Année politique Suisse 2003 : Politique sociale / Assurances sociales / Krankenversicherung
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Teilrevision des KVG
Nachdem das Revisionsvorhaben in der Wintersession des Vorjahres im Nationalrat in der Gesamtabstimmung gescheitert war, lag der Ball wieder beim Ständerat, der sich umgehend an die Differenzbereinigung machte. In mehreren Sitzungen erarbeitete dessen SGK zusammen mit der Verwaltung neue Lösungen, in der Hoffnung, diese würden bei den involvierten Akteuren auf eine breitere Zustimmung stossen. In der Eintretensdebatte im Plenum führte der Kommissionssprecher aus, man wolle grundsätzlich an den ersten Beschlüssen vom Dezember 2001 festhalten. Die Vorlage sei aber verbessert, Ideen aus dem Nationalrat seien aufgenommen und neue Entwicklungen berücksichtigt worden. In der Detailberatung wurden die Vorschläge der Kommission weitgehend akzeptiert, insbesondere der Übergang zur dual-fixen Spitalfinanzierung sowie die Lockerung des Vertragszwangs im ambulanten Bereich (siehe oben, Teil I, 7b, Gesundheitspolitik). Bei der Prämienverbilligung schwenkte der Ständerat auf die Lösung des Nationalrates und damit den Vorschlag des Bundesrates um. Die maximale Prämienbelastung wurde nicht fix bei 8% des Einkommens festgelegt, wie dies die kleine Kammer in erster Lesung beschlossen hatte, sondern für Familien mit Kindern je nach Einkommen in einer Bandbreite zwischen 2% und 10% festgelegt, für alle anderen zwischen 4% und 12%. Zusätzlich wurde beschlossen, einem Entscheid des Nationalrats aus dem Vorjahr zu folgen und die Prämie für das erste Kind zur Hälfte und für alle weiteren Kinder vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand zu subventionieren. Diese Bestimmung, von Beerli (fdp, BE) als verpönte „Giesskanne“ angeprangert, war allerdings sehr umstritten und wurde mit 18 zu 17 Stimmen nur ganz knapp angenommen. Um diese Entlastung der Familien zu finanzieren, schlug die Mehrheit der Kommission vor, die Bundesbeiträge für die Prämienverbilligung ab 2004 um 200 Mio Fr zu erhöhen. Beerli beantragte eine Anhebung um lediglich 150 Mio Fr. und setzte sich mit 17 zu 14 Stimmen durch. Gegen einen Antrag Beerli beschloss der Ständerat, dass die jährlichen Bundesbeiträge aufgrund der Kostenentwicklung in der obligatorischen Krankenversicherung und unter Berücksichtigung der Finanzlage des Bundes und der Kantone indexiert werden [57].
Der Nationalrat begann die Beratung der Differenzen in der Sommersession. Gleich zu Beginn machte die bürgerliche Ratsmehrheit der SP klar, dass sie nach dem Scheitern ihrer „Gesundheitsinitiative“ (siehe oben) auf kein Entgegenkommen mehr zählen könne. Die Anträge der SP wurden gleich reihenweise abgeschmettert, selbst solche, die im Vorjahr noch angenommen worden waren. So sagte die grosse Kammer Nein zu einem Verbot der Billigkassen, zur Verschreibung der Wirkstoffe anstatt der Originalmedikamente, zu vermehrter Planungskompetenz des Bundes, zur Einführung eines Qualitätsmanagements im ambulanten Bereich, zu einer freiwilligen Hotellerie-Versicherung in der Grundversicherung, zu einkommensabhängigen Franchisen und zur Schaffung eines von Bund, Kantonen und Kassen alimentierten Hochrisiko-Pools, mit dem besonders kostspielige Behandlungen finanziert werden sollten.
Grundsätzlich unbestritten blieb das neue System der Prämienverbilligung mit einem differenzierten Sozialziel. Auf Antrag von Guisan (fdp, VD) fügte der Rat mit 108 zu 33 Stimmen eine Klausel ein, wonach die Kantone für den Anspruch auf Prämienverbilligung ein Höchsteinkommen festzulegen haben. Der Entscheid zur Prämienbefreiung von Kindern wurde mit 84 zu 65 Stimmen bekräftigt. In der Frage der Finanzierung der Prämienverbilligung, bzw. der Erhöhung der Bundesbeiträge nach Inkrafttreten der Gesetzesrevision, standen verschiedene Vorschläge im Raum, nämlich ein Antrag einer bürgerlichen Kommissionsminderheit I auf 150 Mio Fr. sowie der Antrag einer links-grünen Minderheit II auf 500 Mio Fr. Schliesslich setzte sich der Antrag der Kommissionsmehrheit (zusätzliche 200 Mio Fr.) mit 75 zu 67 Stimmen gegen den geringeren und mit 90 zu 52 Stimmen gegen den höheren Betrag durch; die jährliche Indexierung sollte sich, anders als vom Ständerat beschlossen, aber nur auf die Kostenentwicklung in der Krankenversicherung beziehen [58].
