Année politique Suisse 2003 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Kulturpolitik
Zu Beginn der Frühjahrssession befasste sich der Nationalrat als erster mit dem bereits im Vorfeld der Beratungen heftig umstrittenen
Kulturgütertransfergesetz, mit dem eine Unesco-Konvention von 1970 umgesetzt werden soll. Ziel des Gesetzes ist der Schutz von in- und ausländischen Kulturobjekten vor Diebstahl, Raubgrabungen und Schmuggel. Kunsthändler, Sammler, verschiedene Museen, aber auch bürgerliche Politiker hatten von Anfang an den Entwurf des Bundesrates bekämpft, der zu perfektionistisch sei und eine für die Schweiz wichtige Branche in die illegale Ecke dränge. Nationalrat Fischer (fdp, AG) hatte kurz vor der Verabschiedung der Botschaft einen eigenen und bedeutend liberaleren Vorschlag in Form einer parlamentarischen Initiative eingereicht, der von branchennahen Experten ausgearbeitet worden war
[3].
In der Eintretensdebatte herrschte Einigkeit darüber, dass Missbräuche beim Handel mit Kunstwerken wirksam zu bekämpfen seien. Während aber SP, Grüne und CVP grundsätzlich dem Entwurf des Bundesrates folgen wollten, erklärten SVP, FDP und Liberale, sie würden der Initiative Fischer den Vorzug geben, falls nicht die von bürgerlicher Seite geforderten Korrekturen Aufnahme ins Gesetz fänden. In der Detailberatung nahm der Nationalrat eine Anregung Fischers an, wonach nicht mehr alle Gegenstände unter das Gesetz fallen sollen, sondern nur solche von wesentlicher Bedeutung für das kulturelle Erbe. Umgekehrt wollte er sich nicht auf archäologische, sakrale oder ethnologische Kulturgüter beschränken, wie dies der Bundesrat vorgeschlagen hatte, sondern dehnte den Schutz auch auf andere Bereiche aus. Unbestritten war der Antrag des Bundesrates, dass die Schweiz künftig Projekte zur Erhaltung des Kulturgutes anderer Staaten finanziell soll unterstützen können, wenn sie durch politische oder kriegerische Ereignisse gefährdet sind.
Bei den mehr technischen Fragen der Meldepflicht, der Verjährung der Rückgabepflicht und der Entschädigung bei der Rückgabe eines Kunstwerks waren die unterschiedlichen Meinungen umso ausgeprägter. Die Meldepflicht für vermutete oder beobachtete Verletzungen des Gesetzes (Geschäfte mit illegal eingeführten Kunstwerken und Kulturobjekten) war im Vernehmlassungsentwurf des Bundesrates enthalten gewesen, war dann aber auf Drängen jener Kreise, die hinter der parlamentarischen Initiative Fischer standen, zum Bedauern der damaligen Bundesrätin Dreifuss gestrichen worden. Die Kommission hatte die Bestimmung in Analogie zur Meldepflicht in Fällen von Verdacht auf Geldwäscherei wieder aufgenommen. Eine von Randegger (fdp, BS) angeführte Minderheit auf Streichen setzte sich jedoch mit 85 zu 81 Stimmen durch, nachdem auch Bundespräsident Couchepin als neuer Vorsteher des EDI erklärt hatte, die Festschreibung der Sorgfalts- und Aufzeichnungspflicht sei ein genügendes Instrumentarium.
Bei der
Verjährung von Rückgabeforderungen hatten Bundesrat und Kommission eine Verlängerung der heute geltenden Frist von fünf auf neu 30 Jahre beantragt. Müller-Hemmi (sp, ZH) wollte noch weiter gehen und verlangte 50 Jahre, wie sie die Unidroit-Konvention vorschreibt, welcher der Bundesrat vorderhand nicht beitreten will. Mit dem Argument, 30 Jahre seien für die Rechtssicherheit des neuen Besitzers eines Kunstwerks zu lang, forderte Baumann (svp, TG) eine Verkürzung auf
15 Jahre. Gegen die Empfehlung von Couchepin wurde dieser Antrag mit 76 zu 72 Stimmen angenommen. Nicht durchsetzen konnten sich Bundesrat und Kommission auch bei der Frage, woran sich die
Entschädigung bei der Rückgabe eines Kunstwerks orientieren soll. Statt des Kaufpreises als Richtlinie brachte Wirz-von Planta (lp, BS) mit 81 zu 79 Stimmen den Verkehrswert durch. Couchepin erläuterte umsonst die Schwierigkeit, den Verkehrswert eines Objekts zu bestimmen, das gar nicht mehr auf dem Markt ist. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage mit 131 zu 23 Stimmen verabschiedet. Angesichts der Drohung der noch liberaleren parlamentarischen Initiative Fischer stimmten CVP, Grüne und SP zähneknirschend der in wesentlichen Fragen entschärften Vorlage zu. Die Ratifikation der Unesco-Konvention wurde mit 123 zu 3 Stimmen bei 25 Enthaltungen gutgeheissen. Die Nein-Stimmen zum Gesetz und die Enthaltungen bei der Konvention stammten grossmehrheitlich von der SVP. Mit der Begründung, dass zahlreiche Forderungen seines Vorschlags Eingang in die Vorlage gefunden hätten, zog Fischer seine parlamentarische Initiative zurück
[4].
