Année politique Suisse 2003 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
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Forschung am Menschen
Der Ständerat behandelte in der Frühjahrssession als erster das Embryonenforschungsgesetz (EFG), mit dem der Bundesrat bis zum Vorliegen des geplanten Gesetzes über die Forschung am Menschen sowohl die Gewinnung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen als auch die Forschung an embryonalen Stammzellen sowie an überzähligen Embryonen regeln wollte. Er begründete den Einbezug der Embryonenforschung mit dem sachlichen Zusammenhang: Sowohl für die Forschung an Embryonen als auch für die Gewinnung embryonaler Stammzellen werden Embryonen verwendet, die im Rahmen der medizinisch assistierten Fortpflanzung als überzählig anfallen und deshalb keine Entwicklungschance haben. Der Ständerat erachtete diesen Zusammenhang aber nicht als zwingend gegeben und beschloss, den Geltungsbereich des Gesetzes auf die Gewinnung von embryonalen Stammzellen und deren Erforschung zu beschränken, die Regelung der gemäss Kommissionssprecher „moralisch und rechtlich heiklen und deswegen besonders begründungsbedürftigen Forschung an überzähligen Embryonen“ hingegen dem künftigen Gesetz zuzuweisen. Sinngemäss wurde gleich zu Beginn der Detailberatung das Gesetz in Stammzellenforschungsgesetz (SFG) umbenannt. Gegen die Abspaltung der Embryonenforschung sprachen sich lediglich die Vertreter der FDP aus.
Für den Bereich der Stammzellenforschung setzte die kleine Kammer wie der Bundesrat enge Grenzen. Die Verwendung von Embryonen bedarf der Zustimmung der Eltern. Forschungsprojekte müssen wesentlichen Erkenntnissen dienen, die nicht auf anderem Weg gewonnen werden können; sie müssen von einer Ethikkommission beurteilt und vom BAG bewilligt werden. Mit 26 gegen neun Stimmen wurde ein Antrag Fünfschilling (fdp, BL) abgelehnt, die Gewinnung von embryonalen Stammzellen auch dann zuzulassen, wenn kein konkretes Projekt vorliegt. Mit dem gleichen Stimmenverhältnis scheiterte David (cvp, SG) mit seinem Antrag, auf die Entschädigung der Aufwendungen für Gewinnung, Bearbeitung, Aufbewahrung oder Weitergabe von embryonalen Stammzellen zu verzichten. Der Handel allerdings ist verboten. Im Patentgesetz wurde zudem die Patentierbarkeit unveränderter Stammzellen sowie von Verfahren zum Klonen von Menschen, zur Herstellung von Mischformen Mensch/Tier und zur Genmanipulation in der menschlichen Keimbahn verboten.
Eine nennenswerte Kontroverse entstand lediglich bei der Frage, ob die rund 1000 altrechtlichen Embryonen, die vor dem Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMG) (1.1.2001) angefallen sind und eingefroren wurden, und die laut FMG bis Ende 2003 vernichtet werden sollten, weiter für die Stammzellenforschung verwendet werden dürfen. Die Mehrheit entschied sich auch hier mit 22 zu 12 Stimmen für eine restriktive Linie. Die Frist wurde nicht verlängert. Der Forschung sollten somit nur überzählige Embryonen zugeführt werden, die in der Fortpflanzungsmedizin neu entstehen. Beerli (fdp, BE) setzte sich vergebens dafür ein, die Frist bis zum Inkrafttreten des SFG zu verlängern, da in der Praxis die Meinungen auseinandergehen, wie viele Embryonen für die Forschung nötig sind [27].
Dem Nationalrat lagen zu Beginn seiner Beratungen in der Herbstsession ein Nichteintretensantrag sowie zwei Rückweisungsanträge vor, die von linken, grünen und christlich orientierten Abgeordneten unterstützt wurden, doch hatten sie alle keine Chance. Eintreten wurde mit 91 zu 45 Stimmen beschlossen. Die Beschränkung auf die Stammzellenforschung wurde stillschweigend gutgeheissen. Aber auch die radikalen Verfechter der Forschungsfreiheit – Gutzwiller (fdp, ZH) und Kommissionssprecher Randegger (fdp, BS) – konnten sich in der Detailberatung nicht durchsetzen. Mit 60 zu 57 Stimmen verbot der Nationalrat zusätzlich zum Ständerat die Entwicklung von Parthenoten (Organismen, die sich aus einer unbefruchteten Zellteilung entwickeln), um daraus Stammzellen zu gewinnen. Auch die verschärften Auflagen für die Forschung (Erlaubnis zur Entnahme von Stammzellen nur, wenn keine geeigneten Zellen im Inland vorhanden sind) resp. die Zustimmung zum Ständerat (Forschung nur zugelassen, wenn kein anderes Verfahren gleichwertige Erkenntnisse ermöglicht), die Gutzwiller als „Gefängnis für die Forschenden“ bezeichnete, wurden, wenn auch knapp mit 80 zu 69 resp. 75 zu 72 Stimmen angenommen. Forschungsfreundlicher zeigte sich der Rat in der Frage der Patentierbarkeit veränderter Stammzellen. Mit 81 zu 73 Stimmen folgte er einem Minderheitsantrag Gutzwiller und stimmte dem Ständerat zu, lediglich die Patentierbarkeit von unveränderten Stammzellen zu verbieten. Die Mehrheit der Kommission hatte beantragt, auch die veränderten Stammzellen und die Stammzellinien von der Patentierbarkeit auszuschliessen.
