Année politique Suisse 2003 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
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Spitäler und Pflegeheime
Mit etwas über 77% Ja nahmen die Stimmberechtigten am 9. Februar das im Vorjahr im Dringlichkeitsverfahren erlassene Bundesgesetz über die Spitalkostenfinanzierung deutlich an. Dieses war nach einem Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts von 2001 notwendig geworden. Gegen den Beschluss, der die Kantone verpflichtet, ab 2002 stufenweise den Sockelbeitrag für die stationäre Behandlung in einem öffentlichen oder öffentlich-subventionierten Spital auch für jene Patientinnen und Patienten zu übernehmen, die eine Zusatzversicherung abgeschlossen haben, war von der Krankenkasse Assura, die geltend machte, der EVG-Entscheid sei bereits 2002 vollumfänglich anzuwenden, das Referendum eingereicht worden. Der Bundesrat, die Kantone, alle namhaften Parteien sowie mit Ausnahme von Assura und Supra sämtliche Krankenversicherer warben für ein Ja zum Bundesbeschluss, da es bei einer Ablehnung zu endlosen Rechtsstreitigkeiten und voraussichtlich zu Steuererhöhungen in den Kantonen gekommen wäre. Da dem Ansinnen der Assura von Anfang an keine Chancen eingeräumt wurden, warf die Abstimmungskampagne keine hohen Wellen. Am deutlichsten wurde das Bundesgesetz in den Kantonen Genf, Neuenburg, Basel-Stadt, Luzern und Graubünden angenommen, die Ja-Mehrheiten von über 80% auswiesen. Die geringste Ablehnung (gut 30% Nein-Stimmen) erfolgte im Kanton Waadt, in dem die Assura als Krankenversicherer besonders präsent ist [10].
Bundesgesetz über die Anpassung der kantonalen Beiträge für die innerkantonalen stationären Behandlungen nach dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung
Abstimmung vom 9. Februar 2003

Beteiligung: 28,7%
Ja: 1 028 673 (77,3%)
Nein: 301 128 (22,7%)
Parolen:
Ja: CVP, EVP, FDP, GP, Lega, LP, SD, SP, SVP (2*); SGB, Travail Suisse, SBV, SGV, Santésuisse, SDK.
Nein: FP, EDU.
Stimmfreigabe: PdA; SAGV.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen.
Einen Hauptbestandteil der 2. KVG-Revision (siehe unten, Teil I, 7c, Krankenversicherung) bildete die Überführung dieser Regelung in geltendes Recht, d.h. der definitive Übergang zu leistungsbezogenen Pauschalen und zu einer dual-fixen Spitalfinanzierung, bei der Kantone und Versicherer zu gleichen Teilen für die Investitions- und Betriebskosten der öffentlichen und privaten Listenspitäler aufkommen. Im Ständerat, der die Vorlage als Erstrat behandelte, wollte eine Minderheit Stähelin (cvp, TG) bereits in dieser Revisionsetappe zur monistischen Finanzierung übergehen, bei der es nur noch eine Zahlstelle (Kassen) gibt und die kantonalen Subventionen nicht mehr an die Leistungserbringer, sondern an die Zahlstelle fliessen. Obgleich Einigkeit darüber herrschte, dass die monistische Finanzierung dereinst kommen soll, war der Ständerat doch der Ansicht, dieser Systemwechsel wäre im heutigen Zeitpunkt zu abrupt, weshalb er den Antrag mit 22 zu 16 Stimmen ablehnte. Der Nationalrat stimmte der Neuregelung diskussionslos zu. Da die KVG-Revision im Nationalrat definitiv scheiterte, sind diese Beschlüsse hinfällig [11].
Der Nationalrat stimmte einem Postulat Rossini (sp, VS) zu, welches den Bundesrat ersucht, die Erarbeitung von Kriterien zu veranlassen, auf deren Grundlage die optimale Grösse von Akutspitälern festgelegt werden kann, sowie fundierte Modelle für eine echte, zwischen dem Bund und den Kantonen abgestimmte Spitalplanung zu entwickeln. Er hiess ebenfalls ein Postulat Wirz-von Planta (lp, BS) gut, das den Bundesrat beauftragt, im Bereich der Planung der stationären Versorgung die Bildung von Versorgungsregionen zu prüfen [12].
Gegen den Willen des Bundesrates, der Umwandlung in ein Postulat beantragt hatte, nahm der Nationalrat mit 137 zu 5 Stimmen eine Motion seiner SGK an, die verlangt, den entsprechenden Artikel der KV-Verordnung so zu ändern, dass allein stehende Personen – in Bezug auf die finanzielle Belastung – gegenüber Personen, die mit anderen Personen in einem gemeinsamen Haushalt leben, nicht benachteiligt werden. Heute müssen die Versicherten neben Selbstbehalt und Franchise einen nach der finanziellen Belastung der Familie abgestuften Beitrag an die Kosten eines Spitalaufenthalts bezahlen. Die Verordnung setzt diesen Beitrag für allein stehende Personen auf 10 Fr. pro Tag fest, da davon ausgegangen wird, dass ihnen während dieser Zeit keine Kosten für Mahlzeiten entstehen, während die Aufwendungen in mehrköpfigen Haushalten weiterlaufen [13].
