Année politique Suisse 2002 : Politique sociale / Groupes sociaux / Frauen
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Arbeitswelt
Gemäss Bundesgericht verbietet das Lohngleichheitsgebot keineswegs, dass ein typischer Frauenberuf im Verhältnis zu einem vergleichbaren geschlechtsneutralen Beruf besoldungsmässig tiefer eingestuft wird, wenn auch die Arbeitszeiten kürzer sind. Ganz im Gegenteil verlange das Gebot der Rechtsgleichheit, Lohnvergleiche auf der Basis eines gleichen Arbeitspensums vorzunehmen und allfälligen Unterschieden in der quantitativen Belastung bei der Festlegung der Besoldung Rechnung zu tragen. Konkret zu beurteilen war die Situation der Kindergärtnerinnen im Kanton Freiburg, die sich über eine geschlechterspezifische Lohndiskriminierung beklagten, weil sie gut 20% weniger Gehalt bekommen als die Primarlehrer. Diese Lohndifferenz ist laut einstimmigem Urteil des Bundesgerichtes gerechtfertigt, weil die Freiburger Kindergärtnerinnen auch ein im Vergleich mit den Lehrern um 25% geringeres zeitliches Arbeitspensum zu bewältigen haben [38].
Erstmals war eine Lohngleichheitsklage in der Privatwirtschaft erfolgreich. Das von einer Arbeiterin wegen Diskriminierung eingeklagte Unternehmen verzichtete auf einen Rekurs gegen ein Urteil des Waadtländer Kantonsgerichts ans Bundesgericht, wodurch dieses rechtskräftig wurde. Das Kantonsgericht hatte insbesondere festgehalten, dass ein Lohnunterschied sexistischer Natur besteht, wenn Angestellte beiden Geschlechts eine ähnliche Position im Unternehmen und ein vergleichbares Pflichtenheft haben, dafür aber nicht den gleichen Lohn beziehen. Im Urteil war insbesondere der Grundsatz der Beweislastumkehr konkretisiert worden, der nach Ansicht von Experten bei den Gerichten bisher zu wenig bekannt war [39].
Das Institut für Arbeit und Arbeitsrecht der Universität St. Gallen präsentierte eine Studie, die anhand der Lohnstrukturerhebung des Jahres 1998 einmal mehr geschlechtsspezifische Ungleichheiten in der Entlöhnung von Frauen und Männern nachwies. Gemäss der Untersuchung verdienen Frauen in den Branchen Gesundheitswesen, Gastgewerbe, Banken und Versicherungen für vergleichbare Arbeit rund 20% weniger als gleich qualifizierte Männer. Festgestellt wurde auch, dass bei höherer Qualifikation und in anspruchsvollen Positionen die Lohnungleichheiten zunehmen [40].
 
[38] NZZ, 9.11.02.
[39] WoZ, 24.1.02; TA, 29.1.02; Presse vom 4.2.02. Der NR überwies eine Motion Hubmann (sp, ZH) zur Verstärkung des Kündigungsschutzes bei Lohngleichheitsklagen auf Antrag des BR nur als Postulat (AB NR, 2002, S. 1124).
[40] SGT, 18.2.02. Obgleich die Ziele nur sehr beschränkt erreicht wurden, löste sich das Netzwerk „Taten statt Worte“, das Frauen auf allen beruflichen Ebenen fördern wollte, nach 16 Jahren auf (TA, 11.5.02).