei einer „Mitleidtötung“, vorgenommen an einer todkranken Person mit
unerträglichem und unheilbarem Leiden, sollte gemäss Opportunitätsprinzip von einer Strafverfolgung abgesehen werden – trotz weiterhin geltender Rechtswidrigkeit der Tat. Die Haltung des Bundesrates übernahm in gewisser Hinsicht eine parlamentarische Initiative von Nationalrätin Vallender (fdp, AR), welche die vielerorts geduldete indirekt aktive Beihilfe zur Selbsttötung an gesetzlich verankerte Bedingungen knüpfen wollte; sie sollte nur straffrei bleiben, wenn sie von einer Person aus dem engsten persönlichen Umfeld geleistet wird, nicht aber, wenn ein Arzt oder der Pflegedienst sie praktizieren
[3]. Da der Bundesrat auf klare Vorgaben des Gesetzgebers in diesem Bereich drängte, fand in der Wintersession die Plenumsdiskussion über die beiden Initiativen in einem über das übliche Verfahren hinausgehenden breiteren Rahmen statt. Obgleich mit einer Annahme der Initiative Cavalli noch kein definitiver Entscheid über die direkte aktive Sterbehilfe gefällt worden wäre, wollte der Nationalrat das Tabu nicht brechen und lehnte sie mit 120 zu 56 Stimmen ab; ebenso deutlich wurde auch die Initiative Vallender verworfen. Breite Zustimmung fand hingegen eine Motion Zäch (cvp, AG), die den Bundesrat auffordert,
Gesetzeslücken bei der passiven und der indirekt aktiven Sterbehilfe gemäss den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) zu
schliessen; zusätzlich soll die
Palliativmedizin speziell gefördert werden. Der Bundesrat hatte sich gegen die Überweisung des Vorstosses in der verbindlichen Form gewehrt, da seiner Auffassung nach noch nicht genügend Entscheidgrundlagen für eine gesetzliche Regelung vorliegen
[4].
Eine Expertenkommission des Bundes schlug vor, die Sicherheit der Patienten
mit einem nationalen Programm zu verbessern. Aus Rücksicht auf den Föderalismus im Gesundheitswesen soll aber nicht eine zentrale Sicherheitsbehörde eingesetzt werden, sondern analog zum Büro für Flugunfälle ein nationales Zentrum für
Patientensicherheit, das Meldungen über medizinische Zwischenfälle registriert und analysiert
[5]. Die FMH beschloss ihrerseits, für ihre Mitglieder eine Datenbank einzurichten, in welche Ärzte und Ärztinnen (auf Wunsch auch anonym) Fehlermeldungen eingeben können; die gesammelten Daten sollen in einem späteren Zeitpunkt auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden
[6].
Dass es mit dem
Datenschutz im Gesundheitswesen nicht zum besten steht, bestätigte ein Bericht der Expertenkommission für das Berufsgeheimnis in der medizinischen Forschung. Gemäss Art. 321bis StGB dürfen medizinische Daten nur mit Einwilligung des Patienten für die Forschung verwendet werden. Wenn die Einwilligung nicht möglich ist, die Forschungsinteressen schwerer wiegen als die Geheimhaltung und Daten mit Namensnennung nötig sind, braucht es eine Bewilligung der Kommission. Diese stellte in den Jahren 1998-2000 zahlreiche Verstösse gegen die rechtlichen Bestimmungen fest
[7]. Eine gewisse Beunruhigung lösten die im Rahmen der TarMed-Verhandlungen (siehe unten, Medizinalpersonen) vereinbarten ICD-
Diagnosecodes aus, die künftig auf den Arztrechnungen erscheinen sollen. Sie werden ohne kausalen Zusammenhang mit einer Krankheit Aufschluss über die allgemeinen Lebensbedingungen der Patienten geben (familiäre Belastungen, Risikoverhalten usw.). Von Nationalrätin und Konsumentenschützerin Sommaruga (sp, BE) mit einer Interpellation darauf angesprochen, erklärte der Bundesrat, Art. 42 KVG verpflichte die Leistungserbringer schon heute, eine genaue Diagnose zu stellen; er sei nicht Partner von TarMed, werde aber – wie der Datenschutzbeauftragte, der bereits bei den interessierten Kreisen vorstellig geworden sei – die Angelegenheit im Auge behalten
[8].
