Année politique Suisse 2003 : Enseignement, culture et médias / Médias
 
Neue Kommunikationstechnologien
Zu den IKT in der Verwaltung (E-Voting, E-Government) sowie zur digitalen Unterschrift siehe oben, Teil I, 1c (Volksrechte) sowie 1b (Strafrecht bzw. Zivilrecht).
Das Berichtsjahr stand ganz im Zeichen des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft, der im Dezember in Genf stattfand und grosse Erwartungen hinsichtlich einer Abschaffung des globalen Ungleichgewichts im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) schürte [64]. Während den Vorbereitungen schlug dem Genfer Gipfel wie schon anderen internationalen Gipfeltreffen die öffentliche Skepsis gegenüber seiner realpolitischen Wirksamkeit entgegen. Seitens von Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen sowie Berufsverbänden aus dem Medienbereich wurden Befürchtungen laut, der Weltgipfel werde kaum einen Schritt zur Überwindung des globalen digitalen Grabens, als vielmehr einen Rückfall hinter bestehende UN-Grundsätze bedeuten. Unter anderem wurde der ausstehende Verweis auf die Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit, die Unterordnung der Menschenrechte unter nationale Gesetzgebungen, die dominante Ausrichtung auf reine Marktmechanismen und die fehlende Anerkennung unabhängiger Medien beanstandet [65]. Am 10. Dezember wurde der Gipfel offiziell von Bundespräsident Pascal Couchepin eröffnet. Die Formulierung konkreter Aktionsprogramme, die über die Beschreibung des Status quo hinausgegangen wären, blieb weitgehend aus. Dennoch konnten im Hinblick auf die Verabschiedung der Schlusstexte tragfähige Kompromisse erwirkt werden, was vor allem der Schweizer Verhandlungsleitung unter Marc Furrer, Direktor des Bakom, zugute gehalten wurde [66]. Die Achtung der Menschenrechte, der Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit sowie der Pressefreiheit fand Eingang in die gemeinsame Erklärung; mit der Ausarbeitung von Vorschlägen betreffend die Finanzierung der Stärkung von Medien in Entwicklungsländern und der Regulierung des Internets wurde eine UN-Arbeitsgruppe mit Vertretern der Zivilgesellschaft und der Privatwirtschaft zuhanden des Weltinformationsgipfels 2005 in Tunis beauftragt [67]. Als eigentlicher Erfolg konnte auch der von der DEZA sowie dem Netzwerk „Global Knowledge Partnership“ organisierte und parallel zum abgeschirmten Gipfel stattfindende öffentliche Marktplatz verbucht werden. Nicht zuletzt auf das Drängen des Leiters der Schweizerischen Direktion für Zusammenarbeit DEZA, Walter Fust, war diese so genannte „ICT for Development Platform“ zustande gekommen und bot 250 Ausstellern aus 75 Ländern die Möglichkeit, an ihren Ständen konkrete Lösung aufzuzeigen, wie ICT zur Armutsverringerung und zur Entwicklung eingesetzt werden könnten. Auffallend klar wurde, dass das hohe Gefälle zwischen Industrie- und Drittweltländern auch im Kommunikations- und Informationssektor eine Frage der Ressourcenverteilung ist, und dass im weitern die Hoffnungen im Kampf gegen die Armut vorwiegend in das Internet und nicht in Mobilfunk oder Radio gesetzt werden [68].
Die Befragung der Wemf zur Internetnutzung wies eine steigende Nachfrage nach Informationen zur Tagesaktualität im Internet nach. Der engere Nutzerinnen- und Nutzerkreis klickte sich mindestens einmal wöchentlich auf entsprechende Websites ein. Die Online-Ausgabe des „Blick“ besuchten 366 000 Menschen; Platz zwei belegte die Internetseite von „20 Minuten“ mit 192 000 Besucherinnen und Besuchern – gefolgt von der NZZ (168 000) und vom „Tages-Anzeiger“ (156 000) [69]. Gemäss den anfangs des Berichtsjahres von der Wemf publizierten Ergebnissen der „Pan European Internet Survey 2004“ waren die Schweizerinnen und Schweizer im europäischen Vergleich die eifrigsten Surfer. 32% der Schweizer Bevölkerung gingen (fast) täglich ins Internet – verglichen mit 22% der britischen und französischen, 18% der belgischen und 13% der spanischen Bevölkerung. Die Reichweite des Internets betrug gemäss dieser Studie in der Schweiz 63%, in Deutschland 50%, in Grossbritannien 52%, in Frankreich 45%, in Österreich 41%, in Belgien 37% und in Spanien 30%. Höhere Werte als die Schweiz wiesen nur noch die skandinavischen Länder Schweden, Norwegen und Finnland aus, welche jedoch in der Untersuchung nicht mitberücksichtigt worden waren [70].
