Année politique Suisse 2003 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche / Forschung
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Gentechnologie
Zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln und insbesondere zum Gentech-Moratorium in der Landwirtschaft siehe oben, Teil I, 4c (Produits alimentaires).
Die im Vorjahr geführte Monsterdebatte zur Gen-Lex zeigte im Berichtsjahr Früchte: Die Basis für die Suche nach Kompromissen war gelegt, und nach einigen Anläufen konnte das Gesetz auch verabschiedet werden. Vorerst folgte der Nationalrat seiner WBK, welche wiederholt die Notwendigkeit eines Schutzes der GVO-freien Landwirtschaft betont hatte, und sprach sich im Gegensatz zum Ständerat mit 85:74 Stimmen für einen sogenannten Schutzartikel aus, der den Schutz der Anbauflächen jener Bauern schützen soll, welche weiterhin auf landwirtschaftliche Produkte ohne GVO setzen. Eine Minderheit der Kommission hatte in diesem Schutzartikel eher einen Marketingartikel gesehen, der weder Menschen noch Umwelt noch Tiere schütze, sondern lediglich eine landwirtschaftliche Produktegattung protegiere. Beim so genannten Zweckartikel konnte ein Kompromiss zwischen der ursprünglichen Haltung des Nationalrats für eine Förderung der wissenschaftlichen Forschung und derjenigen des Ständerats für eine blosse Ermöglichung der wissenschaftlichen Forschung gefunden werden. Die grosse Kammer stimmte einer von ihrer WBK mit 12:11 Stimmen gutgeheissenen Kompromissformulierung zu, wonach das Gesetz „insbesondere der Bedeutung der wissenschaftlichen Forschung im Bereich der Gentechnologie für Mensch, Tier und Umwelt Rechnung tragen“ soll. Auch das Verbandsbeschwerderecht fand erst in einem zweiten Anlauf mit 92:77 Stimmen die Zustimmung des Nationalrats – mit flammender Unterstützung des Umweltministers Leuenberger und gegen vornehmlich bürgerlichen Widerstand, der im Verbandsbeschwerderecht ein „neues Sonderrecht“ „ideeller Organisationen“ sah, das die Gen-Lex zum „Verhinderungsgesetz“ umfunktionieren werde. Der Ständerat lenkte schliesslich in der Frage nach dem Schutz von Anbauflächen für Agrarprodukte ohne GVO ein, folgte dem Nationalrat in seiner Befürwortung des „Schutzartikels“ und machte damit das Gesetz bereit für die Schlussabstimmung. Der Bundesrat genehmigte Ende November die vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) vorgenommenen Anpassungen entsprechender Verordnungen, so dass das Gesetz auf den 1. Januar 2004 in Kraft gesetzt werden konnte [80].
Im Rahmen der jüngsten vom GfS-Forschungsinstitut durchgeführten Gentechnik-Umfrage wurde die naheliegende Annahme bestätigt, dass eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung Gentechnik im Bereich der Landwirtschaft – das heisst deren direkte Anwendung auf Lebensmittel und Konsumgüter – ablehnt, hingegen eine Mehrheit Gentechnik in der medizinischen Anwendung und damit auch im Bereich der Stammzellenforschung befürwortet. Die von der Interpharma, dem Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, in Auftrag gegebene Umfrage zeigte eine der Gentechnologie gegenüber ganz allgemein zunehmend ablehnende Tendenz auf (im Berichtsjahr 53% der Stimmberechtigten; 1998: 33%). Dabei waren die kritischen Stimmen zu differenzieren. Wenn die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft von 67% der Befragten abgelehnt wurde, fand deren Anwendung in der Medizin bei 52% Zustimmung. Offensichtlich war, dass angesichts von Tod und Krankheit gentechnologische Eingriffe in das Leben als lebenserhaltende oder -verlängernde Massnahmen angesehen wurden, hingegen die Anwendung von Gentechnik auf landwirtschaftliche Konsumgüter als Manipulation sogenannt natürlicher Produkte [81].
Die eidgenössische Ethikkommission für die Gentechnik im Ausserhumanen Bereich (EKAH) legte im Frühjahr einen Bericht zu gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln sowie zu deren Inverkehrbringung vor. Dabei kritisierte sie insbesondere den ungenügenden Täuschungsschutz bzw. die ungenügende „wahrheitsgemässe“ Information über gentechnisch veränderte Anteile von Produkten. Im weiteren erachtete es eine Mehrheit der EKAH als zentral, dass der Staat angesichts des (noch) ungenügenden Wissens über mögliche Gefahren von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) das Vorsorgeprinizip walten lasse – wobei ein sogenannt schwaches Vorsorgeprinzip als genügend erachtet wurde. Demnach soll der Staat im Umweltbereich bereits bei Gefahrenverdacht Massnahmen ergreifen, im Falle aber des Nichtwissens auch „riskantes“ Handeln prinzipiell erlauben dürfen [82].
Eine parlamentarische Initiative der grünen Fraktion für die Einrichtung gemischter Studien- und Forschungskommissionen zur Vorbereitung sensibler Themen wie die Gentechnik- , Stammzellen- und Embryonenforschung wurde vom Nationalrat abgewiesen. Die Grüne Fraktion hatte gemäss Vorbild der Enquete-Kommissionen im Deutschen Bundestag gemischte – aus Parlamentsmitgliedern, Wissenschaftlern und Fachleuten zusammengesetzte – Gremien gewünscht, um hochstehende Debatten, einen transparenten Informationsaustausch über die Pros und Kontras sowie parteiübergreifende Lösungen für Probleme von solch grosser Tragweite zu garantieren. Die Mehrheit der zuständigen Kommission hielt jedoch diese Gremien nur für ein Berufsparlament geeignet. Die Doppelbelastung durch Mandat und Beruf sei dermassen hoch, dass die Einsitznahme in eine derartige Kommission den meisten Parlamentsmitgliedern nicht zugemutet werden könne [83].