In der zweiten Runde der Differenzbereinigung schloss sich der Ständerat bei der Erhöhung der Bundesbeiträge dem Nationalrat an (+ 200 Mio Fr). Da in der Zwischenzeit die kantonalen Finanzdirektoren bei der Kommission vorstellig geworden waren und auf die enormen Kosten verwiesen hatten, die auch auf sie zukommen würden, entschied er diesmal mit 22 zu 19 Stimmen, auf die zusätzliche einkommensunabhängige Subventionierung der Kinderprämien zu verzichten [59]. Im Nationalrat setzte aber eine Koalition aus CVP, SP und Grünen mit 92 zu 90 Stimmen durch, dass daran festgehalten wurde. Mit 10 zu 12 Stimmen schloss sich die Einigungskonferenz dem Ständerat an; sie lehnte auch einen Kompromissvorschlag ab, der die Kinderprämien nur für Familien mit einem Einkommen bis 126 000 Fr. übernehmen wollte. Der Ständerat stimmte den Anträgen der Einigungskonferenz diskussionslos zu [60].
Im Nationalrat wiederholte sich dann aber das Debakel des Vorjahres – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. SP und Grüne lehnten die Vorlage geschlossen ab, weil ihrer Meinung nach für das neue Modell der Prämienverbilligung zu wenig Geld gesprochen wurde und weil sie mehr Planung statt mehr Wettbewerb wünschten. Die CVP enthielt sich wegen der gestrichenen Kinderrabatte ebenso geschlossen der Stimme. Besonders in der neuen Zusammensetzung der grossen Kammer hätte diese Allianz allein nicht genügt, um die Vorlage bachab zu schicken. Auch die je vier Abweichler in FDP (die drei Waadtländer Favre, Vaudroz und Guisan, der formell den Antrag auf Ablehnung stellte, sowie Markwalder, BE) und SVP (die drei Zürcher Kaufmann, Keller und Maurer sowie Dunant, BS), welche die Revision gegen den Willen der Fraktionsmehrheit ablehnten, hätten nicht unbedingt zum Kippen der Vorlage führen müssen. Ausschlaggebend waren letztlich Absenzen: Auf der linken Seite fehlten nur zwei Nationalräte, während bei der FDP acht und bei der SVP neun Mitglieder abwesend waren. FDP-Fraktionschef Pelli (TI) äusserte sich entsprechend enttäuscht über seine Leute, die andere Termine dieser wichtigen Abstimmung vorgezogen hätten. Pelli ortete aber auch ein „Problem Couchepin“: im Nationalrat habe dieser zwar noch mit einem dringlichen Appell versucht, die Vorlage zu retten; tags zuvor habe er sie im Ständerat aber scheinbar lustlos verteidigt und erklärt, bei einem Referendum würde es zwar nicht unmöglich, aber schwierig, das Volk von dieser Revision zu überzeugen. Die Vorlage wurde mit 71 zu 66 Stimmen verworfen. Da sie in rund drei Jahren das ganze parlamentarische Verfahren durchlaufen hatte, war sie damit definitiv gescheitert [61].
 
[57] AB SR, 2003, S. 195 ff. und 338 ff.; Presse vom 29.1. und 25.2.03 (Kommission). Vgl. SPJ 2002, S. 224 f.
[58] AB NR, 2003, S. 1059 ff., 1072 ff., 1080 ff., 1090 ff., 1106 ff., 1110 ff. und 1118 ff.; Presse vom 10.5. und 21.5.03 (Kommission).
[59] AB SR, 2003, S. 733 ff.
[60] AB NR, 2003, S. 1888 ff. und 2048 ff.; AB SR, 2003, S. 1096 ff., 1102 ff. und 1171 ff.
[61] AB NR, 2003, S. 2048 ff.; Presse vom 18.12. (Kommentare) - 20.12.03 (von Couchepin skizziertes weiteres Vorgehen).