Année politique Suisse 2001 : Politique sociale / Groupes sociaux / Familienpolitik
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Schwangerschaftsabbruch
Nachdem die letzten Differenzen ausgeräumt waren, stimmten die Kammern in der Frühjahrssession der neuen Strafgesetzbuchregelung bei der Fristenlösung zu. Der Schwangerschaftsabbruch erfolgt künftig in den ersten 12 Wochen straffrei; die Frauen müssen eine persönliche Notlage geltend machen und werden auf staatliche Beratungsmöglichkeiten aufmerksam gemacht, sind aber nicht gehalten, diese in Anspruch zu nehmen; die Kantone werden verpflichtet, die Kliniken und Praxen zu bezeichnen, die einen Abbruch fachgerecht durchführen können. Mit der Aufnahme dieser „Notbremsen“, welche die ethische Dimension des Problems ins Bewusstsein rufen sollen, setzte sich die eher restriktive Linie des Ständerates durch; entgegen seiner Haltung in der Wintersession lenkte der Nationalrat hier ein, um die Gesamtvorlage nicht zu gefährden. Die Zustimmung erfolgte im Ständerat allerdings nur knapp mit 22 zu 20 Stimmen, ein deutliches Zeichen dafür, dass die SVP der Liberalisierung nichts abgewinnen konnte und die CVP den Verzicht auf ihr „Schutzmodell mit Beratungspflicht“ noch nicht verschmerzt hatte. Der Nationalrat verabschiedete die Vorlage mit 107 zu 69 Stimmen; auch hier stammten die Neinstimmen aus der geschlossenen CVP und der mehrheitlich ablehnenden SVP [53]. Der Bundesrat, der anfänglich das „Schutzmodell“ der CVP favorisiert hatte, stellte sich ebenfalls hinter die Fristenlösung [54].
Wie bereits anlässlich der Schlussabstimmung im Nationalrat angekündigt, ergriff die CVP erstmals in ihrer Parteigeschichte das Referendum gegen eine bundesrechtliche Regelung. Der Parteileitung blieb die Gefolgschaft an der Basis allerdings fast gänzlich verwehrt; insbesondere viele Frauen und Junge empfanden das Referendum als „Zwängerei“ [55]. Kurz darauf beschloss auch die „Gesellschaft für den Schutz des ungeborenen Lebens“ (GLS) das Referendum; getragen von Abgeordneten aus der SVP, der EVP und der EDU versuchte sich dieses Komitee zwischen der CVP und den fundamentalistischen Abtreibungsgegnern zu positionieren, welche das Referendum ebenfalls ergriffen [56]. Anfang Juli musste die CVP einsehen, dass sie – in diesem Bereich zumindest – nicht referendumsfähig ist; sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt nur gut 30 000 Unterschriften beigebracht. Um diese nicht ungenutzt zu lassen, schloss sie sich mit der GLS zusammen, die rund 20 000 Unterschriften beisteuerte. Keine Sammelsorgen hatte hingegen die „Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind“ (SHMK), die fast 90 000 Unterschriften zusammentrug; weitere 32 000 Unterschriften kamen von der ihr nahestehenden Vereinigung „Ja zum Leben“. Das Referendum kam schliesslich mit 160 127 gültigen Unterschriften zustande [57].
Auf Antrag des Bundesrates lehnte der Ständerat die1999 von der SHMK eingereichte Volksinitiative „Für Mutter und Kind – für den Schutz des ungeborenen Lebens und für die Hilfe an seine Mutter“, die praktisch ein Abtreibungsverbot in der Verfassung verankern will, als den heutigen gesellschaftlichen Gegebenheiten völlig zuwiderlaufend oppositionslos ab. Im Nationalrat war das Ergebnis mit 139 zu 7 Stimmen ebenfalls überdeutlich; der Abstimmung gingen allerdings heftige Wortgefechte voraus, in deren Verlauf Frauen und Liberale die Vertreter der Initiative als „Fundamentalisten“ (Aeppli, sp, ZH) oder gar als „Taliban unserer Demokratie“ (Eggly, lp, GE) bezeichneten; die Wortwahl kam nicht von ungefähr, hatte doch der glühendste Vertreter des Begehrens, der Berner EDU-Vertreter Waber, eine Parallele zwischen den Ereignissen des 11. September und der Fristenlösung gezogen [58].
 
[53] AB SR, 2001, S. 5 ff. und 180; AB NR, 2001, S. 183 ff. und 365. Siehe SPJ 2000, S. 253 f. Analog zum StR überwies auch der NR ein Postulat seiner Kommission, das den BR auffordert, im Einvernehmen mit den Kantonen Massnahmen zu treffen, um das Recht des medizinischen Personal sicherzustellen, die Mitwirkung an einem Abbruch aus ethischen Gründen zu verweigern (AB NR, 2001, S. 189). 53
[54] NLZ, 13.6.01; Presse vom 24.8., 29.8. und 30.8.00. 54
[55] Presse vom 7.3., 14.3., 17.3., 24.3. und 4.4.01. Offiziell distanzierten sich die CVP-Frauen nicht vom Referendum (NZZ, 15.3.01). Dass die CVP keinesfalls klein beigeben will, zeigte sich auch am Umstand, dass die Fraktion noch am Tag der Schlussabstimmung eine pa.Iv. einreichte, mit der das Schutzmodell mit Beratungspflicht wieder in die parlamentarische Agenda aufgenommen werden soll (Geschäft 01.416). 55
[56] Presse vom 30.3.01; WoZ, 12.4.01. 56
[57] BBl, 2001, S. 4660 f.; Presse vom 10.7.01; NZZ, 13.7.01. Mit Unterstützung der SHMK wurde im Frühjahr im Regionalspital Einsiedeln (SZ) die erste „Babyklappe“ der Schweiz eingerichtet; dort haben Mütter, die ihr Neugeborenes nicht behalten wollen, die Möglichkeit, es anonym abzugeben (Presse vom 9.5. und 10.5.01). Ein vom BA für Justiz in Auftrag gegebenes Gutachten kam zum Schluss, dass die „Babyklappe“ gleich mehrfach gegen wesentliche Rechtsgrundsätze verstösst (Presse vom 31.8.01). 57
[58] AB SR, 2001, S. 273 ff. und 1045; AB NR, 2001, S. 1601 ff. und 2011. Mit Ausnahme von 2 Ja-Stimmen und 8 Enthaltungen lehnte die SVP-Fraktion die Initiative ab; FDP, SP, GP und LP stimmten geschlossen dagegen; 7 CVP-Abgeordnete enthielten sich der Stimme. 58