Bis Ende 2002 mussten die Krankenkassen lediglich einen Beitrag an die in Pflegeheimen und im Spitexbereich erbrachten Leistungen der Grundpflege bezahlen. Durch eine Verordnungsänderung wurden die Leistungen der Versicherer per Anfang 2003 insofern ausgeweitet, als sie verpflichtet wurden, die tatsächlichen Pflegekosten zu übernehmen. Die Krankenkassen schätzten, dass ihnen dies Mehrkosten von rund einer Mia Fr. bescheren würde, was die Prämien entsprechend ansteigen liesse. Bei der Beratung der 2. KVG-Revision wollte der Ständerat den Versicherern insofern entgegen kommen, als er eine Bestimmung ins Gesetz einfügte, die es dem Bundesrat erlaubt hätte, umgehend wieder den Status quo ante herzustellen resp. die Belastung der Versicherer auf dem Stand von Anfang 2003 einzufrieren. Auch der Nationalrat war der Ansicht, dass hier Handlungsbedarf besteht, sprach sich aber gegen die vom Ständerat gewählte, die künftige Entwicklung präjudizierende Formulierung aus. Er beschloss im Sommer, die Klärung dieser Frage auf die 3. KVG-Revision resp. auf eine separate Vorlage zu verschieben [14].
Nach umfangreichen Hearings beantragte die Kommission des Ständerates dem Plenum, die Pflegefinanzierung nicht mit der laufenden Revision zu ändern, um nicht die gesamte Vorlage wegen dieser Frage scheitern zu lassen. Sie legte aber eine Motion vor, welche den Bundesrat beauftragte, dem Parlament bereits 2004 die Botschaft zu einer neuen Finanzierung der Krankenpflege in Koordination mit der Leistungspflicht anderer Sozialversicherungen einschliesslich der Ergänzungsleistungen zur AHV zu unterbreiten. Die Motion wurde vom Ständerat angenommen, vom Nationalrat aber abgelehnt, weil sie das heutige Finanzierungsvolumen der Krankenversicherer festschreiben wollte. Stattdessen überwies der Nationalrat eine Motion seiner SGK mit gleichem Wortlaut, allerdings ohne Einfrieren der Tarife [15].
Ältere, pflegebedürftige Patienten erhalten oft nicht jene medizinische Behandlung, die ihrem Zustand angemessen wäre. Gemäss internationalen Studien ist bei einer grossen Zahl von alten Menschen, die in Heimen betreut werden, die Schmerztherapie ungenügend, die Rehabilitation unzureichend und die medikamentöse Behandlung inadäquat. Heutzutage stellt nicht mehr die Überbehandlung älterer Menschen ein Problem dar, sondern die Unterbehandlung. Kostendruck, Fallpauschalen und gesellschaftliche Vorurteile dem hohen Alter gegenüber verstärken diese Tendenzen. Als Reaktion darauf verabschiedete die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) Richtlinien und Empfehlungen zur «Behandlung und Betreuung älterer pflegebedürftiger Menschen». Die Richtlinien wurden von einer Expertengruppe mit Vertretenden der Ärzteschaft, der Pflege, der Heime, der Seniorenverbände, der Rechtswissenschaft und der Ethik entwickelt. Erstmals wurde damit auf nationaler Ebene ein Dokument vorgelegt, das die Rechte von älteren pflegebedürftigen Personen klärt. Zentrale Punkte der Richtlinien betreffen die Kontinuität und Qualität der Betreuung, die Entscheidungsprozesse bei fehlender Urteilsfähigkeit, die Anwendung freiheitsbeschränkender Massnahmen, Fragen zu Sterben, Palliation und Beihilfe zum Suizid sowie die Forderung nach adäquater Aus-, Weiter- und Fortbildung des Fachpersonals [16].
 
[10] BBl, 2003, S. 3111 ff.; Presse vom 10.1.-10.2.03. Siehe SPJ 2002, S. 194 f.
[11] AB SR, 2003, S. 195 ff.; AB NR, 2003, S. 1059 ff. und 1072 ff. Der NR hiess zwei Postulate seiner SGK gut, welche den BR ersuchen, zusammen mit der Vorlage zur monistischen Spitalfinanzierung einen Bericht über die Vertragsfreiheit für die ambulante und stationäre Pflege vorzulegen sowie neben dem monistischen Modell auch eines auszuarbeiten, welches auf einem durchgehend dual-fixen Prinzip (Pflegeheime inklusive) beruhen würde (AB NR, 2003, S. 1899). Siehe auch ein überwiesenes Postulat Zisyadis (pda, VD) für einen Bericht zur monistischen Finanzierung: a.a.O., S. 504.
[12] AB NR, 2003, S. 504 und 1226. Vgl. SPJ 2002, S. 196.
[13] AB NR, 2003, S. 1899 und Beilagen V, S. 136.
[14] AB SR, 2003, S. 208 ff.; AB NR, 2003, S. 1075 ff. Siehe SPJ 2002, S. 196.
[15] AB SR, 2003, S. 734 ff., 1096 ff. und 1104; AB NR, 2003, S. 1898; NZZ, 23.10.03. Zur Forderung nach Zusatzprämien für Alterspflegekosten siehe NLZ, 16.5.03; BZ, 27.6.03. Vgl. SPJ 2002, S. 196 f.
[16] Presse vom 12.6.03.