Bei der Frage des Umgangs mit den vor 2001 entstandenen altrechtlichen Embryonen, setzte sich der Antrag der Kommission durch. Mit 90 gegen 38 beschloss die grosse Kammer, die Frist für deren Vernichtung bis Ende 2005 für die Fortpflanzungsmedizin und bis Ende 2008 für Forschungszwecke zu verlängern; dazu bedarf es allerdings der schriftlichen Einwilligung des betroffenen Paares [28]. Der Ständerat stimmte dieser Regelung zu, worauf das Fortpflanzungsmedizingesetz in diesem Punkt mit Dringlichkeitsrecht revidiert wurde, um die Vernichtung der altrechtlichen Embryonen per Ende 2003 zu verhindern [29]. Beim Stammzellenforschungsgesetz stimmte der Ständerat bei der einzigen wesentlichen Differenz (Verbot der Parthenoten) dem Nationalrat zu, verlangte aber, dass diese Frage im Rahmen der kommenden Gesetzgebung über die Forschung am Menschen nochmals eingehend geprüft wird. In der Schlussabstimmung wurde das SFG vom Ständerat mit 35 zu 1 Stimmen angenommen, vom Nationalrat mit 103 zu 57 Stimmen bei 25 Enthaltungen; die Nein-Stimmen stammten von den geschlossenen GP- und EVP/EDU-Fraktionen, von einer Mehrheit der SP- (die auch das Gros der Enthaltungen stellte) und einer starken Minderheit der CVP-Fraktion. Gegen das neue Gesetz wurde vom Basler Appell gegen Gentechnologie das Referendum ergriffen; dass das Referendum von Organisationen im Bereich des Lebensschutzes unterstützt werden würde, hatte Studer (evp, AG) bereits bei der Schlussabstimmung im Nationalrat angekündigt [30].
Im Anschluss an seine erste Beratung des Gesetzes überwies der Ständerat diskussionslos und im Einverständnis mit dem Bundesrat eine Motion seiner WBK, die den Bundesrat beauftragt, eine Verfassungsbestimmung zur Forschung am Menschen vorzubereiten. Damit soll der Bund eine ausdrückliche gesetzgeberische Zuständigkeit für das gesamte Gebiet der Forschung am Menschen erhalten. Zudem sollen unter Beachtung des Grundrechtes der Wissenschaftsfreiheit wesentliche Grundsätze für die Forschung am Menschen verankert werden, mit denen die Menschenwürde, die Persönlichkeit und die Gesundheit geschützt werden. Der Nationalrat nahm die Motion ebenfalls an [31].
Nachdem eine obskure Sekte Ende 2002 verkündet hatte, mit ihrer Hilfe sei erstmals das Klonen eines Menschen gelungen, wurde der Bundesrat zu seiner Haltung in dieser Frage befragt. In Beantwortung einer von weiteren 29 Abgeordneten unterzeichneten Interpellation von Ständerätin Berger (fdp, NE) erklärte er, er lehne das reproduktive Klonen von Menschen als grundlegenden Verstoss gegen die Menschenwürde strikt ab und unterstütze deshalb auch auf internationaler Ebene sämtliche Bemühungen, die auf ein verbindliches Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen abzielen. In der UNO habe sich die Schweiz formell für eine rasche Aushandlung einer Konvention über das weltweite Verbot des reproduktiven Klonens menschlicher Lebewesen engagiert. Dabei habe sie den Vorschlag Frankreichs und Deutschlands, welcher ein sofortiges Verbot des reproduktiven Klonens bezweckt, vollumfänglich unterstützt, und sie werde für dieses Anliegen auch in den weiteren Verhandlungen aktiv einstehen [32].
 
[27] BBl, 2003, S. 1163 ff.; AB SR, 2003, S. 165 ff.; NZZ, 17.1., 1.2. und 7.4.03; TA, 11.3.03; Presse vom 12.3. und 13.3.03. Vgl. SPJ 2002, S. 201 f. Zu Unklarheiten über die Zahl der jährlich neu anfallenden überzähligen Embryonen siehe NZZ, 3.4. und 15.4.03. Für einen internationalen Vergleich der Regeln in der Reproduktionsmedizin vgl. NZZ, 13.8.03.
[28] AB NR, 2003, S. 1347 ff., 1363 ff, 1370 ff. und 1390 ff. Bereits 2001 hatte Dormann (cvp, LU) eine pa.Iv. eingereicht, welche bis zum Vorliegen des Gesetzes über Forschung am Menschen ein Moratorium für die verbrauchende Embryonenforschung verlangte; dieses wurde nun mit 91:75 Stimmen abgelehnt (AB NR, 2003, S. 183 ff.). Zur Vernichtung der altrechtlichen Embryonen siehe auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Randegger (fdp, BS): a.a.O., Beilagen III, S. 503 f.
[29] AB SR, 2003, S. 998 f., 1017 und 1035; AB NR, 2003, S. 1655 und 1751; AS, 2003, S. 3681 f. Zur Frage von importierten embryonalen Stammzellen siehe die Antwort des BR auf eine Interpellation Sommaruga (sp, BE) in AB NR, 2003, Beilagen II, S. 377 ff.
[30] AB SR, 2003, S. 1115 ff. und 1247; AB NR, 2003, S. 2130 f.; BBl, 2003, S. 8211 ff.; Presse vom 24.12.03 (Referendum).
[31] AB SR, 2003, S. 190; AB NR, 2003, S. 1389.
[32] AB SR, 2003, Beilagen II, S. 101. Zu den allfälligen strafrechtlichen Folgen eines menschlichen Klonversuchs in der Schweiz siehe die Antwort des BR auf eine Einfache Anfrage Guisan (fdp, VD) in AB NR, 2003, Beilagen III, S. 284 ff.