Année politique Suisse 2003 : Economie / Politique économique générale
Strukturpolitik
Spätestens seit ihrer 1996 vorgestellten Analyse der Regionalpolitik ist die Landesregierung von der Notwendigkeit einer neuen strategischen Ausrichtung überzeugt. Zu diesem Zweck hatte das Seco eine Expertenkommission mit der Ausarbeitung von
neuen Strategien und Mitteln für die Regionalpolitik eingesetzt. Dieser Bericht mit dem Titel „Neue Regionalpolitik“ wurde im Februar des Berichtsjahres abgeliefert. Der Bundesrat beauftragte das EVD, gestützt auf diesen Expertenbericht einen Vorschlag für eine Neuorientierung zuhanden einer Vernehmlassung auszuarbeiten. Gemäss den Leitideen des Bundesrates soll die Berggebietsförderung auch in Zukunft beibehalten werden. Das Schwergewicht soll jedoch, wie es die Expertenkommission in ihrem Bericht verlangt hatte, von der Unterstützung bei der Bereitstellung von Infrastrukturen hin zur Schaffung von Anreizen für die Ansiedelung von wettbewerbsfähigen und wertschöpfungsintensiven Arbeitsplätzen verlagert werden
[9]. Damit die Interessen der Bergregionen und generell der ländlichen Gebiete besser koordiniert werden und sie neben den Kantonen direkt mit den Bundesstellen in Kontakt treten können, verlangte Ständerat Stadler (cvp, UR) die Schaffung einer Konferenz des ländlichen Raums und der Berggebiete, analog zu einer 2001 ins Leben gerufenen Institution für die städtischen Agglomerationen. Dieses Postulat wurde vom Bundesrat nicht bekämpft und vom Rat ohne Gegenstimme überwiesen
[10].
Der Bundesrat verabschiedete im Sommer einen umfangreichen Bericht über das Ausmass der
administrativen Belastungen, welche die Bundespolitik den Unternehmen verursacht, und über die zu deren Reduktion eingeleiteten und geplanten Massnahmen. Es geht dabei primär um den Zeitaufwand, welcher Unternehmen durch staatlich vorgeschriebene Verwaltungstätigkeiten wie die Lohnmeldungen an die Sozialversicherungen, die Steuererklärung (v.a. MWSt), das Einholen von Arbeits- oder Baubewilligungen sowie die Auskunftserteilung zu statistischen Zwecken erwächst. Die ergriffenen resp. vorgesehenen Massnahmen zur Entlastung sind nicht spektakulär; sie beziehen sich zur Hauptsache auf die Automatisierung und Koordination der genannten Tätigkeiten
[11].
Als Zweitrat befasste sich der Nationalrat mit den vom Bundesrat im Vorjahr präsentierten Massnahmen für die
Verbesserung von Struktur und Qualität des Angebots des schweizerischen Tourismus (Totalrevision des Bundesgesetzes über den Hotel- und Kurortkredit) und für die
Förderung von Innovation und Zusammenarbeit im Tourismus (InnoTour). Im Gegensatz zur kleinen Kammer, wo die Vorlage problemlos durchgekommen war, standen hier Nichteintretens- und Rückweisungsanträge zur Debatte. Der
Rückweisungsantrag kam von der SP-Fraktion, welche verlangte, dass der Bundesrat das Schwergewicht auf die Verbesserung der beruflichen Qualifikation der Arbeitskräfte im Tourismus legt und zudem ein Projekt zur Entschuldung der Unternehmen ausarbeitet. Finanziert werden könnte letzteres aus den zusätzlichen Mehrwertsteuereinnahmen, welche sich aus dem geplanten Verzicht auf die Fortführung des ermässigten Sondersteuersatzes ergeben würden. Der
