Année politique Suisse 2001 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Sprachen
Mit dem knappen Stimmenverhältnis von 72 zu 67 gab der Nationalrat in der Frühjahrssession einer parlamentarischen Initiative des Neuenburger SP-Abgeordneten Berberat Folge, der
eine Landessprache als erste Fremdsprache im Unterricht
auf Verfassungsstufe festschreiben möchte. Haller (svp, BE) machte als Sprecherin der Kommission geltend, Sprache sei mehr als Kommunikationsmittel; sie vermittle Kultur, geistiges Erbe, Emotion und Politik. Die Gegner fochten mit dem föderalistischen Argument der Kantonshoheit in Schulfragen, was Berberat mit der Feststellung konterte, diese sei bei der flächendeckenden Einführung des Herbstschulbeginns und mit der Verpflichtung der Schulen zu einem ausreichenden Sportunterricht bereits relativiert worden
[36].
Der Bundesrat nahm zu dieser Frage in seiner Antwort auf eine Interpellation der GP-Fraktion Stellung. Wie schon bei früheren Gelegenheiten verwies er auf die Kantonskompetenz in Schulfragen; seiner Ansicht nach kann auch aus dem „Verständigungsartikel“ der Bundesverfassung
keine bundesrechtliche Pflicht, eine Landessprache als erste Fremdsprache zu bestimmen, abgeleitet werden. Dennoch vertrat er unmissverständlich die Auffassung, dass das Beherrschen von mindestens zwei Landessprachen eine wichtige Voraussetzung für das gegenseitige Verständnis zwischen den Sprachgemeinschaften darstellt; das Ausscheren einzelner Kantone aus der von der kantonalen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) definierten föderalistischen Konkordanz im Schulbereich könne zu einer Belastung der Beziehungen zwischen den Sprachgruppen und damit auch zu einer Gefährdung des Sprachfriedens führen
[37]. Im neuen Sprachengesetz (siehe oben) wird die Problematik der Unterrichtssprachen nicht thematisiert. Bei der Präsentation des Entwurfs verwies Bundesrätin Dreifuss erneut auf die Kantonshoheit in Schulfragen, sicherte aber zu, dass der Bundesrat zu dieser Frage nicht schweigen werde
[38].
Die EDK konnte sich erneut nicht auf eine verbindliche Fremdsprachenregelung einigen. 15 Kantone votierten für eine regionale Lösung (Ost- und Zentralschweiz, Westschweiz und Kantone an der Sprachgrenze), einer stimmte dagegen, acht enthielten sich der Stimme. Damit wurde die für einen bindenden Entscheid notwendige Zweidrittelsmehrheit knapp verfehlt. Nach dem Scheitern einer Konsenslösung
bleibt es den Kantonen überlassen, welcher Fremdsprache sie die Priorität einräumen wollen. Mit den im Berichtsjahr von weiteren Kantonsregierungen (Bern und Schaffhausen) gefällten Entscheiden zeichneten sich zwei „Sprachenteppiche“ im Primarschulunterricht ab: In der Westschweiz und in den Deutschschweizer Kantonen entlang der Sprachgrenze wird vorderhand noch Deutsch resp. Französisch als erste Fremdsprache unterrichtet, der Rest des Landes wechselt in den nächsten Jahren zu Englisch
[39].
Die neue Maturitätsanerkennungsverordnung schafft die Möglichkeit, eine
zweisprachige Maturitätsprüfung ablegen zu können. Hauptbedingung ist, dass (zusätzlich zum regulären Sprachenunterricht) mindestens 600 Stunden in der Fremdsprache unterrichtet werden, wovon wenigstens ein naturwissenschaftliches Fach. Ursprünglich war dafür eine zweite Landessprache vorgesehen, die Kantone erreichten aber beim Bund, dass auch Englisch zugelassen wurde. Ab dem Schuljahr 2001/2002 starteten in den Kantonen Zürich, Basel-Land, Luzern und Neuenburg erste Pilotversuche mit Englisch
[40].
[36]
AB NR, 2001, S. 323 ff. Siehe
SPJ 2000, S. 290. In ihren Ausführungen zuhanden der Presse erklärten mehrere der Befürworter, sie hätten eher „contre coeur“ für die Initiative gestimmt, weniger aus Opposition gegen Frühenglisch als vielmehr, um die Romands nicht zu brüskieren und die Diskussion auf eine breitere politische Ebene zu stellen (Presse vom 23.–26.3.01). 36
[37]
AB NR, 2001, S. 359. Die EDK reagierte mit Besorgnis auf die Annahme der pa.Iv. Berberat; ihrer Ansicht nach ist es verfehlt, die Frage der ersten Fremdsprache in der Verfassung zu regeln (
Bund, 24.3.01). 3
[38] Presse vom 27.10.01. Siehe auch
24h, 20.6.01 (Interview Dreifuss)38
[39] Presse vom 12.6.01. Siehe
SPJ 2000, S. 289. Auch Uri, das 1994 als einziger Kanton Frühitalienisch eingeführt hatte, gibt ab dem Schuljahr 2004/2005 Frühenglisch den Vorzug (Presse vom 29.1.01). Der Kanton Tessin will auf ein gleichberechtigtes Erlernen von Französisch (1. Fremdsprache), Deutsch und Englisch setzen, allerdings löst auch hier Englisch als 2. Fremdsprache Deutsch ab (Presse vom 6.12.01). 39
[40]
NZZ, 4.1., 11.1. und 20.3.01;
LT, 17.1.01;
BaZ, 4.10.01. 40
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