Année politique Suisse 2002 : Economie / Politique économique générale
 
Gesellschaftsrecht
Im Parlament und in der Öffentlichkeit fand die Diskussion über die Regeln der Verantwortlichkeit in Verwaltungsräten und über als zu hoch und nicht leistungsgerecht empfundene Löhne von Spitzenmanagern ihre Fortsetzung [28]. Der Nationalrat lehnte in der Frühjahrssession eine parlamentarische Initiative Maspoli (lega, TI) und eine Motion einer von Chiffelle (sp, VD) angeführten Minderheit der Kommission für Rechtsfragen ab, welche eine Publikation der Bezüge der Verwaltungsräte von Aktiengesellschaften verlangt hatten. Er stimmte jedoch einer als Alternative dazu eingereichten parlamentarischen Initiative Chiffelle zu, welche diese Offenlegungspflicht lediglich bei den börsenkotierten Gesellschaften einführen will. Gleichzeitig überwies der Rat auch eine Motion Leutenegger (sp, BL), welche zusätzlich zu den Verwaltungsratsentschädigungen auch die Löhne der Spitzenmanager publiziert haben will. Betroffen wären davon nicht nur börsenkotierte Aktiengesellschaften, sondern auch die spezialgesetzlich geregelten Unternehmen des Bundes (z.B. Post, SBB). Diese Motion war in der Abstimmung von den geschlossenen Fraktionen der SP, der SVP und der GP, hingegen nur von Minderheiten der FDP und der CVP unterstützt worden. Ebenfalls dank einer Koalition zwischen der Linken und der SVP gutgeheissen hat der Nationalrat eine Motion Leutenegger (sp, BL) für einen besseren Schutz der Minderheitsaktionäre (ohne den Teil über ein Klagerecht für Interessenvertretungen der Kleinaktionäre). Der Ständerat war bei den beiden Motionen Leutenegger zurückhaltender. Die vorberatende Kommission hatte sich zwar mit der allgemeinen Zielrichtung einverstanden erklärt; da die Formulierungen zum Teil zu weit gingen und zum Teil widersprüchlich und unpräzis seien, beantragte sie die Umwandlung in Postulate, was das Ratsplenum dann auch tat [29].
Noch nicht vom Parlament behandelt worden ist eine parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion, welche die Stellung der Kleinaktionäre gegenüber dem Verwaltungsrat dadurch stärken will, dass das Depotstimmrecht der Banken nur noch mit expliziter Genehmigung des Aktieninhabers ausgeübt werden darf. Eine Motion Gross (sp, TG), die das OR in dem Sinne ergänzen wollte, dass in Aktiengesellschaften nicht nur die Verwaltungsräte haften, sondern subsidiär auch die Gesellschaften, welche sie vertreten (z.B. Banken oder Eigentümer von grossen Aktienpaketen), fand hingegen keine Zustimmung [30].
Nationalrat Walker (cvp, SG), verlangte mit einem überwiesenen Postulat eine Verbesserung der Revisionstätigkeit mit Hilfe von Garantien für Unabhängigkeit und Vorschriften über die Qualitätssicherung. Ähnliches forderte im Rahmen seiner Debatte über den Zusammenbruch der Swissair auch der Ständerat. Er hiess eine Motion seiner GPK gut, welche die Bestimmungen des OR über die Rechnungslegung und Unternehmenskontrolle verschärfen will [31]. Die im Vorjahr vom Nationalrat überwiesene Motion Walker für einen Bericht des Bundesrates über Vorschriften zur strengeren Trennung zwischen strategischer und operationeller Führung bei Aktiengesellschaften wurde vom Ständerat aus formellen Gründen in ein Postulat umgewandelt [32].
Das im Vorjahr vom Ständerat gutgeheissene neue Gesetz über Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung von Gesellschaften (Fusionsgesetz) kam noch nicht vor das Plenum des Nationalrats [33].
 
[28] Vgl. dazu etwa NZZ, 20.2. (Arbeitgeberverbandspräsident Peter Hasler) und 14.3.02; SGT, 21.2.02; LT, 23.2.02. In der Boulevardpresse wurde in diesem Zusammenhang der Begriff „Abzocker“ lanciert, der in den übrigen Medien und bei Politikern rasch Verbreitung fand (siehe etwa Blick, 25.2.02). Vgl. SPJ 2001, S. 82.
[29] AB NR, 2002, S. 176 ff. und 186 f. (Leutenegger); AB SR, 2002, S. 309 ff. und 323 ff. Vgl. dazu auch die abgelehnte Motion Studer (evp, AG) in AB NR, 2002, S. 378 ff. Die SVP-Fraktion hat zudem eine parlamentarische Initiative mit ähnlichem Inhalt wie die Motion Leutenegger eingereicht (Pa.Iv. 02.406; NZZ, 23.2.02). Zu den Forderungen nach Lohntransparenz bei den bundesnahen Unternehmen siehe auch oben, Teil I, 1c (Verwaltung).
[30] SVP: Pa.Iv. 02.407. Motion Gross: AB NR, 2002, S. 380 f.
[31] AB NR, 2002, S. 1128; AB SR, 2002, S. 1299.
[32] AB SR, 2002, S. 309 ff. und 323 ff. Siehe zur Revisionstätigkeit auch die Interpellation Lauri (svp, BE) in AB SR, 2002, S. 330 f. Vgl. SPJ 2001, S. 82.
[33] Vgl. SPJ 2001, S. 82.