Nichteintretensantrag wurde von einer aus SVP-Abgeordneten gebildeten Kommissionsminderheit gestellt und von Blocher (ZH) vertreten. Dieser lehnte das Programm aus ordnungspolitischen Gründen ab: Mit der Fortführung der Subventionen werde der notwendige Strukturwandel verhindert und nicht überlebensfähige Betriebe künstlich am Leben erhalten. Der Rückweisungsantrag der SP wurde mit 91:56 Stimmen abgelehnt. Die Nichteintretensanträge von Blocher richteten sich gegen die beiden zugehörigen Finanzierungsbeschlüsse. Sie wurden mit 121:23 resp. 117:31 Stimmen abgelehnt, wobei sich die SVP-Fraktion im Verhältnis zwei zu eins hinter Blocher stellte; aus den anderen Fraktionen erhielt er bloss die Unterstützung eines Freisinnigen und eines Sozialdemokraten. Die Fraktionssprecher der FDP, der CVP und der Liberalen wandten sich gegen den ordnungspolitischen Rigorismus Blochers, da der Hauptakzent des Programms auf die Innovation gelegt werde. Zudem sei der Tourismus die wichtigste und nicht ersetzbare Wirtschaftsbranche der Randregionen und müsse gegen eine staatlich wesentlich stärker geförderte ausländische Konkurrenz bestehen. In der Detailberatung unterlag die Linke mit ihren Anträgen, zusätzliche Mittel im Betrag von 5 Mio Fr. vom Hotelkredit zu den Qualifizierungsmassnahmen zu verlagern resp. die Freigabe der Kredite von der Ratifikation der Protokolle der Alpenkonvention abhängig zu machen. Keine Mehrheit fand auch ein Antrag Gysin (sp, BS) für die Streichung der Bestimmung, dass von dieser Unterstützung nur Hotels in Berggebieten, nicht aber in den Städten profitieren können. Dieser Kredit von 100 Mio Fr. für die Finanzierung der Schweizerischen Gesellschaft für Hotelkredit hatte allerdings grösste Mühe, im Nationalrat das unter dem Regime der Ausgabenbremse erforderliche absolute Mehr zu erreichen. Die Gegenstimmen und Enthaltungen aus den Fraktionen der SP, der GP und der SVP waren derart zahlreich, dass dies erst im dritten Anlauf gelang, nachdem der Vierjahreskredit von 100 auf 50 Mio Fr. reduziert worden war. Nachdem der Ständerat auf 100 Mio Fr. beharrt hatte, kam die Kompromisslösung von 80 Mio Fr. der Einigungskonferenz zum Tragen
[12].
Gegen den Widerstand der SP und der Grünen bestätigte der Nationalrat den Beschluss des Ständerats, den Ende 2003 auslaufenden reduzierten
Sondersatz der Mehrwertsteuer für Beherbergungsleistungen von 3,6% (statt 7,6%) um weitere drei Jahre zu verlängern
[13]. Im Rahmen der Sparmassnahmen hatte das Bundesamt für Statistik geplant, auf die
Beherbergungsstatistik zu verzichten, und damit rund 2 Mio Fr. einzusparen. Die Branche wehrte sich gegen die für ihr Marketing wichtige Vollerhebung, und der Ständerat verabschiedete eine Empfehlung Hess (fdp, OW), auf diese nicht zu verzichten
[14].
[9]
AB NR, 2003, II, Beilagen, S. 335 ff. sowie V, Beilagen, S. 382 ff. Zum Bericht siehe
SGT, 26.2.03;
NZZ, 12.4.03 sowie
Lit. Brugger. Vgl. dazu auch die Debatte im StR über eine Interpellation Stadler (cvp, UR) in
AB SR, 2003, S. 93 ff. Zur geplanten Finanzierung der neuen Regionalpolitik siehe die Antwort des BR auf eine als Postulat überwiesene Motion Gadient (svp, GR) in
AB NR, 2003, IV, Beilagen, S. 339 f. Siehe auch
SPJ 1996, S. 110 f.
[10]
AB SR, 2003, S. 662 f. Zur Konferenz der Agglomerationen siehe
SPJ 2001, S. 38.
[11]
BBl, 2003, S. 5999 ff.;
BZ, 17.6.03. Siehe auch
Lit. Balastèr.
[12]
AB NR, 2003, S. 673 ff., 964 ff., 1070 ff., 1104 f. und 1246;
AB SR, 2003, S. 485 f., 565, 659 f. und 718;
BBl, 2003, S. 4523 f. (InnoTour), 4525 ff. (Hotelkredit) und 7053 resp. 7911 (Kreditbeschlüsse). Zur Alpenkonvention siehe unten, Teil I, 6d (Protection des sites et de la nature). Vgl.
SPJ 2002, S. 89.
[13]
AB NR, 2003, S. 693 ff. Vgl.
SPJ 2002, S. 89 f.
[14]
AB SR, 2003, S. 1013 ff.;
BZ, 30.5.03. Vgl. dazu auch die Antwort des BR auf eine Einfache Anfrage Frick (cvp, SZ) in
AB SR, 2003, IV, Beilagen, S. 63 ff.
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