Im Februar schien die ETH mit ihrem Gesuch für einen Freisetzungsversuch von genverändertem Weizen in Lindau (ZH) endlich Erfolg zu haben. Das Gesuch wurde im zweiten Anlauf vom Buwal als Bewilligungsinstanz für Freisetzungsversuche gutgeheissen. Der Beschwerde eines Bauernehepaars, das in der Nähe der Versuchsanlage einen IP-Bauernhof führte, hatte das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) die aufschiebende Wirkung entzogen. Dieser Entscheid wurde umgehend von der Umweltorganisation Greenpeace, dem Verband der integriert produzierenden Landwirte, IP Suisse und lokalen Beschwerdeführern aus Lindau beim Bundesgericht angefochten. Da sowohl dem Uvek als auch dem Buwal verfahrensrechtliche Fehler unterlaufen seien, beschloss das Bundesgericht, die aufschiebende Wirkung der privaten Beschwerde wiederherzustellen und damit das Verfahren für den Versuch von Grund auf neu aufrollen zu lassen [84]. Die ETHZ hielt in der Folge an ihrem Gesuch fest, so dass das Buwal den Versuch im Juli neu ausschrieb. Greenpeace sowie die Arbeitsgruppe „Lindau gegen Gentech-Weizen“ kündigten ihrerseits erneuten Widerstand gegen den Versuch durch alle Instanzen an. Im Oktober bewilligte das Buwal den Versuch noch einmal. Gemäss Buwal-Direktor Philippe Roch hegte das Amt zwar Bedenken hinsichtlich der Qualität des Versuchs, doch sei es nicht Aufgabe des Bundesamts, den Nutzen eines Experiments zu beurteilen. Das Buwal habe in diesem Fall einzig Sicherheitsaspekte zu klären gehabt und habe die Bewilligung des Versuchs auch dementsprechend an strenge Sicherheitsauflagen geknüpft. So seien während der Blühphase die transgenen Pflanzen pollendicht abzudecken, sei die Freisetzungsfläche gegen das Eindringen von Vögeln und Nagetieren abzusichern und sei nach Versuchsende das gentechnisch veränderte Pflanzenmaterial zu vernichten sowie der Boden thermisch zu behandeln. Die ETHZ zeigte sich von der Verfügung des Buwal erleichtert, obwohl die Durchführung des Versuchs nach wie vor in den Sternen stand, da Greenpeace unmittelbar darauf die erneute Anfechtung des Entscheids beim Uvek ankündigte [85].
 
[80] AB NR, 2003, S. 81 ff., 96 ff. und 517; AB SR, 2003, S. 192 ff. und 3669; NZZ, 31.1., 6.3., 14.3., 22.3. und 20.11.2003; Presse vom 6.3. und 14.3.03; TA, 27.11.03; vgl. SPJ 2002, S. 268 ff.
[81] Presse vom 28.6.03; NZZ, 13.11. (sozialpsychologische Gründe der negativen öffentlichen Wahrnehmung der Gentechnologie) und 6.12.03 (gentechnologie-kritische Sicht von Florianne Koechlin, Mitglied der EKAH). Sowohl eine Petition des „Basler Appell gegen Gentechnologie“ „Essen aus dem Genlabor? Nein danke!“ als auch eine Petition der GP des Kantons Waadt „GVO in der Landwirtschaft und in der Nahrung“ wurden in beiden Räten zur Kenntnis genommen, ohne dass ihnen jedoch Folge gegeben worden wäre (AB SR, 2003, S. 711; AB NR, 2003, S. 500).
[82] NZZ und BaZ, 1.4.03.
[83] AB NR, 2003, S. 1558 ff.
[84] BBl, 2003, S. 74 ff. (Bewilligung Buwal vom 14.1.2003); Presse vom 22.2., 8.3., 13.3. und 18.6.03; NZZ, 25.2.03; WoZ, 27.2.03; TA, 10.3.03; vgl. auch SPJ 2002, 270 f. Die Zuständigkeit des Buwal für Freisetzungsversuche war infolge negativer Entscheide von Buwal-Chef Philippe Roch unter Beschuss geraten – so insbesondere wegen der Ablehnung des ETHZ-Gesuchs im Jahr 2001, mit welcher sich das Buwal über die Meinung anderer Bundesämter sowie über die Empfehlung der Eidg. Fachkommission für biologische Sicherheit (EFBS) hinweggesetzt hatte (vgl. SPJ 2001, S. 233 f.). Zur Greenpeace-Aktion auf dem Versuchsgelände und die entsprechenden Anzeigen der ETHZ wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung vgl. NZZ, 7.3. und 8.3.03. Vgl. zudem die Antwort des BR zur Interpellation Egerszegi-Obrist (fdp, AG) betreffend Bundesgerichtsentscheid (AB NR, 2003, S. 2124) sowie die BR-Antwort auf die Anfrage Graf (gp, BL) betreffend ETH-Forschung mit Gentech-Pflanzen (AB NR, 2003, S. 527).
[85] BBl, 2003, S. 5199 f. bzw. 5353 f. (Gesuch ETHZ) und 7383 ff. (Verfügung Buwal); Presse vom 23.7. und 31.10.03; WoZ, 6.11.03.