Année politique Suisse 2001 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche / Forschung
Im Sommer 2001 kam es zur
Beratung der Gen-Lex im Ständerat. Die von der WBK des Ständerates verabschiedete Vorlage für ein Bundesgesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich (Gentechnikgesetz, GTG) sah anstelle der vom Bundesrat vorgeschlagenen Teilrevision des Umweltschutzgesetzes die Schaffung eines separaten Gesetzes vor, das die Anwendung der Gentechnologie bei Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren regelt. Statt eines Moratoriums für die kommerzielle Anwendung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der Landwirtschaft wünschte die Kommissionsmehrheit in Übereinstimmung mit dem Bundesrat ein strenges Bewilligungsverfahren; lediglich für Nutztiere sollte ein zehnjähriges Moratorium eingeführt werden. Die Kommissionsminderheit forderte hingegen auch für die kommerzielle Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen und Mikroorganismen ein bis in das Jahr 2009 geltendes Moratorium. Zulässig bleiben sollten Freisetzungsversuche zu Forschungszwecken
[84]. Vor dem Hintergrund der Ablehnung der Genschutz-Initiative im Jahre 1998
[85], aber auch im Wissen um die in der Bevölkerung verbreitete Skepsis gegenüber GVO insbesondere im Lebensmittelbereich verzichtete die kleine Kammer auf eine emotionale Grundsatzdebatte und sprach sich grundsätzlich für die Gen-Lex aus. Sie stimmte einer Haftpflichtregelung mit einer Verjährungsfrist von 30 Jahren zu, fügte jedoch eine Ausnahmebestimmung für Medikamente mit GVO ein. Diese hebt die strengere Regelung auf, wenn Patientinnen und Patienten über die Risiken solcher Medikamente informiert wurden und dennoch in eine Behandlung einwilligten. Im weiteren überwies der Ständerat eine Empfehlung seiner WBK, welche den Bundesrat auffordert, den im Gentechnikgesetz eingeführten Begriff „bestimmungsgemässe Verwendung in der Umwelt“ auf Verordnungsstufe zu präzisieren. In der
umstrittenen Moratoriumsfrage, ob mit der Freisetzung von GVO allenfalls einige Jahre zugewartet werden sollte, bis die Risiken besser abschätzbar sind, lehnte der Ständerat ein Moratorium grundsätzlich ab, sei das Gesetz doch streng genug, um Risiken zu limitieren. Ein Antrag Bieri (cvp, ZG) auf ein Teilmoratorium, das nur für den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, nicht aber für wissenschaftliche Feldversuche gelten soll, fand keine Zustimmung. Im Herbst nahm der Ständerat die Vorlage einstimmig an. Landwirtschaft-, Konsumenten- und Umweltschutzorganisationen kündigten an, sich weiterhin für ein Moratorium einzusetzen; die Grünen drohten mit dem Referendum
[86]. Zum Auftakt der Session hatten Umweltorganisationen dem Ständerat eine Petition mit 30 000 Protestkarten übergeben, womit ihre Forderung nach einem Moratorium für GVO, nach einem Schutz gentechfreier sowie einer vollständigen Deklaration von gentechnisch veränderten Produkten unterstrichen werden sollte
[87].
Zu Jahresbeginn hatten die Eidgenössische Ethikkommission für die Gentechnik im ausserhumanen Bereich (EKAH) und die Kommission für Tierversuche (EKTV) eine sorgfältige Güterabwägung hinsichtlich des
Umgangs mit gentechnisch veränderten Tieren vorgeschlagen. Vom Verfassungsgrundsatz von 1992 ausgehend, wonach die Würde der Kreatur zu achten ist, hielten die Kommissionen fest, dass die Zucht von Tieren einzig im Interesse des Menschen würdeverletzend sei. Der Verfassungsgrundsatz sollte dahingehend ergänzt werden, dass Tiere auch vor ungerechtfertigten Eingriffen ins Erscheinungsbild, vor Erniedrigungen und einer übermässigen Instrumentalisierung – so bei der Weiterzucht, der Nutzung und Haltung – geschützt werden
[88].
