Année politique Suisse 2003 : Politique sociale / Groupes sociaux
 
Frauen
Im Januar lieferte die Schweiz einer UNO-Kommission einen Lage- und Fortschrittsbericht über die Gleichberechtigung der Frauen ab. Eine Delegation musste sich dabei einer Fülle zum Teil sehr kritischer Fragen von Experten stellen. Viele betrafen die Beschäftigung, namentlich die im Vergleich mit anderen Ländern unterproportionale Vertretung der Frauen in höheren Funktionen sowie die noch vielfach ungleiche Entlöhnung. Angesprochen wurde auch die Problematik der Gewalt gegen Frauen, namentlich in der Ehe. Die Experten wollten aber auch wissen, warum die öffentlichen Institutionen für die Frauen im Vergleich zu anderen Amtsstellen unterfinanziert seien, weshalb die Schweiz kein Quotensystem kenne und was konkret unternommen werde, um die noch immer vorhandenen Stereotypen abzubauen [27].
Diese eher pessimistische Einschätzung der Entwicklung der Gleichberechtigung der Frauen in der Schweiz wurde vom dritten Bericht des BFS zur Gleichstellung von Frau und Mann bestätigt. Während sich die Situation der Frauen in den 90er-Jahren im Vergleich zu jener der Männer verbesserte, deutet seit der Jahrtausendwende vieles auf eine Verlangsamung oder sogar einen Stillstand hin. Laut dem Bericht verfügen 23% der 25- bis 64-jährigen Frauen, aber nur 14% der Männer über keine nachobligatorische Ausbildung. Bei der höheren Berufsbildung beträgt die Abschlussquote der Männer nach wie vor 16 Prozentpunkte mehr als bei den Frauen, obgleich die Zahl der Studienanfängerinnen kontinuierlich zunimmt und im Berichtsjahr erstmals diejenige der Männer übertraf. Die Erwerbsquote der Frauen ist seit Anfang der 90er-Jahre deutlich gestiegen und beträgt mittlerweile fast 75%, wobei aber zu beachten ist, dass mehr als die Hälfte der Frauen Teilzeit arbeitet. Gingen die Lohnunterschiede zwischen 1994 und 1998 stetig, wenn auch sehr zögerlich zurück, verharrten sie zwischen 1998 und 2002 auf demselben Niveau, nämlich bei 21 Prozentpunkten in der Privatwirtschaft und bei 11 Prozentpunkten in der öffentlichen Verwaltung [28].
Der Friedensnobelpreis, der bisher über 80 Mal verliehen wurde, ging fast ausschliesslich an Männer und Organisationen und nur vereinzelt an Frauen. Dies bewog Nationalrätin Vermot (sp, BE), die vor allem in der Entwicklungspolitik aktiv ist, den Verein „1000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005“ zu gründen. 14 Koordinatorinnen aus allen Weltteilen suchen – vor allem in Krisengebieten, aber nicht ausschliesslich – nach Frauen, die sich an der Basis, in grossen oder kleinen Projekten für den Frieden engagieren [29].
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Politische Vertretung
Bei den Nationalratswahlen 2003 lag der Frauenanteil unter den Kandidierenden durchschnittlich bei 35% und war damit gleich hoch wie in den Jahren 1999 und 1995. Dennoch stieg der Anteil der gewählten Frauen in die grosse Kammer um 2,5 Prozentpunkte auf 26%. Laut einer Mitteilung des Bundesamts für Statistik (BFS) wurde damit der höchste Wert seit Einführung des Frauenstimmrechts erreicht. Im Ständerat stieg der Frauenanteil von 20 auf 24%.
Die landläufige Meinung «je linker eine Partei, desto höher die Frauenvertretung» wurde durch die statistische Erhebung bestätigt. So erreichte die Grüne Partei im Nationalrat neu einen Frauenanteil von 54%. Die SP kam auf 46% und stellte die grösste Frauenvertretung in absoluten Zahlen. An dritter Stelle folgte die CVP; sie konnte ihren Frauenanteil von 23 auf 32% erhöhen, während der entsprechende Wert in der FDP auf 19% sank. Abgeschlagen landete die SVP mit 5,5% und damit auf dem tiefsten Wert für diese Partei seit 1987. Gemäss BFS kann das gleiche parteipolitische Verteilungsmuster der gewählten Frauen auch in den kantonalen Parlamenten festgestellt werden. Anders präsentiert sich die Situation im Ständerat: Die Frauen nehmen neu elf der 46 Sitze ein. Fünf der Frauen sind Mitglied der FDP, vier der SP, und zwei Frauen gehören der CVP an. Die SVP hat keine Frau in der kleinen Kammer.
