Année politique Suisse 2001 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
Am 4. März gelangte die 1997 vom Grosshandeldetaillisten Denner eingereichte und im Vorjahr vom Parlament zur Ablehnung empfohlene
Volksinitiative „für tiefere Arzneimittelpreise“ zur Abstimmung. Sie verlangte, dass alle in den Nachbarländern zugelassenen Medikamente auch in der Schweiz verkauft werden dürfen; Ärzte, Apotheken und Krankenkassen sollten verpflichtet werden, soweit vorhanden Generika beziehungsweise das preisgünstigste Präparat zu verschreiben, abzugeben oder zu vergüten. Die bürgerlichen Parteien sprachen sich geschlossen gegen die Initiative aus. Ihrer Ansicht nach hätte das Begehren die Therapiefreiheit der Ärzteschaft beschnitten, die Patientensicherheit gefährdet und den Pharmastandort Schweiz geschwächt. Die SP zeigte sich gespalten, weshalb sie schliesslich Stimmfreigabe beschloss. Eine Minderheit um die beiden Nationalräte Strahm und Sommaruga (beide BE) konnte der Initiative als Signal gegen die „Hochpreispolitik der Pharmamultis“ durchaus positive Seiten abgewinnen; sie waren der Ansicht, die Mängel des relativ unklar formulierten Begehrens könnten in der ausführenden Gesetzgebung behoben werden
[22]. Dass die Initiative, die von keiner namhaften Partei unterstützt wurde, über 30% Ja-Stimmen auf sich vereinte, wurde von Beobachtern als Zeichen dafür gewertet, dass sie den Finger auf einen wunden Punkt gelegt hatte
[23].
Volksinitiative „für tiefere Arzneimittelpreise“
Abstimmung vom 4. März 2001
Beteiligung: 55,0%
Ja: 791 589 (30,9%) / 0 Stände
Nein: 2 565 718 (69,1%) / 20 6/2 Stände
Parolen:
– Ja: Lega; Schweiz. Stiftung f. Konsumentenschutz
– Nein: FDP, SVP, CVP, CSP, GP(2*), LP, SD, EVP, EDU, PdA; Economiesuisse, SAGV, SGV, SBV, SGB, KSK, SGCI, Apothekervereinigung, Schweiz. Konsumentinnenforum, Schweiz. Patientenorganisation
– Stimmfreigabe: SP (4*); CNG
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Kritik an der Höhe der Medikamentenpreise verstummte denn auch nicht. Gleich nach der Ablehnung der Denner-Initiative forderte das
Konkordat der Schweizerischen Krankenversicherer (KSK) die Einberufung eines „Runden Tisches“, um mit allen Beteiligten Massnahmen zur Stabilisierung der Medikamentenkosten zu beraten. Die Konferenz fand Anfangs Juli statt, brachte aber kaum Neues. Es wurde vereinbart, auf allen Ebenen den Einsatz von Generika zu fördern; die Pharmaindustrie wurde zudem aufgefordert, kleinere Packungen anzubieten, um der Verschwendung von Arzneimitteln entgegen zu wirken
[24]. Der
Preisüberwacher intervenierte ebenfalls erneut und verlangte eine Ausdehnung des Ländervergleichs auf alle Nachbarstaaten, auch jene mit deutlich niedrigerem Preisniveau (Italien und Frankreich), eine Anregung, die ein vom Nationalrat überwiesenes Postulat Robbiani (cvp, TI) übernahm. Die
SP möchte die steigenden Gesundheitskosten in den nächsten Jahren vordringlich mit Massnahmen im Medikamentenbereich bekämpfen
[25].
Die mit der 1. KVG-Revision beschlossenen Neuerungen im Medikamentenbereich traten schrittweise in Kraft. Bereits ab Anfang Jahr wurde es den Apotheken freigestellt, ohne ausdrücklichem Vermerk auf der Verschreibung statt eines Originalprodukts ein kostengünstigeres
Generikum abzugeben. Damit dies auch vermehrt geschieht, wurde auf den 1. Juli die
leistungsorientierte Abgeltung (LOA) eingeführt, die den Anreiz zum Verkauf von besonders teuren Medikamenten abbaut. Neu übernimmt die obligatorische Krankenversicherung die Leistungen der Apotheken unabhängig vom Produktepreis; durch diesen Pauschalzuschlag entfällt ein Teil der bisherigen Margen für Beratung, Vertrieb und Lagerhaltung. Der neue Abgeltungsmodus stiess in der Bevölkerung vorerst auf Unverständnis, da er dazu führte, dass bis anhin kostengünstige Medikamente teurer wurden. Aber auch einzelne Krankenkassen und der Konsumentenschutz verlangten eine Neuverhandlung der Tarifverträge mit den Apotheken
[26].