Der
Ständerat wich in der Folge in zentralen Punkten vom Nationalrat ab. Praktisch diskussionslos schloss er sich in der Frage der Verjährung wieder dem Bundesrat an: Die vom Nationalrat vorgeschlagene Frist von 15 Jahren sei national und international untauglich, eine
Verjährung nach 30 Jahren hingegen entspreche internationalen Regeln. Das Argument der Rechtsunsicherheit für heutige Besitzer sei nicht stichhaltig, da das Gesetz keine rückwirkende Geltung habe. Bei der Entschädigung hielt man den von der grossen Kammer bevorzugten Verkehrswert für unvereinbar mit der Unesco-Konvention; zudem fördere eine Entschädigung in der Höhe des Verkehrswerts die Spekulation und erschwere es einem nicht finanzstarken Staat, ihm zustehendes Kulturgut zurückzuerhalten. Zwar war auch der Ständerat dagegen, eine Meldepflicht im Falle des Verdachts von illegalen Geschäften mit Kulturgütern aufzunehmen, er verstärkte jedoch die Sorgfalts- und Aufzeichnungspflicht durch einen inhaltlich nicht neuen, aber durch die Bündelung der Forderungen präziseren, zusammenfassenden Artikel. Sowohl das Gesetz als auch die Ratifikation der Konvention wurden einstimmig angenommen
[5].
Im Nationalrat führten daraufhin die Verfechter einer grösseren Handelsfreiheit letzte Rückzugsscharmützel. Eine Minderheit um Pfister (svp, AG) beantragte eine Verjährungsfrist von 20 Jahren, zwei Minderheiten um Randegger (fdp, BS) und Scheurer (lp, NE) verlangten bei der Entschädigung eine Mischrechnung, die sich am Kaufpreis, der zwischenzeitlich erfolgten Wertsteigerung und den Aufwendungen zur Erhaltung des Kulturgutes resp. am Kaufpreis umgerechnet auf den Geldwert im Zeitpunkt der Rückführung orientieren sollte. Alle Minderheitsanträge unterlagen klar, am deutlichsten jener von Pfister, der mit 123 zu 42 Stimmen abgeschmettert wurde. Die Minderheiten Randegger und Scheurer scheiterten mit 110 zu 60 resp. 114 zu 55 Stimmen. Das Einschwenken des Nationalrats wurde in den Medien allgemein als Reaktion auf die (in der Folge in diesem Ausmass nicht bestätigten) Berichte über Plünderungen während des Irakkriegs interpretiert, die für den Irak zu Kulturverlusten in unermesslicher Höhe geführt hätten. Nachdem diese
Differenzen zum Ständerat
ausgeräumt waren, wurde das neue Gesetz vom Ständerat erneut einstimmig und vom Nationalrat mit 135 zu 22 Stimmen gutgeheissen
[6].
Da sich in den Konflikten jüngerer Zeit, insbesondere im ehemaligen Jugoslawien, gezeigt hatte, dass das
Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut vor bewaffneten Konflikten mehrere normative Mangel aufweist, welche auch durch die Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 zum Schutz der Kriegsopfer nicht behoben werden konnten, wurde 1999 in Den Haag das
zweite
Zusatzprotokoll verabschiedet, welches von der Schweiz umgehend unterzeichnet wurde. Es dehnt sämtliche Bestimmungen auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte aus und präzisiert die Massnahmen, welche die Vertragsstaaten bereits in Friedenszeiten zum Schutz des Kulturgutes, insbesondere auch gegen Naturkatastrophen treffen müssen. Als Erstrat stimmte der Ständerat der vom Bundesrat beantragten Ratifizierung einstimmig zu
[7].
[3] Siehe
SPJ 2001, S. 236;
TA, 4.3.03 (Bericht, wonach Fischer für seine Tätigkeit als „Berater“ von Kunsthandelskreisen ein Honorar bezogen habe; Fischer bestätigte, er habe dafür „wenige Tausend Franken“ kassiert).
[4]
AB NR, 2003, S. 24 ff. und 35 ff.
[5]
AB SR, 2003, S. 546 ff.
[6]
AB NR, 2003, S. 1048 ff. und 1244 f.;
AB SR, 2003, S. 716. Zu den im Zusammenhang mit den Plünderungen im Irak in der Schweiz ergriffenen Vorsichtsmassnahmen siehe
NZZ, 17.4.03;
BaZ, 19.4. und 13.6.03.
[7]
BBl, 2003, S. 6091 ff.;
AB SR, 2003, S. 1166.
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