Année politique Suisse 2003 : Politique sociale / Population et travail
 
Löhne
Gemäss Berechnungen des BFS stiegen im Berichtsjahr die Nominallöhne um durchschnittlich 1,4%. Damit verlangsamte sich der Anstieg nach dem Ausnahmejahr 2001 (+2,5%) erneut deutlich (2001: 1,8%). Unter Einbezug der Inflationsrate von 0,6% ergab sich bei den Reallöhnen eine Steigerung um 0,8% (2002: 1,1%). Die Verlangsamung erklärte sich insbesondere durch die mangelnde konjunkturelle Dynamik sowohl auf schweizerischer als auch auf internationaler Ebene. Das Nominallohnwachstum betrug im sekundären Sektor 1,2% und im tertiären 1,6%. In der Industrie ergaben sich die höchsten Steigerungen in der Chemie (+1,7%) sowie im Maschinen- und Fahrzeugbau (+1,4%). Die Lohnentwicklung verlief im Dienstleistungsbereich aufgrund dessen grosser Palette relativ unterschiedlich. Die tiefste Zunahme verbuchte das Unterrichtswesen mit 0,5%, die grösste das Gastgewerbe mit 2,7%. Dieser hohe Wert ergab sich hauptsächlich wegen der deutlichen Anhebung der gesamtarbeitsvertraglich festgelegten Mindestlöhne (+3,4%) in dieser Branche. Noch deutlicher als in den Vorjahren mussten die Beschäftigten der auf Finanzdienstleistungen spezialisierten Unternehmen starke Wachstumseinbussen hinnehmen. Unterdurchschnittliche nominale Lohnerhöhungen wurden im Versicherungsgewerbe (+1,0%), in den mit dem Kredit- und Versicherungsgewerbe verbundenen Tätigkeiten (+0,9%) sowie im Bankensektor (+0,8%) festgestellt. Mehr als 2% betrugen die Nominallohnerhöhungen in den Gruppen Immobilienwesen, Informatik, F+E, Dienstleistungen für Unternehmen (je +2,4%) und Erbringung von sonstigen öffentlichen und persönlichen Dienstleistungen (+2,3%) sowie in der Branche Gesundheits- und Sozialwesen (+2,2%) [12].
In der Frühjahrssession befasste sich der Ständerat mit einer ausgearbeiteten parlamentarischen Initiative des Nationalrats, welche vermehrte Transparenz bei den Kaderlöhne und den Verwaltungsratshonorare der bundesnahen Unternehmungen herstellen will [13]. Da auch die kleine Kammer gesetzgeberischen Handlungsbedarf erkannte, war Eintreten unbestritten. In der Folge schuf der Ständerat im Einvernehmen mit dem Bundesrat jedoch zwei gewichtige Differenzen zum Nationalrat. Er nahm die Swisscom als börsenkotiertes Unternehmen vom Geltungsbereich aus, da er der Auffassung war, dass die Börsenvorschriften, welche lediglich die Offenlegung der Gesamtsumme der Kaderbezüge verlangt, genügen, und dass die Swisscom an der Börse geschwächt würde, wenn potenzielle Anleger staatliche Interventionen in die Geschäftsführung befürchten müssten. Für die übrigen Unternehmen wollte er eine personenbezogene Transparenz lediglich für die Vorsitzenden von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat vorschreiben, weil die Offenlegung sämtlicher Kadergehälter im Ausland gezeigt habe, dass dies die Bezüge eher in die Höhe treibt; den politischen Behörden gegenüber sollen die Zahlen jedoch zugänglich gemacht werden. In der Differenzbereinigung schloss sich der Nationalrat in zwei Schritten gegen den Widerstand der Linken in beiden Punkten dem Ständerat an [14].
Ende Oktober setzte der Bundesrat die im Rahmen der Umsetzung des Abkommens mit der EU zum freien Personenverkehr beschlossene tripartite Kommission des Bundes ein. Diese Massnahme hat zum Ziel, ein allfälliges Lohndumping als Folge der erleichterten Zuwanderung aus dem EU-Raum zu bekämpfen bzw. zu verhindern. Sie sieht für alle Kantone und den Bund die Pflicht vor, eine tripartite Kommission einzusetzen, welche sich aus Delegierten der Arbeitgeberverbände, der Arbeitnehmerorganisationen und des Staates zusammensetzt. Diesen Kommissionen fällt die Aufgabe zu, die Entwicklung des Arbeitsmarkts zu beobachten, Missbräuche festzustellen und gegebenenfalls den politischen Behörden Massnahmen vorzuschlagen (erleichterte Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Gesamtarbeitsvertrages oder Erlass eines Normalarbeitsvertrages mit verbindlichen Mindestlöhnen für die betreffende Branche). Die tripartite Kommission des Bundes übernimmt die Rolle der Koordination. Diese flankierenden Massnahmen werden allerdings erst am 1. Juli 2004 in Kraft treten [15].
Für die Lohnrunde 2004 verlangten die Gewerkschaften unter Einschluss der Teuerung eine durchschnittliche Lohnerhöhung von mindestens 2%. Sie begründeten ihre Forderung unter anderem mit den stark gestiegenen Abzügen für die berufliche Vorsorge. Gemäss den Resultaten der jeweils im Herbst von der UBS bei Verbänden und Unternehmen durchgeführten Umfrage konnten die Gewerkschaften jedoch im Mittel lediglich 0,9% Nominallohnzuwachs aushandeln, was bei einer geschätzten Inflationsrate von 0,5% eine Reallohnerhöhung von 0,4% bedeutet. Ähnlich wie im Vorjahr erwartete die UBS die höchsten Abschlüsse in der Telekommunikations-, Energie- und Informatikbranche, gefolgt von der Pharmaindustrie und dem Detailhandel. Unterdurchschnittlich fielen die Ergebnisse in jenen Branchen aus, die stark von der anhaltenden Konjunkturschwäche betroffen waren (Bauwirtschaft, Gastgewerbe und Uhrenindustrie) [16].
 
[12] Presse vom 25.5.04. Zur Lohnstrukturerhebung 2002 des BFS siehe Presse vom 19.11.03.
[13] Anvisiert waren die drei „Giganten“ SBB, Post und Swisscom, aber auch die RUAG, die SRG, die SUVA, Skyguide, das Eidg. Amt für geistiges Eigentum, Swissmedic und der ETH-Bereich.
[14] AB SR, 2003, S. 48 ff., 586 f. und 719; AB NR, 2003, S. 920 ff., 1159 f. und 1247. Vgl. SPJ 2002, S. 187 f. Zu den börsenkotierten Unternehmen siehe oben, Teil I, 4a (Gesellschaftsrecht).
[15] Presse vom 23.11.03. In einem überwiesenen Postulat verlangte die SP-Fraktion einen Bericht über die Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf den inländischen Arbeitsmarkt (AB NR, 2003, S. 1728 und Beilagen IV, S. 538). Siehe dazu auch eine Interpellation der SP: a.a.0., S. 1739 und Beilagen IV, S. 534 ff. Ein weiteres Postulat der SP für flankierende Integrationsmassnahmen wurde von Schlüer (svp, ZH) bekämpft (a.a.O., S. 2121 und Beilagen V, S. 517 f.). Zur Haltung der Gewerkschaften siehe Presse vom 4.11.03. Vgl. SPJ 1999, S. 238 ff.
[16] Presse vom 3.7., 14.8., 30.10. und 24.12.03.