Année politique Suisse 2003 : Politique sociale / Assurances sociales / Berufliche Vorsorge
print
BVG-Revision
Nicht nur beim AHV-Gesetz, sondern auch bei der BVG-Revision widersetzte sich der Nationalrat dem Ständerat und hielt an seinem Bestreben fest, die Situation der Personen mit niedrigem Einkommen zu verbessern. Er bekräftigte seinen Willen, tiefen Löhnen den Zugang zur 2. Säule zu erleichtern; davon betroffen sind v.a. Frauen und Teilzeitbeschäftigte. Die Kommission hatte grundsätzlich am Beschluss des Vorjahres festhalten wollen, die Eintrittsschwelle sofort auf 18 990 Fr. zu senken, hatte aber, um die Erhöhung der Altersgutschriften für ältere Arbeitnehmer zu vermeiden, auf ihre ursprüngliche Idee eines flexiblen, lohnabhängigen Koordinationsabzuges verzichtet. Gegen diese Auffassung setzte sich mit 91 zu 71 Stimmen ein Antrag Rechsteiner (sp, BS) durch, der die Unterstützung der SVP fand, die sich von der Wirtschaftsverträglichkeit des neuen Modells überzeugen liess. Demnach sollte, unter Beibehaltung des flexiblen Koordinationsabzugs, die heutige Eintrittsschwelle von 25 320 Fr. so lange eingefroren werden, bis der Indexstand (Lohnentwicklung und Teuerung) so weit angehoben ist, dass dieser Betrag real drei Viertel einer maximalen AHV-Rente (heute 18 990 Fr.) entspricht. So wären kleine Einkommen während einer Dauer von 10 bis 20 Jahren schrittweise ins BVG „hineingewachsen“. Als Hauptargumente für seine Lösung nannte Rechsteiner die vorderhand ausbleibende Belastung der Wirtschaft sowie einen höheren Nutzen für die Versicherten. Im Namen der FDP warnte Triponez (BE) dagegen vor weiteren Leistungsverbesserungen; sein Antrag, beim Status quo zu bleiben, wurde mit 92 zu 70 Stimmen abgelehnt [39].
Entgegen seinen Beschlüssen des Vorjahres trat der Ständerat auf das Absenken der Eintrittsschwelle ein. Das Zeichen zum Rückzug gab Beerli (fdp, BE). Nachdem sie in der ersten Lesung noch vehement dagegen referiert hatte, befürwortete sie den Wechsel nun mit einer neuen Begründung: Das von beiden Räten bereits beschlossene Absenken des Umwandlungssatzes von 7,2 auf 6,8% bringe ohne flankierende Massnahmen eine Rentenkürzung von rund 6%; eine sofortige Senkung der Eintrittsschwelle führe faktisch zu einer Beitragserhöhung der bereits Versicherten, weshalb deren Renten gehalten werden könnten. Gegen eine Senkung sprachen sich die Vertreter der SVP sowie Forster (fdp, SG) aus. Ihr Antrag auf Beibehaltung geltenden Rechts wurde mit 25 zu 7 Stimmen abgelehnt. Das Modell Rechsteiner wurde als in späteren Jahren für die Wirtschaft zu belastend sowie durch die Beibehaltung des flexiblen Koordinationsabzugs als für die älteren Arbeitnehmer als zu ungünstig für deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt erachtet, weshalb der Ständerat dem im Nationalrat unterlegenen neuen Modell der Kommission (sofortige Senkung der Eintrittsschwelle auf 18 990 Fr.) zustimmte, worauf sich die grosse Kammer diesem Beschluss anschloss. Als auch noch eine geringfügige Differenz in der Einigungskonferenz ausgeräumt worden war, konnte die Vorlage in der Herbstsession definitiv verabschiedet werden. Im Nationalrat wurde die Revision mit 156 zu 30 Stimmen (vorwiegend aus der SVP), im Ständerat einstimmig gutgeheissen [40].
 
[39] AB NR, 2003, S. 616 ff. Siehe SPJ 2002, S. 218 ff. Im Berichtsjahr wurden die Revisionen von AHV und BVG stets gleichzeitig behandelt; davon erhoffte man sich mehr politischen Handlungsspielraum. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit im EDI sprach sich BR Couchepin gegen eine Öffnung der 2. Säule für tiefere Einkommen aus. Er erklärte, er sei in diesem Bereich grundsätzlich nicht zu neuen Leistungen bereit, solange das ganze System nicht stabilisiert sei (NZZ, 3.1.03).
[40] AB SR, 2003, S. 444 ff., 755 ff., 956 und 1030 f.; AB NR, 2003, S. 925 ff., 1517 und 1744.