Année politique Suisse 2002 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
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Forschung am Menschen
Wie im Vorjahr angekündigt, gab der Bundesrat im Frühjahr seinen Vorentwurf für ein eigenständiges Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen menschlichen Embryonen und embryonalen Stammzellen in die Vernehmlassung. Von dieser Forschung erhofft man sich neue Therapiemöglichkeiten für heute nicht oder nur sehr schwer zu behandelnde Krankheiten. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, die Embryonen- und Stammzellenforschung in das vorgesehene Bundesgesetz über die medizinische Forschung am Menschen aufzunehmen. In den letzten Jahren wurde aber die Forschung in diesem Bereich derart vorangetrieben, dass sich das Fehlen klarer gesetzlicher Regelungen als zunehmend problematisch erwies. Zudem müssen gemäss Fortpflanzungsmedizingesetz jene rund 1000 überzähligen Embryonen, die vor Inkrafttreten des Gesetzes (1.1.2001) angefallen sind, spätestens Ende 2003 vernichtet werden. Der Bundesrat hatte deshalb im Vorjahr beschlossen, die Stammzellenproblematik aus dem geplanten Gesetz herauszubrechen und vorzeitig zu regeln [37].
Mit seinem Gesetzesvorschlag will der Bundesrat die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen aus den bei der künstlichen Befruchtung anfallenden überzähligen Embryonen für die Forschung sowie die Forschung an diesen Embryonen und Stammzellen klar und umfassend regeln. Das Gesetz bezweckt, den missbräuchlichen Umgang mit diesen Embryonen und Stammzellen zu verhindern und die Menschenwürde zu schützen. Grundbedingung ist, dass das betroffene Paar nach entsprechender Aufklärung seine Einwilligung gibt und dafür kein Entgelt erhält. Die Forschung ist bewilligungspflichtig, muss wissenschaftlich wertvoll, ethisch vertretbar und nicht auf andere Weise (beispielsweise mit adulten Zellen) durchführbar sein. Über die Verwendung von bereits gewonnenen embryonalen Stammzellen soll eine Ethikkommission entscheiden. Verboten bleiben die Herstellung oder Verwendung von zu Forschungszwecken erzeugten embryonalen Stammzellen, weshalb auch deren Import aus dem Ausland untersagt wird, eine kommerzielle Verwendung von Embryonen und Stammzellen, das therapeutische Klonen sowie die Entwicklung eines Embryos über den 14. Tag hinaus [38].
FDP und LP, die Forschung und die Wissenschaft sowie die Spitzenverbände der Wirtschaft befürworteten mit kleineren Vorbehalten das Gesetz als massvoll und ausgewogen sowie als wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Forschungsplatzes Schweiz. Auch SVP und EVP beurteilten den Gesetzesentwurf grundsätzlich positiv, verlangten aber, dass die restriktiven Bedingungen zum Teil verschärft, auf alle Fälle aber nicht verwässert werden. Die CVP ortete Grauzonen, die einer „verbrauchenden Forschung“ Tür und Tor öffnen könnten. SP, Grüne und die CVP-Frauen verhielten sich ablehnend und verlangten eine Beschränkung auf die Forschung mit adulten Zellen; zudem müsse vor einer allfälligen Gesetzgebung eine breite ethische und wissenschaftliche Diskussion über das Thema geführt werden. Die Kritiker stiessen sich auch daran, dass das kaum zwei Jahre alte Fortpflanzungsmedizingesetz, welches die Embryonenforschung verbietet, mit dem neuen Gesetz bereits wieder Makulatur würde. Zu restriktiv war der Vorschlag hingegen einzelnen Forschern sowie der Lobby-Vereinigung „Gen Suisse“; sie verlangten, auf das Verbot der Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken sowie des therapeutischen Klonens zu verzichten [39]. Ende November verabschiedete der Bundesrat den gegenüber der Vernehmlassung praktisch unveränderten Gesetzesentwurf zuhanden des Parlaments [40].
 
[37] Siehe SPJ 2001, S. 183.
[38] Presse vom 23.5.02. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR zu einer Interpellation Gutzwiller (fdp, ZH) in AB NR, 2002, Beilagen, IV, S. 315 ff.
[39] Presse vom 16.4. (Bericht des Zentrums für Technologiefolgeabschätzung), 20.6. (Nationale Ethikkommission), 8.7.02 (Schweiz. Akademie der Technischen Wissenschaften) 31.7.02 (Gen Suisse) und 2.9.02 (Ergebnisse der Vernehmlassung). Zur Haltung der Parteien generell siehe insbesondere NZZ, 8.5.02. FDP: Presse vom 4.2. und 14.5.02. Grüne: Presse vom 4.6.02. Die Stiftung Science et Cité wurde vom BAG und von der Gruppe für Wissenschaft und Forschung damit beauftragt, eine landesweite Debatte über diese Forschung zu organisieren (NZZ, 10.6.02).
[40] BBl, 2003, S. 1163 ff.; Presse vom 21.11.02. Eine Motion Dunant (svp, BS), die den BR beauftragen wollte, die gesetzlichen Regelungen für die Embryonenforschung möglichst liberal zu formulieren, wurde im NR bekämpft und die Diskussion deshalb verschoben (AB NR, 2002, S. 457). Zu berufsethischen Empfehlungen der SAMW im Bereich Forschung, siehe unten, Teil I, 8a (Forschung).