Année politique Suisse 2004 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
An der ersten Delegiertenversammlung der CVP im neuen Jahr verteidigte der noch bis Februar amtierende Parteipräsident Philipp Stähelin das Vorgehen der Fraktion bei der
Bundesratswahl. Die Unzufriedenheit über dieses von der Parteileitung nicht eigens traktandierte Thema war offensichtlich. Gemäss der früheren Luzerner Nationalrätin Judith Stamm sei nicht klar, wie das Wahlgeschäft wirklich verlaufen sei, es hätte Möglichkeiten für einen anderen Ausgang gegeben. Mit 159:79 Stimmen lehnten die Christlichdemokraten gegen das Votum von Bundesrat Joseph Deiss den Gegenvorschlag zur Avanti-Vorlage ab, beschlossen mit 174:24 Stimmen die Nein-Parole zur Verwahrungsinitiative und empfahlen mit 125:22 Stimmen die Mietrechtsrevision zur Annahme
[17].
Mitte Januar gaben sowohl die als Kronfavoritin für die Parteileitung gehandelte Vizepräsidentin Doris Leuthard (AG) als auch Bruno Frick (SZ) ihren Verzicht auf eine Kandidatur bekannt. Da die Suche nach einem geeigneten Nachfolger für Stähelin erfolglos blieb, entschied das Parteipräsidium, die Ersatzwahlen auf den Sommer zu verschieben.
Doris Leuthard erklärte sich bereit,
interimistisch die Parteigeschäfte zu übernehmen
[18].
Nach einer emotionsgeladenen Debatte sprachen sich die CVP-Delegierten Anfang April mit 177:82 Stimmen bei 9 Enthaltungen
für das Steuerpaket aus. Einige CVP-Regierungsräte hatten die Vorlage als Wahlgeschenk bezeichnet, das föderalismus- und demokratiefeindlich und eines Rechtsstaates unwürdig sei und darauf hingewiesen, dass das Kantonsreferendum massgeblich auf die Initiative von CVP-Exekutivmitgliedern zustande gekommen war. Der Entscheid zugunsten der AHV-Revision fiel mit 169:30 Stimmen bei einer Enthaltung, jener zugunsten der Mehrwertsteuererhöhung mit 164:31 Stimmen bei 3 Enthaltungen
[19].
Mitte Juni
verabschiedeten die Christlichdemokraten
Alt-Bundesrätin Ruth Metzler mit einer stehenden Ovation. Nur wenige Tage vor der Delegiertenversammlung war Metzlers Buch erschienen, in dem sie sich kritisch zum Verhalten der Parteispitze im Vorfeld der Bundesratswahlen 2003 äusserte und das in der Partei einige Irritationen ausgelöst hatte. Interimspräsidentin Doris Leuthard attestierte der ersten CVP-Frau im Bundesrat, während viereinhalb Jahren in so schwierigen Bereichen wie der Migrationspolitik mit Herzblut und Sachverstand gewirkt zu haben. Das Scheitern der Bestätigungswahl stellte sie als Konsequenz der von der CVP verlorenen Parlamentswahlen hin. Nachdem in den vergangenen Tagen viel von Entfremdung zwischen der früheren Bundesrätin und ihrer Partei die Rede gewesen war, versicherte Ruth Metzler den Delegierten, sie fühle sich in der CVP zuhause, denn diese trete für Werte ein, die ihr persönlich und für das Vorankommen des Landes wichtig seien. Die Delegierten beschlossen mit 163:2 resp. 163:3 Stimmen und je einer Enthaltung die Ja-Parole zur Neuregelung des Bürgerrechts und folgten damit dem Plädoyer der ehemaligen EJPD-Chefin, welche diese Revision vorangetrieben hatte
[20].
Mitte Juli gab die CVP die Resultate der
parteiinternen Vernehmlassung zu ihrem Erneuerungsprojekt „Aufbruch Schweiz“ bekannt. Die Kantonalparteien begrüssten eine zentrale Verwaltung der Mitgliederkartei, sprachen sich jedoch gegen eine Verlagerung der Finanzhoheit und des Inkassos der Mitgliederbeiträge an die Zentrale aus. Die Delegiertenversammlungen würden beibehalten, doch werde die CVP Schweiz jährlich mindestens einen grossen Parteikongress veranstalten, der offen für alle Mitglieder sein soll
[21].
Im September wählten die Christlichdemokraten
Doris Leuthard zur Präsidentin; nachdem die Arbeit im Parteipräsidium durch die Schaffung von Ressorts besser aufgeteilt worden war, damit sie ihren Beruf als Anwältin weiter ausüben kann, hatte sich die Aargauer Nationalrätin im Juni bereit erklärt, die Parteileitung definitiv zu übernehmen. Im künftigen siebenköpfigen CVP-Präsidium stehen ihr der Schwyzer Ständerat Bruno Frick und der Freiburger Nationalrat Dominique de Buman als Vizepräsidenten, sowie, von Amtes wegen, Jean-Michel Cina (VS) als Fraktionschef zur Seite. Der Parteitag bestätigte zudem die Präsidiumssitze von CVP-Frauen-Präsidentin Ida Glanzmann (LU) und von Lucrezia Meier-Schatz (SG). Neu wurde der Tessiner Regierungsrat Luigi Pedrazzini ins Leitungsgremium aufgenommen
[22].
