Année politique Suisse 2002 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Suchtmittel
Der geltende Bundesbeschluss über die ärztliche Verschreibung von Heroin ist bis zum Inkrafttreten der Revision des Betäubungsmittelgesetzes
(BetmG), längstens aber bis zum 31. Dezember 2004, befristet. Der Ständerat hatte die Revision 2001 behandelt, doch führten verschiedene Umstände zu zeitlichen Verzögerungen bei den entsprechenden Beratungen des Nationalrates, weshalb es möglich ist, dass das revidierte BetmG am 1. Januar 2005 noch nicht in Kraft sein wird und ab diesem Zeitpunkt keine gesetzliche Basis für die
ärztliche Verschreibung von Heroin an schwer Drogenkranke mehr besteht. In diesem Fall müssten die Behandlungszentren geschlossen werden und die Patientinnen und Patienten ihre Therapie, die ihnen das Führen eines möglichst normalen Lebens erlaubt, abrupt abbrechen. Um dies zu verhindern, beantragte der Bundesrat dem Parlament, den Bundesbeschluss um fünf Jahre, längstens jedoch auch hier bis zum Inkrafttreten des revidierten BetmG zu verlängern
[49].
Acht Jahre nach Beginn der ärztlichen Verschreibung von Heroin an Schwerstsüchtige zog sich der Bund aus der Rolle des Lieferanten für den mit Zustimmung des US-Narcotic-Board im Ausland beschafften Stoff zurück. Die
Lizenz für die Herstellung und den Vertrieb des Heroins wurde Anfang Jahr an eine private Schweizer Kleinfirma vergeben, da die grossen Pharmakonzerne kein Interesse gezeigt hatten; aus Sicherheitsgründen wurde der Name der Firma nicht bekannt gegeben. Gleichzeitig wurde das von dieser Firma produzierte injizierbare Heroin unter der Bezeichnung Diaphin
offiziell als Heilmittel registriert. Damit konnte die vom EDI im Vorjahr angekündigte Aufnahme in die Spezialitätenliste der (von den Krankenkassen zu vergütenden) Heilmittel anlaufen
[50].
Santésuisse hatte schon früher angekündigt, sie würde gegen die Kassenpflicht von Heroin rekurrieren. Vehement dagegen protestiert hatten auch Vertreter des rechtbürgerlichen Lagers. Die SVP hatte die diesbezüglichen Absichten des BSV sogar zum Anlass genommen, in einer parlamentarischen Initiative zu verlangen, das Parlament solle anstelle des EDI den Grundleistungskatalog der Krankenversicherung regeln, doch war der Vorstoss im Nationalrat deutlich abgelehnt worden. Mehr Erfolg hatte im Berichtsjahr der Solothurner CVP-Abgeordnete Heim. Seine Motion für eine
Aufhebung der Kassenpflicht wurde gegen den Willen des Bundesrates vom Nationalrat mit 95 zu 67 gutgeheissen. Heim argumentierte, die Heroinabgabe, die erwiesenermassen zu einem Rückgang der Beschaffungskriminalität geführt habe, sei weniger eine medizinische denn eine sozialpolitische Massnahme zur Verbrechensbekämpfung
[51].
Ab dem 1. Januar 2003 muss jeder Angehörige der Armee eine Bestätigung unterschreiben, dass er das Drogenverbot in der
Armee zur Kenntnis genommen hat und er bei einem Verstoss mit strafrechtlichen Folgen zu rechnen hat. Mit dieser Massnahme will der Chef des Heeres die bereits früher angekündigte
Nulltoleranz-Politik durchsetzen. Bisher mussten nur Fahrzeuglenker eine solche Vereinbarung unterschreiben. Die Vorgesetzen aller Grade wurden dazu aufgerufen, im Kampf gegen harte wie weiche Drogen keine Milde walten zu lassen. Auf willkürliche Razzien soll aber verzichtet werden
[52].
Ende Januar nahmen das BAG und Swissmedic einige so genannte
Partydrogen neu ins Verzeichnis der verbotenen bzw. streng kontrollierten Stoffe gemäss BetmG auf. Ganz verboten wurden Handel und Konsum halluzinogener Pilze mit den Wirkstoffen Psilocin und Psilocybin sowie des Peyotl-Kaktus, aus dem die Droge Meskalin gewonnen werden kann. Streng kontrolliert wird künftig der Umgang mit der Substanz GHB, die in der Partyszene als „Liquid Ecstasy“ gehandelt wird, obwohl sie mit dem so genannten Ecstasy nichts zu tun hat. Aufgrund einer Empfehlung der WHO wird GHB von nun an nur noch mit Bewilligung von Swissmedic zu medizinischen Zwecken hergestellt und gehandelt werden dürfen
[53].
Nach dem Vorbild der Kantone Thurgau und Graubünden unterstellte der Grosse Rat des Kantons Tessin den Hanfanbau einer Meldepflicht. Das Landwirtschaftsamt soll die Plantagen, die vor allem in der Magadino-Ebene angesiedelt sind, kontrollieren und Bauern anzeigen können, wenn der THC-Gehalt der Pflanzen über den gesetzlich erlaubten 0,3% liegt. Als erster Kanton in der Schweiz
reglementierte der
Tessin aber auch den
Cannabis-Verkauf, der in erster Linie in Grenznähe zwischen Mendrisio und Chiasso floriert. Künftig braucht es für den Verkauf von Hanfprodukten eine kantonale Bewilligung. Geschäftsinhaber erhalten eine fünfjährige Betriebserlaubnis nur, wenn sie einen ordentlichen Leumund haben und nicht wegen Drogendelikten verurteilt wurden. Verboten wird der Verkauf in der Nähe von Schulen, Sportplätzen und Freizeitzentren. Die Tessiner Behörden hoffen, mit den neuen Bestimmungen den Hanftourismus aus dem angrenzenden Italien einzudämmen. Obgleich der Export der Ware untersagt und der Konsum in Italien streng verboten ist, kommen scharenweise Kunden aus Italien, um sich mit sogenannten Duftkissen einzudecken, deren Inhalt offiziell nicht zum Rauchen bestimmt ist
[54].
[49]
BBl, 2002, S. 5839 ff. Siehe
SPJ 2001, S. 184 f.
[51]
AB NR, 2002, S. 1504 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 194. Siehe in diesem Zusammenhang auch eine nur ganz knapp als Postulat überwiesene Motion Waber (edu, BE), welche eine volle Kostenwahrheit bei der ärztlichen Abgabe von Heroin verlangt sowie verwandte Interpellationen Waber und Schenk (svp, BE) (
AB NR, 2002, S. 588 ff. und Beilagen, II, S. 15 f. und 60 f.).
[54]
BaZ, 25.6.02. Zum „Hanftourismus“ im Tessin siehe
SPJ 2000, S. 210. Vgl. auch die Ausführungen des BR zu einer Interpellation Simoneschi (cvp, TI) in
AB NR, 2002, Beilagen, IV, S. 350 ff. Für Medienmeldungen, wonach der THC-Gehalt des handelsüblichen Cannabis in den letzten Jahren stark zugenommen hat, siehe
SoZ, 1.12.02 und
WoZ,
5.12.02
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