Année politique Suisse 2002 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
Berufsbildung
In seiner Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Technologie in den Jahren 2004-2007 (siehe unten, Forschung) erklärte der Bundesrat die Umsetzung der Strategie gemäss neuem Berufsbildungsgesetz zu einem Hauptziel der neuen Bundespolitik. Im Zentrum muss seiner Auffassung nach die
flexible Anpassung der Ausbildung an die veränderten Bedürfnisse von Individuum und Wirtschaft stehen. Eine weitere Hauptaufgabe sieht er in der Überführung der Berufsbildung in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Kunst in die Zuständigkeit des Bundes. Der Anteil des Bundes an den öffentlichen Aufwendungen soll von rund 16 auf 25% steigen
[19].
Der
Ständerat begann in der Sommersession mit der Beratung des neuen
Berufsbildungsgesetzes (BBG), das als indirekter Gegenvorschlag zur „Lehrstelleninitiative“ (siehe unten) eine Aufwertung der Berufsbildung und ein verstärktes finanzielles Engagement des Bundes in diesem Bereich anstrebt. Inhaltlich schuf er nur wenige Differenzen zum Nationalrat. Gegen einen Antrag der Mehrheit der Kommission, die fand, der Markt reguliere sich selber, sprach sich die kleine Kammer mit 18 zu 12 Stimmen dafür aus, dass der Bund
bei Lehrstellenmangel befristete Massnahmen ergreifen kann. Auch Bundesrat Couchepin setzte sich für diese Bestimmung ein, die einen Rückzug der „Lehrstelleninitiative“ ermögliche. Anders als die grosse Kammer war der Ständerat aber der Ansicht, dass der zwingende Unterricht einer Fremdsprache in der Lehre nicht angebracht sei. Dies würde viele Lehrlinge überfordern; in nur einer Stunde pro Woche lerne man ohnehin nicht viel, der Bundeskasse bringe der Verzicht auf den Fremdsprachenunterricht aber 40 Mio Fr. Die gewichtigste Differenz schuf die kleine Kammer bei der
Finanzierung, wo sie den Anteil des Bundes auf lediglich 25% festlegen wollte. Der Nationalrat hatte sich im Vorjahr für 27,5% ausgesprochen. Der Entscheid fiel mit Blick auf die Bundeskasse und die Schuldenbremse mit dem Argument, es sei nicht sinnvoll, im Gesetz Beiträge einzusetzen, die mit dem Budget nicht vereinbar seien. Damit wurde die Beteiligung des Bundes an der Berufsbildung um ca. 65 Mio Fr. auf rund 625 Mio Fr. vermindert. Ebenfalls eine bedeutende Korrektur nahm der Ständerat beim
Berufsbildungsfonds vor: Der Bundesrat soll ganze Branchen erst dann zu Beiträgen verpflichten können, wenn sich mindestens die Hälfte der Betriebe beteiligt, die 50% der Lehrlinge angestellt haben. Der Nationalrat hatte die Grenze bei je 30% gesetzt. Im Differenzbereinigungsverfahren beharrten beide Kammern vorerst auf ihren Positionen. Nach der Einigungskonferenz schloss sich der Nationalrat in der Frage der Fremdsprache und bei der Bundesbeteiligung (25%) dem Ständerat an; durchsetzen konnte er sich hingegen beim Berufsbildungsfonds (Quorum von 30%). In der Schlussabstimmung wurde das neue Berufsbildungsgesetz von beiden Kammern einstimmig angenommen
[20].
Auf Antrag des Bundesrates überwies der Ständerat mit 29 zu 4 Stimmen eine Motion der WBK des Nationalrates, welche die Erarbeitung eines integralen
Bundesgesetzes über die Weiterbildung verlangte, nur in Postulatsform. Lediglich die Vertreter der SP machten sich für die verbindliche Form stark. In Übereinstimmung mit dem Bundesrat begründete die kleine Kammer die Abschwächung des Vorstosses damit, dass vor dem Entscheid, ein neues Rahmengesetz zu schaffen, verschiedene Fragen, insbesondere jene nach der notwendigen Verfassungsgrundlage zu klären seien, da die Weiterbildung auch Sache der Kantone und der Berufsverbände sei. Auch müsse der Begriff der Weiterbildung exakter definiert werden, da es nicht angehen könne, dass mit einer allzu breiten Definition an der Schnittstelle zwischen Weiterbildung und anderweitiger persönlicher Entfaltung dem Staat Aufgaben und finanzielle Verpflichtungen überbürdet werden, die letztlich Angelegenheit des Individuums seien. Grundsätzlich wollte der Ständerat einen gewissen Handlungsbedarf im Bereich der Weiterbildung aber nicht ausschliessen
[21].