Am gleichen Wochenende verabschiedeten die Delegierten auch das
neue Parteiprogramm „Aufbruch Schweiz“. Hatte die CVP im Frühjahr im Entwurf noch für eine „ökosoziale Marktwirtschaft“ plädiert, lautete der Schwerpunkt nun „liberal-soziale Marktwirtschaft“. Gemäss Parteipräsidentin Leuthard sei die Stärke der CVP immer die Verknüpfung von Wirtschafts- und Sozialpolitik gewesen, deshalb das neue Etikett. So wolle sich die CVP im Bereich Wirtschaft unter anderem gegen Kartelle, für einen Ausbau von Forschung und Bildung und für liberalisierte Ladenöffnungszeiten einsetzen. Im zweiten Schwerpunkt Familienpolitik verlangen die Christlichdemokraten harmonisierte Familienzulagen, Steuerabzüge für Familien und Massnahmen im Bereich der ausserfamiliären Kinderbetreuung. Im Rahmen des dritten Schwerpunkts soziale Sicherheit fordert die CVP zwar ein „Auffangnetz des Staates“, aber keinesfalls eine „Hängematte“. Am Parteikongress wurde die Forderung nach einer ökologischen Steuerreform wieder ins Programm aufgenommen, nachdem sie aufgrund der negativen Reaktionen in der Vernehmlassung aus dem Entwurf gestrichen worden war. Die CVP hatte auch ihre Aussenwirkung prüfen lassen. Die Resultate bestätigten die immer noch manifeste Konfessionshürde, wonach die Partei für jede fünfte befragte Person aufgrund ihres katholisch-konservativen Hintergrunds nicht wählbar sei. Diesem Fremdbild, das dem Selbstbild der Landespartei nicht entspricht, möchte die CVP mit einer intensiven Grundwertediskussion entgegentreten, zu erwägen sei auch eine Fusion mit der reformierten EVP
[23].
Anfang Oktober gab
CVP-Fraktionschef Jean-Michel Cina seine Kandidatur für den Walliser Staatsrat bekannt. Falls er gewählt werde, trete er aus dem Nationalrat zurück. Als Nachfolger genannt wurden Ständerat Urs Schwaller und Nationalrat Dominique de Buman (beide FR)
[24].
An ihrer Delegiertenversammlung im Oktober in Hergiswil (NW) beschlossen die Christlichdemokraten mit 177:10 Stimmen (letztere überwiegend aus dem Kanton Zug) und 5 Enthaltungen die Ja-Parole zur NFA. Der positive Entscheid zum
Stammzellenforschungsgesetz fiel mit 153:28 Stimmen bei 4 Enthaltungen überraschend deutlich aus, nachdem die Fraktion vor einem Jahr noch gespalten gewesen war und das Gesetz mit nur einer Stimme Differenz gebilligt hatte. Die Ja-Parole zur neuen Finanzordnung fasste der Parteivorstand in eigener Regie. Die CVP-Delegierten verabschiedeten eine Resolution zur Revision der IV, in der sie die Schaffung einer Meldestelle zur frühzeitigen Erfassung von erwerbsunfähigen Personen, eine zeitliche Beschränkung und die regelmässige Überprüfung von IV-Renten sowie eine Beratung für schnelle Wiedereingliederung forderten. In ihrem Rückblick auf das erste Jahr mit dem neu zusammengesetzten Bundesrat erklärte Parteipräsidentin Doris Leuthard das Experiment für gescheitert; sie appellierte an die „verantwortungsvollen Köpfe“ innerhalb der SVP, sich zu entscheiden, ob sie die Eskapaden ihrer Partei noch länger mitzutragen gewillt seien
[25].
In den kantonalen Parlamentswahlen mussten die Christlichdemokraten insgesamt 26 Sitze abgeben: Allein in Schwyz büssten sie neun Mandate ein, in St. Gallen sieben, im Thurgau fünf, in Basel-Stadt drei und in Schaffhausen zwei. Nur in Uri konnten sie alle ihre Sitze verteidigen, verloren aber die Mehrheit in der Exekutive. In St. Gallen stellt die CVP erstmals den Stadtpräsidenten.
[17] Presse vom 10.1. und 12.1.04. Zur Bundesratswahl und dem Rücktritt Stähelins siehe
SPJ 2003, S. 342 f.
[18] Presse vom 13.1., 20.-21.1. und 23.1.04.
[20] Presse vom 14.6.04. Zum Buch Metzlers (
Lit. Metzler) und den auf die Publikation folgenden Reaktionen siehe Presse vom 7.-12.6.04.
[21] Presse vom 5.7. und 13.7.04.
[22] Presse vom 23.6., 18.9. und 20.9.04.
[23]
NZZ, 3.9.04; Presse vom 18.9. und 20.9.04. Zu den Kandidaturen für das CVP-Präsidium siehe Presse vom 24.7.04;
NZZ, 3.9. und 8.9.04.
[24] Presse vom 8.10.04;
Lib. und
NF, 15.10.04.
[25] Presse vom 25.10.04.
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