Auf Grund scharfer Proteste von Behindertenorganisationen revidierte die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) ihre im Vorjahr publizierte Empfehlung zur
Sterilisation nicht Urteilsfähiger. Sie hatte ihre Haltung mit dem Recht auf gelebte Sexualität begründet, weshalb es naheliegend sei, nicht mehr länger auf die Urteilsfähigkeit als einzig massgebliches Kriterium für die Zulässigkeit einer Sterilisation abzustellen; diese sollte auch dann erlaubt sein, wenn eine Person deren Tragweite nicht voll begreifen kann. In Erwartung der anstehenden Revision des Vormundschaftsgesetzes beschloss die SAMW, wieder zu ihren Richtlinien von 1981 zurückzukehren. Danach dürfen keine Sterilisationen von urteilsunfähigen Personen vorgenommen werden. Bei urteilsfähigen geistig Behinderten wird die Sterilisation als Ultima Ratio angesehen. Voraussetzung für den Eingriff soll ein Gutachten eines Facharztes und das klare Einverständnis der Betroffenen sein
[9].
Bei
Katastrophen und Unfällen grösseren Ausmasses ist die psychologische Betreuung der Betroffenen (Opfer und Angehörige) wichtig. Nach privaten Initiativen (z.B. Swissair) startete der Bund im Berichtsjahr eine Ausbildungsoffensive in diesem Bereich. Der vom VBS angebotene Kurs richtet sich ausdrücklich an Laien; das Konzept wurde in enger Zusammenarbeit mit ausgebildeten Psychologinnen und Psychologen erstellt
[10].
[1] Presse vom 17.8.01. Eine Motion Gadient (svp, GR) zur Förderung der Asthma- und Allergieforschung in der Schweiz wurde auf Antrag des BR als Postulat überwiesen (
AB NR, 2001, S. 1988).1
[3] Die Rechtskommission des NR folgte den Empfehlungen einer vom Bund eingesetzten Expertengruppe und stimmte der pa.Iv. Cavalli mehrheitlich zu. Der Vorstoss von Vallender wurde von der Kommission als hinter die geltende Praxis zurückgehend knapp abgelehnt (
NZZ, 6.7.01).
Siehe
SPJ 1999, S. 243 f. und
2000, 195 f. In seiner Antwort auf eine Einfache Frage Vallender bezeichnete der BR den auf den 1.1. 2001 wirksam gewordenen Entscheid der Stadtzürcher Exekutive, Beihilfe zum Selbstmord in den städtischen Heimen zuzulassen, als rechtlich korrekt; strafbar mache sich nur jemand, der aus selbstsüchtigen Motiven jemandem zum Freitod verleite oder ihm dazu Hilfe leiste (
AB NR, 2001, I, Beilagen, S. 102 f.). Siehe dazu auch seine Antwort auf eine Interpellation Bortoluzzi, svp, ZH (
a.a.O., S. 372 f.).3
[4]
AB NR, 2001, S. 1819 ff.; Presse vom 12.12.01. Zur Unterversorgung der Schweiz mit Palliativpflegeplätzen siehe
BaZ, 2.2.01. Vgl. auch
SPJ 2000, S. 196.4
[5] Presse vom 10.4.01. Siehe
SPJ 2000, S. 197.5
[6] Presse vom 26.1.01. Im gleichen Bestreben gründete die Schweiz. Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation eine Stiftung für Patientensicherheit (Presse vom 16.2.01).6
[7]
Lit. Hürlimann;
CHSS, 2001, S. 99;
NLZ, 18.10.01. Vgl.
SPJ 2000, S. 216. Zur möglichen Einführung eines Gesundheitspasses für die gesamte Bevölkerung und den damit verbundenen Fragen zum Datenschutz siehe auch: Rey, Jean-Claude, „Eine Gesundheitskarte für die Schweiz“, in
CHSS, 2001, S. 341 ff.7
[8]
AB NR, 2001, VI, Beilagen, S. 512 ff.;
SoZ, 21.10.01.8
[9] Die Empfehlung hätte auch im Widerspruch zur Bioethik-Konvention des Europarates gestanden, die Eingriffe an Einwilligungsunfähigen nur dann zulässt, wenn diese zu deren unmittelbarem Nutzen erfolgen:
NLZ, 28.2.01;
TA, 6.3.01. Siehe
SPJ 2000, S. 196 f.9
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