Die grosse Kammer folgte dem Ständerat, der im Vorjahr eine parlamentarische Initiative der WBK des Nationalrates für ein Bundesgesetz über die Sondermassnahmen für
Umschulungen und Weiterbildung in den Berufen der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT-Umschulungsgesetz) abgelehnt hatte, und beschloss, das Vorhaben nicht mehr weiter zu verfolgen. Dafür überwies er knapp mit 63 zu 60 Stimmen eine seither eingereichte Motion der WBK, die den Bundesrat beauftragt, für den schweizerischen ICT-Bereich umgehend ein System mit Weiterbildungsmodulen, Qualitätsentwicklungen und Know-how-Zertifizierungen zu verwirklichen, um dem herrschenden Wirrwarr an Abschlüssen und Berufsbezeichnungen zu begegnen. Der Bundesrat hatte die Auffassung vertreten, die Initiative für modulare Prüfungen auf der Stufe der berufsorientierten Weiterbildung müsse von den Organisationen der Arbeitswelt und nicht vom Bundesrat ausgehen, weshalb er beantragt hatte, die Motion abzulehnen
[22].
Vor einem Jahr hatte die Schweizerische Vereinigung für Erwachsenenbildung (SVEB) das
Qualitätslabel „eduQua“ als Pilotprojekt in sechs Kantonen eingeführt, um Licht in den unübersichtlich gewordenen Dschungel der Weiterbildungsangebote zu bringen. In Zusammenarbeit mit den kantonalen Berufsbildungs- und Arbeitsämtern, dem Bundesamt für Berufsbildung und Technologie sowie dem Seco soll das neue Label nun landesweit etabliert und damit zur anerkannten Grundlage für behördliche Entscheide etwa im Bereich der staatlichen Subventionierung von Weiterbildung werden
[23].
Aus den gleichen Gründen wie der Nationalrat empfahl auch der
Ständerat die von mehreren Jugendorganisationen 1999 eingereichte Volksinitiative „für ein ausreichendes Bildungsangebot“ (
„Lehrstelleninitiative“), die ein Verfassungsrecht auf Berufsbildung verlangt, zur
Ablehnung. Er bedauerte allerdings, dass er aus Termingründen (der Beschluss zur Initiative musste spätestens in der Märzsession gefällt werden) dies nicht erst nach der Beratung des neuen Berufsbildungsgesetzes (BBG) tun konnte (siehe oben). Da das BBG von Bundesrat und Parlament als echte Alternative zur Initiative erachtet wurde, stimmten die Räte einer Verschiebung der Abstimmung über die Volksinitiative bis 2003 zu. Die Initianten, denen die Bestimmungen zur Sicherung von genügend Lehrstellen im BBG zu unverbindlich waren, beschlossen, die Initiative aufrecht zu erhalten
[24].
Wer in einem Kanton eine
Berufslizenz hat, darf seinen Beruf grundsätzlich
in der ganzen Schweiz ausüben. Mit einem Gutachten zu einem konkreten Fall (Bündner Psychotherapeutin vs. Kanton St. Gallen) verlieh die Wettbewerbskommission (Weko) diesem Prinzip des Binnenmarktgesetzes Nachdruck. Sie verwies auf das dort verankerte Herkunftsortprinzip (Cassis-de-Dijon-Prinzip), wonach eine Person ihre privatrechtliche Erwerbstätigkeit in der ganzen Schweiz ausüben darf, wenn ihr dafür von einem Kanton die Erlaubnis erteilt wurde. Laut Weko darf von diesem Prinzip nur „aus überwiegenden öffentlichen Interessen“ abgewichen werden. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Kanton die im Herkunftskanton geltenden Anforderungen an die Berufsausübung als ungenügend erachtet und deswegen die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet sieht
[25].
Am 1. Juni trat das neue Anwaltsgesetz in Kraft, welches die interkantonale Freizügigkeit für Anwälte einführt. Seit diesem Datum können Anwälte ohne zusätzliche Bewilligung in der ganzen Schweiz vor Gericht auftreten. Als Konsequenz wurden die Berufsregeln und Disziplinarmassnahmen auf Bundesebene vereinheitlicht. Gestützt auf das Abkommen der Schweiz und der EU über den freien Personenverkehr regelt das Anwaltsgesetz ebenfalls die Modalitäten für die Zulassungsbedingungen für Anwälte aus Mitgliedstaaten der EU; da dies im Vorjahr vergessen worden war, genehmigte das Parlament diskussionslos die Ausweitung auf die EFTA-Staaten.
[19]
BBl, 2003, S. 2363 ff.; Presse vom 30.11.02.
[20]
AB SR, 2002, S. 491 ff., 517 ff., 970 ff., 1218 ff., 1303 f. und 1307;
AB NR, 2002, S. 1907 ff., 2122 f. und 2172. Siehe
SPJ 2001, S. 221 f.
[21]
AB SR, 2002, S. 642 f. Siehe
SPJ 2001, S. 223.
[22]
AB NR, 2002, S. 724 ff. Siehe
SPJ 2001, S. 222 f.
[24]
AB SR, 2002, S. 75 ff., 247 und 265;
AB NR, 2002, S. 397 und 473;
BaZ, 8.3.02. Siehe
SPJ 2001, S. 223.
[25]
NZZ, 9.1. und 22.1.02.
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