Année politique Suisse 2002 : Politique sociale / Groupes sociaux / Flüchtlingspolitik
Mit einer Motion forderte Dunant (svp, BS) vom Bundesrat geeignete Massnahmen, um die Lücken in der Gesetzgebung und in der Praxis zu schliessen, die dazu führen, dass sich
ausländische Straftäter aufgrund eines drohenden Strafvollzugs im Herkunftsland weiterhin in der Schweiz aufhalten und hier einer Strafverfolgung und Inhaftierung entgehen können, auch wenn ihr Asylgesuch abgelehnt wurde. Der Bundesrat verwies auf die laufende Strafgesetzbuchrevision, bei der das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege eingeführt bzw. erweitert werden soll, sowie auf die Möglichkeiten, die sich aus den Zwangsmassnahmen im Ausländerbereich ergeben. Auf seinen Antrag wurde die Motion als Postulat überwiesen, damit allfällige weitere Massnahmen geprüft werden können. Eine zweite Motion Dunant, die eine Übertragung der Kompetenz für die Haftanordnung und gerichtliche Überprüfung der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft von den jetzt dafür zuständigen Kantonen auf die Bundesbehörden forderte, wurde von Garbani (sp, NE) bekämpft und so vorderhand der Diskussion entzogen. Mit einer dritten Motion verlangte Dunant, die parteipolitische Zugehörigkeit der in der
Asylrekurskommission (ARK) tätigen Richterinnen und Richter sei offen zu legen. Der Bundesrat erinnerte daran, dass die Parteizugehörigkeit zu den besonders schützenswerten Personendaten nach Datenschutzgesetz gehört; diese dürfen nur bearbeitet werden, wenn dies in einem formellen Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Da die Kompetenz zur Ernennung der ARK-Richterinnen und -richter dem Bundesrat übertragen wurde, stellte das Ansinnen Dunants zudem einen Eingriff in die Regelungszuständigkeit der Regierung dar, weshalb der Bundesrat beantragte, die Motion abzulehnen. Diese wurde von Ménétrey-Savary (gp, VD) bekämpft und die Diskussion deshalb verschoben
[23].
In einer gemeinsamen Pressemitteilung verlangten die Ostschweizer
Kantone (SG, AI, AR, TG, GR, GL, ZH) vom Bund mehr
Unterstützung bei der Identitätsfeststellung und bei der Beschaffung der für eine Wegweisung notwendigen Reisepapiere. Wichtig wäre ihrer Ansicht nach, die Asylverfahren bis zu deren rechtmässigem Abschluss zu verkürzen, insbesondere in jenen Fällen, in denen die Kantone dem Bund Meldungen über strafrechtliches Verhalten zukommen lassen. Ein weiterer Vorschlag zielte auf eine Änderung des Asylgesetzes ab. Mit einem „Bonus-Malus-System“ sollen Personen aus dem Asylbereich, die straffällig werden, in der Drogenszene angetroffen werden oder ihre Identität verheimlichen, mit Einschränkungen der staatlichen Leistungen rechnen müssen, während kooperative Personen bei der Unterbringung oder bei den finanziellen Leistungen besser zu stellen wären
[24].
1999 und 2001 war es bei der
zwangsweisen Ausschaffung von abgewiesenen Asylbewerbern zu je einem Todesfall gekommen. Nachdem auch die Antifolterkommission des Europarates die Praxis der Schweiz gerügt hatte, gaben sich die kantonalen Polizeiverantwortlichen Regeln, wie ihre Korps diese Ausschaffungen zu vollziehen haben. Insbesondere wurden Massnahmen verboten, welche die Atmung behindern können. In jedem Kanton wurden erfahrene Polizisten zu „Begleitteams“ ausgebildet. Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren regte zudem die Schaffung einer bundesrechtlichen Regelung an. Diese Empfehlung veranlasste Nationalrat Glasson (fdp, FR), den Bundesrat mit einer Motion aufzufordern, in diesem Bereich umgehend aktiv zu werden. Der Bundesrat verwies auf die bevorstehende Einsetzung einer Steuergruppe aus Vertretern der Bundes- und der Kantonsbehörden und beantragte Umwandlung in ein Postulat. Der Vorstoss wurde aber von Ménétrey-Savary (gp, VD) bekämpft und der Beschluss deshalb verschoben
[25].