Ein Blick auf die Frauenanteile bei den Nationalratswahlen nach Kantonen zeigte, dass der Kanton Zürich mit 35,3% die meisten Frauen nach Bern schickte. Ebenfalls über dem Durchschnitt von 26% liegen die Kantone St. Gallen und Aargau (beide 33,3%), Bern (30,8%), Solothurn und Basel-Landschaft (je 28,6%), Waadt (27,8%) und Genf (27,3%). Am untersten Ende dieser Tabelle befinden sich die Kantone Obwalden, Nidwalden, Glarus, Zug, Schaffhausen, Wallis, Appenzell Innerrhoden und der Jura. Sie haben keine Frauen im Nationalrat. Allerdings sind diese Werte im Fall von Obwalden, Nidwalden, Glarus und Appenzell Innerrhoden wenig aussagekräftig, da diesen Kantonen bloss ein Mandat im Nationalrat zusteht. Das gleiche gilt für die Kantone Uri und Appenzell Ausserrhoden, deren Frauenanteil im Nationalrat 100% beträgt [30].
Mit der Wahl von Nationalrätin Regina Aeppli gelang es der SP im Kanton Zürich, auf Kosten eines CVP-Mannes einen zweiten Sitz im Regierungsrat zu erobern. Damit wurde erstmals eine Frauenmehrheit in einer Kantonsregierung der Schweiz Realität [31].
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Arbeitswelt
Ausgehend von der Feststellung, dass sich in der Schweiz immer mehr Frauen selbständig machen, ersuchte Nationalrätin Fetz (sp, BS) den Bundesrat mit einem überwiesenen Postulat, einen Bericht über diese Unternehmerinnen zu erstatten und dabei insbesondere darzulegen, von welchen Beratungs- und Finanzierungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand sie Unterstützung erwarten können und mit welchen Massnahmen und Empfehlungen sie besser gefördert werden könnten [32].
 
[27] NZZ,18.1.03. Zur Gewalt in Ehe- und Partnerschaft siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
[28] Lit. Branger et al.; Presse vom 28.11.03. Der NR überwies ein Postulat Teuscher (gp, BE) für einen Bericht über den Stand der Lohngleichheit (AB NR, 2003, S. 2121). Eine Studie im Kanton Zürich ergab, dass die Lohnunterschiede bei älteren Frauen besonders markant sind (TA, 31.10.03). An der Spitze der börsenkotierten Schweizer Firmen sind die Frauen krass untervertreten: Auf 35 Geschäftsleitungsmitglieder kommt eine Frau, bei den Verwaltungsräten ist das Verhältnis 25:1 (BZ, 3.12.03). Das Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann startete unter dem Titel „Fairplay-at-work“ eine Kampagne, welche mit der Förderung von flexiblen Arbeitszeitmodellen und Teilzeitarbeit erreichen will, dass die Bereiche Beruf und Familie besser miteinander vereinbart werden können (Presse vom 25.3.03).
[29] Presse vom 2.9.03.
[30] Lit. Seitz /Schneider; Presse vom 11.6.04. Siehe oben, Teil I, 1e (Elections fédérales) . Zu Massnahmen zur Frauenförderung für die Wahlen 2003 vgl. die Antwort des BR auf eine Anfrage im NR: AB NR, 2003, Beilagen IV, S. 264 f. sowie SPJ 2002, S. 43 f.
[31] Presse vom 7.4.03. Vgl. dazu auch oben, Teil I, 1e (Election des gouvernements cantonaux).
[32] AB NR, 2003, S. 1728. Siehe dazu Neuhaus, Marianne, „Unternehmerinnen – ein ungenutztes Potenzial der Schweizer Wirtschaft“, in Die Volkswirtschaft, 2003, Nr. 12, S. 43-46.