Auf Antrag von Beerli (fdp, BE) beschloss der Ständerat eine Ergänzung der Gen-Lex in dem Sinn, dass eine Person, die mit ihrer Einwilligung
gentechnisch-veränderte Medikamente einnimmt, auch im Fall von unerwünschten Nebenwirkungen weder die Produktionsfirma noch den dispensierenden Arzt auf Schadensersatz verklagen kann. Die kleine Kammer wollte damit den Imponderabilien der neuesten Entwicklungen Rechnung tragen, die in allen Bereichen der Experimentalmedizin zum Tragen kommen
[27].
[22] Die Abstimmungskampagne gestaltete sich teilweise recht gehässig. Die Befürworter stiessen sich daran, dass im „Bundesbüchlein“ von den „billigsten“ anstatt den „preisgünstigsten“ Medikamenten die Rede war (Presse vom 13.1.-3.3.01). Siehe
SPJ 2000, S. 204.22
[23]
BBl, 2001, S. 2075 ff.; Presse vom 5.3.01. Die 1999 von den Apothekern, Drogisten und Ärzten eingereichte Volksinitiative „für eine sichere und gesundheitsfördernde Arzneimittel-Versorgung“ wurde zurückgezogen, da die Initianten der Ansicht waren, mit dem 2000 verabschiedeten neuen Heilmittelgesetz und mit der 1. Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes sei ihrem Anliegen Genüge getan (
BBl, 2001, S. 191; Presse vom 18.1.01. Siehe
SPJ 2000, S. 204 ff.).23
[24] Presse vom 6.3.01;
NZZ, 3.7.01. In den letzten Jahren stiegen die Medikamentenkosten in der Grundversicherung meistens zweistellig; rund ein Fünftel der Prämien wird mittlerweile für Arzneimittel eingesetzt (Presse vom 10.7.01). Siehe auch
CHSS, 2001, Nr. 5 (Schwerpunktthema Medikamentenkosten). Eine Motion Gysin (fdp, BL), die verlangte, die Vergünstigungen, die Spitäler und Ärzte beim Direktbezug von Medikamenten erhalten, seien vollumfänglich an die Patienten weiterzugeben, wurde auf Antrag des BR als Postulat angenommen (
AB NR, 2001, S. 486).24
[25]
AB NR, 2001, S. 937;
NZZ, 28.8.01;
NLZ, 12.10.01. Ein von der Preisüberwachung 2000 angestellter Vergleich ergab, dass die Preise in der Schweiz knapp 20% über jenen in Deutschland – wie die Schweiz ein Hochpreisland – liegen; bei den nicht-kassenpflichtigen Arzneimitteln betrug die Differenz 33,3% (Presse vom 24.2.01). SP: Presse vom 8.9.01.25
[26] Marcuard, Dominique, „Preisbildung bei Arzneimitteln“, in
CHSS, 2001, S. 69 ff.;
BaZ, 30.5.01;
TA, 11.6.01; Presse vom 30.6.01;
LT, 3.7. und 16.8.01;
Ww, 9.8.01;
Lib., 17.8.01;
NZZ, 25.9.01. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR zu einer Frage Gutzwiller (fdp, ZH) in
AB NR, 2001, S. 761. Verglichen zum Ausland fristen die Generika in der Schweiz nach wie vor ein Schattendasein; ihr Anteil am Markt betrug 2000 lediglich rund 3% (Presse vom 17.5.01).26
[27]
AB SR, 2001, S. 579 f.;
TA, 28.8.01. Siehe dazu NR Gross (sp, TG) in
NZZ, 21.8.01. Zur Gen-Lex vgl. unten, Teil I, 8a (Forschung).27
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