Im November lehnte das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) das im Jahre 2000 eingereichte Gesuch des Instituts für Pflanzenwissenschaft der ETHZ für einen
Freisetzungsversuch mit gentechnisch verändertem Weizen in Lindau (ZH) ab. Angesichts des heutigen Wissensstandes seien die mit dem Versuch verbundenen Gefahren für Mensch und Umwelt nicht abschätzbar. Die Sicherheitsanforderung an einen Freisetzungsversuch müssten sehr streng sein, erklärte Buwal-Direktor Philippe Roch. Im Gegensatz zur Beurteilung früherer Gesuche sei denn nun auch mit der Freisetzungsverordnung eine Vollzugsvorschrift vorhanden; im weiteren gingen die Gesetzgebungsarbeiten im Bereich der Gen-Lex in Richtung einer nochmaligen Verschärfung. Das Buwal habe demzufolge bei der Gesuchsbeurteilung folgendes zu berücksichtigen gehabt: den Kenntnissstand über die GVO, über die Folgen der Veränderung für die Organismen und deren Vernetzung mit der Umwelt sowie über die Auswirkung der gentechnischen Veränderungen auf Mensch und Umwelt. Diese Punkte seien beim ETH-Gesuch ungenügend abgeklärt gewesen
[89].
Der Buwal-Entscheid gegen den Gentech-Weizen sorgte in der Folge für ausserordentlichen Wirbel – in Medien, Forschungskreisen und parlamentarischen Debatten. In einem von nur gerade 17 Nationalräten unterschriebenen Brief an Bundespräsident Leuenberger forderte die Stiftung
Gen Suisse die Enthebung Rochs von seiner Funktion als oberster Gesuchprüfer für Freisetzungsversuche. Gen Suisse unterstellte Roch Voreingenommenheit, Unwissenschaftlichkeit und Abhängigkeit. Die Stiftung schlug die Schaffung eines Entscheidungsgremiums vor, dem auch Vertreter des Bundesamts für Landwirtschaft und des Bundesamts für Gesundheit angehören sollen; weiter forderte sie eine administrative Untersuchung zur Abklärung des Sachverhalts rund um den Buwal-Entscheid
[90]. Demgegenüber teilte die
Schweizerische Akademie für Naturwissenschaften (
SANW) als Dachverband aller Naturwissenschafterinnen und -wissenschafter die Meinung des Buwal, dass mit Blick auf die Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen gravierende Wissensdefizite bestünden; die SANW forderte in diesem Sinne ein Nationales Forschungsprogramm zur Klärung der Risiken bei Freisetzungen
[91].
Bauern und Konsumentinnen reagierten gemeinsam auf die „Hetzkampagne gegen Roch“, unterstützten dessen Entscheid und argumentierten grundsätzlich gegen die Gen-Weizen-Versuche an der ETH: Forschung und Industrie wollten mit Gen-Food etwas verkaufen, das Bauern nichts bringe und Konsumentinnen gar nicht wollten. Der Bauernverband wiederholte seine Forderung nach einem Freisetzungsmoratorium bis 2010; die Stiftung für Konsumentenschutz bekräftigte ihre Allianz mit den Bauern in dieser Frage
[92]. Das Buwal-Nein führte auch zu zahlreichen parlamentarischen Vorstössen, die in der Wintersession vom Nationalrat in seiner Fragestunde behandelt wurden. Der Bundesrat betonte, er sähe die Pflanzenforschung durch die Ablehnung dieses Freisetzungsversuchs nicht gefährdet. Dennoch werde der
von der ETHZ angekündigte Rekurs gegen den Buwal-Entscheid vom Departement Leuenberger umfassend beurteilt sowie über eine Neuregelung der Bewilligungskompetenz für Freisetzungsversuche eingehend beraten werden. Der lautstarke Protest gegen die Ablehnung des ETH-Gesuchs war auf Initiative Pascal Couchepins hin Gegenstand einer Bundesratssitzung gewesen. Couchepin hatte sich insbesondere an der Tatsache gestossen, dass Buwal-Chef Roch die Ablehnung beschlossen hatte, obschon sowohl von Seiten der eidgenössischen Fachkommission für biologische Sicherheit als auch von Seiten der Ethikkommission und der Bundesämter für Veterinärwesen und Landwirtschaft gegenteilige Empfehlungen abgegeben worden waren
[93].