In Folge der nach wie vor instabilen Lage in
Afghanistan beschloss das BFF, vorderhand keine Entscheide über Asylgesuche von afghanischen Staatsangehörigen mehr zu fällen und die Wegweisungen von bereits abgewiesenen Asylsuchenden auszusetzen, es sei denn, sie könnten in ein Drittland reisen oder sie seien straffällig geworden. Freiwillige Rückkehrer erhielten eine finanzielle Starthilfe. Im September hob das BFF dieses Moratorium per 1. April 2003 auf
[26]. Wegen der unklaren Entwicklung hatte das BFF auch die Gesuche von Asylsuchenden aus
Mazedonien zurückgestellt. Da der Zustrom von Mazedoniern aber in den ersten Monaten des Jahres stark anstieg, wurden deren Gesuche ab dem Sommer vorrangig behandelt, da sich die Lage beruhigt hatte und absehbar wurde, dass sie kaum Chancen auf einen positiven Entscheid hatten. Auch ihnen wurde eine Rückkehrhilfe gewährt
[27]. Als erstes Land Europas traf die Schweiz erste Vorkehrungen für die Rückkehr
ethnischer Minderheiten in den
Kosovo. Rund 3300 dieser Flüchtlinge waren individuell vorläufig aufgenommen worden, da ihnen bei ihrer Rückkehr in den Kosovo akute Gefahr drohte. Nach einem Augenschein und Gesprächen vor Ort kam der Direktor des BFF zum Schluss, dass eine Rückkehr zumutbar sei. Da aber weiter lokale Schwierigkeiten bestünden und die Situation sich je nach Minderheit unterschiedlich entwickle, werde das BFF jedes Gesuch einzeln prüfen. Als letzte Frist für die freiwillige Ausreise wurde April 2003 bestimmt. Wer bis dahin in den Kosovo zurückkehrt, erhält eine je nach Ausreisedatum abgestufte Starthilfe (maximal 2000 Fr. für eine erwachsene Person, für Minderjährige die Hälfte)
[28]. Besondere Betreuungsprobleme boten im Berichtsjahr junge Asylsuchende aus zerrütteten
westafrikanischen Staaten, da sie sich teilweise als kaum sozialisierbar erwiesen und sehr oft als Kleindealer tätig waren. Das BFF forcierte deshalb die Verhandlungen für Rückübernahmeabkommen mit den Herkunftsstaaten. Ab Oktober griff das EJPD härter gegen diese Asylsuchenden durch: ihre Gesuche wurden schneller behandelt und ihre Ausschaffungen prioritär durchgeführt
[29].
Eine im Vorjahr vom Nationalrat angenommene Motion Borer (svp, SO), die eine gesonderte
Krankenversicherung für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene verlangt hatte, wurde vom Ständerat lediglich als Postulat angenommen
[30].
[23]
AB NR, 2002, S. 459 und 2159. Siehe auch eine Anfrage Dunant zur ARK (
a.a.O., S. 2179).
[24]
SGT, 26.4. und 17.10.02.
[25]
AB NR, 2002, S. 1685;
BZ, 23.3.02; Presse vom 13.4.02;
NZZ,
5.6.02. Die Rüge der Schweiz stützte sich auf einen Bericht, den NR Vermot (sp, BE) im Auftrag des Europarates über die Ausschaffungspraxis der europäischen Staaten erstellt hatte (
TA, 23.1.02;
TG, 10.5.02). Die Schweiz. Akademie der Medizinischen Wissenschaften erliess ebenfalls Richtlinien für die an derartigen Ausschaffungen beteiligten Ärzte (
LT, 10.1.02).
[26]
LT, 10.4. und 6.9.02. Eine beim „International Center for Migration Policy Developement“ in Wien in Auftrag gegebene Studie stellte der schweizerischen Asylpolitik insgesamt ein gutes Zeugnis aus. Ausdrücklich gelobt wurde das Prinzip der Rückkehrunterstützung, für welche die Schweiz mehr ausgibt als die anderen untersuchten Staaten (235 Mio Fr. für die Jahre 2000-2003) (
Bund, 15.1.03).
[27]
LT, 21.8.02;
NZZ, 27.8.02.
[28] Presse vom 8.5.02. Die ARK dagegen hielt Sinti, Ashkali und Roma für nach wie vor gefährdet bei einer Rückkehr in den Kosovo (
TA, 19.7.02). Siehe
SPJ 2001, S. 206.
[29]
NZZ, 18.7.02;
Bund, 25.7.02;
24h, 27.8. und 24.9.02.
SoZ, 29.9. und 6.10.02; Presse vom 12.10.02. Siehe dazu auch die Stellungnahme des BR zu einer Interpellation Cornu (fdp, FR) in
AB SR, 2002, S.
718 f. sowie zu einer Interpellation Fehr (svp, ZH), einer Interpellation der FDP-Fraktion und einer Interpellation Heim (cvp, SO) in
AB NR, 2002, S. 1698 und 2163.
[30]
AB NR, 2002, S. 259 f. Siehe
SPJ 2001, S. 206. Der BR beantragte dem Parlament eine KVG-Änderung, die spezielle Versicherungsformen für Asylbewerber und vorläufig Aufgenommene ermöglicht; zudem werden sie aus dem für den Risikoausgleich massgebenden Bestand ausgenommen (
BBl, 2002, S. 6962 f.).
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