Année politique Suisse 2003 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires / Volksrechte
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Abstimmungen und Wahlen
Der Bundesrat und die Bundesverwaltung haben in den letzten Jahren bei einigen Werbekampagnen zu Volksabstimmungen intensiver mitgewirkt als dies früher üblich war. So waren etwa bei der UNO-Abstimmung und beim Entscheid über die Armeereform mit erheblichen finanziellen Mitteln Informations- und Werbebroschüren herausgegeben worden. Eine parlamentarische Initiative von Hans Fehr (svp, ZH) verlangte nun, dass sich die Regierung und die Verwaltung auf sachliche Information zu beschränken hätten und es ihnen insbesondere untersagt werde, eigentliche Werbekampagnen zu führen oder solche finanziell zu unterstützen. Die SPK des Nationalrats beantragte, diesem Vorstoss keine Folge zu geben und setzte sich damit im Plenum gegen die SVP-Fraktion durch. Da allerdings auch die SPK gewisse Regeln für die staatliche Öffentlichkeitsarbeit in Abstimmungskämpfen aufstellen möchte, unterbreitete sie dem Rat eine entsprechende Motion. Obwohl die Regierung die Umwandlung in ein Postulat beantragt hatte, überwies der Nationalrat das Anliegen einstimmig in Motionsform [37].
Wesentlich weiter als die parlamentarische Initiative Fehr will eine anfangs Jahr von einem Komitee lancierte VolksinitiativeVolkssouveränität statt Behördenpropaganda“ gehen. Sie will dem Bundesrat und den Spitzenkadern der Bundesverwaltung während Abstimmungskampagnen jegliche in Zusammenhang mit der Abstimmung stehende Medienauftritte verbieten. Zugelassen wäre nur noch eine einmalige kurze Information über den Abstimmungsgegenstand durch den Departementsvorsteher. Nicht erlaubt wäre auch die Finanzierung, Erarbeitung und Bereitstellung von Informations- und Propagandamaterial durch die Bundesverwaltung [38].
Die im Vorjahr vom Nationalrat gewährte Verlängerung der Frist für die Ausarbeitung einer Lösung zur Umsetzung einer im Jahr 2000 gutgeheissenen parlamentarischen Initiative Gross (sp, ZH) für die Meldepflicht und Publikation von grossen finanziellen Beiträgen an die Werbekampagnen für Volksabstimmungen brachte kein Ergebnis. Die Mehrheit der SPK beantragte dem Plenum, die Initiative abzuschreiben. Als wichtigsten Grund für ihren Antrag gab sie an, dass Deklarationsmodelle sehr detailliert abgefasst sein müssten, um Missbräuche zu verhindern. Zudem zeigten die Erfahrungen in den USA, dass eine Vielzahl von Umgehungsmöglichkeiten beständen, wie etwa die Ausrichtung von formal nicht zweckgebundenen Beiträgen an Parteien und Interessenorganisationen. Die vor allem von der Linken gebildete Kommissionsminderheit stimmte dieser kritischen Analyse weitgehend zu und schlug deshalb vor, mit einem Anreizmodell für vermehrte Transparenz zu sorgen. Gemäss ihrem Antrag sollen diejenigen, welche ihre Geldquellen deklarieren, vom Bund Beiträge für ihre Werbekampagnen erhalten [39].
Die SVP-Fraktion im Nationalrat reichte zwei parlamentarische Initiativen zur Einführung des Finanzreferendums ein. Darin verlangt sie, dass Verpflichtungs- oder Rahmenkredite ab einem im Initiativtext nicht festgelegten Betrag dem fakultativen Referendum unterstellt sein sollen. Kredite von einem niedriger liegenden Minimalumfang sollen zudem auf Verlangen von je einem Drittel der Mitglieder der beiden Ratskammern dem fakultativen Referendum unterstellt werden. Die SPK des Nationalrats beantragte, dem ersten Vorstoss Folge zu geben und den zweiten abzulehnen [40].
In der kleinen Genfer Gemeinde Anières konnten die Stimmberechtigten im Januar bei einer kommunalen Abstimmung ihr Votum auch auf elektronischem Weg (via Internet) abgeben. Es handelte sich dabei um die weltweit erste Anwendung des sogenannten E-Votings bei einer rechtlich verbindlichen Entscheidung; bisher hatte es diese neue Art der Stimmabgabe nur bei unverbindlichen Testabstimmungen oder parteiinternen Entscheidungen gegeben. Ende Jahr wurde das Experiment in Cologny (GE) wiederholt. Bei einer an sich hohen Beteiligung von knapp 60% benutzten hier rund 30% das Internet zur Stimmabgabe; etwa zwei Drittel hatten auf dem Korrespondenzweg abgestimmt und nur 4% begaben sich persönlich zu den Abstimmungslokalen [41].
 
[37] AB NR, 2003, S. 1433 ff. (pa.Iv.) und 1437 (Motion).
[38] BBl, 2003, S. 731 ff.
[39] BBl, 2003, S. 3916 ff. Vgl. SPJ 2002, S. 44.
[40] Pa.Iv. 03.401 und 03.402. Der Freisinnige Müller (ZH) reichte eine vom BR zur Ablehnung empfohlene Motion für ein fakultatives Finanzreferendum ein (Mo 03.3019). Vgl. TA, 5.3.03; BZ, 17.6.03.
[41] Bund, 18.1.03; LT, 20.1. und 1.12.03. Vgl. auch SPJ 2002, S. 44. Siehe dazu auch Oppliger, Rolf „Sicherheit im E-Voting“, in NZZ, 4.2.03, Lit. Linder sowie die Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen der Genfer Testabstimmungen in TG, 27.1.03.