Vor dem Hintergrund der Debatte um den durch das Buwal abgelehnten Freisetzungsversuch, den Beratungen der Gen-Lex im Ständerat sowie der bevorstehenden Debatte zum Gesetz im der grossen Kammer bekräftigten Ende des Berichtsjahres zehn, der Gentechnologie kritisch und ablehnend gegenüberstehende Organisationen – darunter die SP, die Grünen, der WWF und die Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauern – ihre
Bereitschaft zum Dialog und zur Mitarbeit an einem tragfähigen Gentechnik-Gesetz. Die Organisationen wiederholten ihre Forderung nach einem Schutz der gentechfreien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, nach einer Übernahme der anfallenden Kosten durch die Verursacherinnen und Verursacher und nach einer vollständigen Deklaration von Lebens- und Futtermitteln sowie von Saatgut
[94]. Eine im September vorgestellte, vom WWF in Auftrag gegebene Studie hatte aufgezeigt, dass die Zulassung gentechnisch veränderter Produkte den Marktanteil traditioneller gentechnikfreier Erzeugnisse reduzieren würde. Hingegen würde im Sinne einer „
Marktpolarisierung“
zwischen Gentech- und Bioprodukten die Nachfrage nach gentechnisch veränderten wie auch nach biologischen Produkten steigen
[95].
Der Ständerat verabschiedete einstimmig das
Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit im Übereinkommen über die biologische Vielfalt. Die internationale Vereinbarung regelt den Umgang mit der modernen Biotechnologie und enthält allgemeine Vorschriften über den Umgang mit lebenden GVO – so auch jenen in Lebensmitteln und Tierfutter. In erster Linie betrifft sie jedoch das Saatgut. Das Protokoll soll verhindern, dass – so vor allem in Entwicklungsländern – genveränderte Pflanzen eingeführt und angebaut werden, ohne dass die nationalen Behörden davon Kenntnis haben. Die Behörden sollen damit die Möglichkeit erhalten, Nutzen und Risiken von GVO abschätzen zu können. Laut Bundesrat hat die Ratifikation des Cartagena-Protokolls keine gesetzgeberischen Folgen, verfüge die Schweiz doch bereits über umfassende Gesetze für den Gentechnik-Bereich
[96].
Der Bundesrat schickte einen
Revisionsentwurf des Patentgesetzes in die Vernehmlassung, der eine grundsätzliche Bewilligung des Patentierens von GVO vorsieht, davon aber Patente auf unzulässige Verfahren wie das menschliche Klonen oder die Veränderung des menschlichen Erbguts ausnimmt. Ziel der Teilrevision ist es, das Patentgesetz an die EU-Richtlinien anzugleichen und einheitliche Grundsätze für den Schutz biotechnologischer Erfindungen zu schaffen
[97].
[84] Presse vom 24.1. und 1.5.01.84
[85] Vgl.
SPJ 1998, S. 315 ff.85
[86]
AB SR, 2001, S. 299 ff., 327 ff., 358 und 579 f.;
NZZ, 9.6.01;
AZ, 12.6.01;
BaZ, 13.6.01; Presse vom 14.6., 15.6., 28.8. (GVO-Medikamente) und 27.9.01.86
[87] Presse vom 31.3. und 6.6.01.87
[88] Presse vom 22.2.01.88
[89]
BBl, 2001, S. 388 (Gesuch ETHZ) und 6294 ff. (Verfügung Buwal); Presse vom 21.11.01.89
[90]
NZZ, 26.11.01;
TA, 5.12.01.90
[91] Presse vom 28.11.01. Zur Forderung der SANW zu vermehrter Risiko- und Sicherheitsforschung im Zusammenhang mit GVO vgl.
SPJ 2000, S. 279 f.91
[93]
AB NR, 2001, 1631 f., 1635 ff. und 1779;
Bund, 22.11.01; Presse vom 25.11., 29.11. und 4.12.01.93
[95] Presse vom 19.9.01.95
[96]
BBl, 2001, S. 4079 ff.;
AB SR, 2001, S. 956;
NZZ, 5.12.01.96
[97]
BBl, 2001, S. 6370; Presse vom 8.12.01. Zur Haltung der Eidg. Ethikkommission zur im Zusammenhang mit der anstehenden Revision des Patentgesetzes geäusserten Kritik an der Gleichbehandlung von belebter und unbelebter Materie sowie an den problematischen Konsequenzen für Entwicklungsländer und für die Forschung siehe
NZZ, 28.8.01.97
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