Die Zunahme der täglichen Nutzungsdauer des Internets schürte die Angst, das Netz werde aufgrund seiner individuellen Nutzungsmöglichkeiten langsam aber sicher den gemeinsamen Erfahrungshintergrund und damit den Zusammenhalt der Gesellschaft zerstören. Zu einem gegenteiligen Schluss kam indessen eine in der Schweiz durchgeführte Studie: Die Themenagenda von Netznutzerinnen und -nutzern unterschied sich kaum von der jener Menschen, die das Internet nicht benutzen. Dem Internet konnten aufgrund dieses Ergebnisses kaum Substitutionstendenzen hinsichtlich traditioneller Medien zugeschrieben werden. Im weitern machte die Untersuchung Differenzen zwischen der Gewichtung gesellschaftspolitischer Probleme seitens des Medienpublikums (sowohl Netznutzerinnen als auch Netzabstinente) einerseits und seitens von Presse, Radio und Fernsehen andererseits aus [71].
Mitte des Berichtsjahres wurde ein Netzwerk aus Politikerinnen, Wirtschaftsfachleuten, Bildungsexperten und Forscherinnen gegründet – mit dem Ziel, die digitale Spaltung in der Schweiz zu bekämpfen. Zu diesem Zweck sollte möglichst allen Schweizerinnen und Schweizern der Zugang zu den ICT ermöglicht werden. Denn insbesondere untere Bildungsschichten und Personen über 50 Jahre fielen durch eine unter dem Schweizer Durchschnitt liegenden Internetnutzung auf [72].
Die Tatsache, dass Internetprovider seit dem 1. April des Berichtsjahres gezwungen waren, den Email-Verkehr ihrer Kundschaft zu speichern, stiess CVP-Ständerat Bruno Frick (SZ) sauer auf. In einer Interpellation bezeichnete er diese Kontrollmassnahme als polizeistaatliche Überwachung, die den Providern unverhältnismässig hohe Kosten verursache und dabei doch nur eine Überwachung biete, die leicht zu umgehen sei. In seiner Antwort wies der Bundesrat darauf hin, ohne Speicherung der entsprechenden Daten sei es den Strafverfolgungsbehörden im Nachhinein nicht mehr möglich auf diese Informationen zurückzugreifen; der Aufwand halte sich zudem insofern in Grenzen, als die Provider diese Daten zwecks Rechnungsstellung ihrer Kundschaft gegenüber sowieso speichern müssten. Frick sah sich mit dieser Antwort nicht zufrieden gestellt – erstens weil die Provider mitnichten ihre Rechnungen nach der Anzahl versandter oder eingegangener Emails stellten und zweitens weil die Überwachung des Fernmeldeverkehrs Sache des Staates sei, wofür dieser nicht die Kosten auf Private abwälzen könne, ohne den Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu verletzen [73].
 
[64] Presse vom 5.12., 6.12., 8.12.03.
[65] Presse vom 12.2., 9.8., 16.9., 15.11. und 4.12.03; NZZ, 14.3. und 21.11.03; TA, 4.12.03.
[66] TA, 25.11.03; NZZ, 28.11.03; Presse vom 8.12.03.
[67] Presse vom 10.12.03.; TA, 12.12.03; Bund, 13.12.03.
[68] Presse vom 9.10. sowie vom 10.-13.12.03; NZZ, 13.12.03. Vgl. hierzu auch die Antwort des BR auf die Anfrage Anne-Catherine Ménétrey-Savary (gp, VD) betreffend den Einbezug der Zivilgesellschaft am Weltgipfel über die Informationsgesellschaft (AB NR, 2003, S. 328).
[69] TA, 2.9.03.
[70] NZZ, 16.1.04; AZ, 7.2.04.
[71] NZZ, 21.2.03; vgl. Lit. Marr 2002.
[72] NZZ, 5.8.03.
[73] AB SR, 2003, S. 131 f.; TA, 29.4.03.