Année politique Suisse 2004 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires
 
Volksrechte
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Nutzung der Volksrechte
Im Berichtsjahr kam es zu fünf mit einem fakultativen Referendum verlangten Volksabstimmungen. In einem Fall (Steuerpaket) reichten sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch, zum ersten Mal überhaupt, die Kantone das Referendum ein. Das Volk bestätigte zwei Mal den Parlamentsentscheid (Mutterschaftsversicherung, Stammzellenforschung) und entschied drei Mal dagegen (Mietrecht, AHV-Revision, Steuerpaket).
Im Jahr 2004 wurden zwei neue Volksinitiativen eingereicht (Prämiensenkung bei der Krankenkasse von der SVP, gegen Behördenpropaganda bei Volksabstimmungen), beide stammen aus dem rechten politischen Spektrum. Dem Volk zum Entscheid vorgelegt wurden ebenfalls zwei Volksbegehren (lebenslange Verwahrung, Postdienste). Eines davon wurde angenommen (lebenslängliche Verwahrung). Damit blieb Ende 2004 der Bestand der eingereichten, aber dem Volk noch nicht zum Entscheid vorgelegten Initiativen unverändert bei sieben. Neu lanciert wurden neun Volksinitiativen.
Volk und Stände stimmten zwei von Regierung und Parlament vorgeschlagenen Verfassungsänderung zu (NFA, NFO), deren vier lehnten sie ab (Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative, MWSt-Erhöhung zugunsten der AHV/IV sowie zwei Bürgerrechtsvorlagen). Insgesamt kam es somit zu 13 Volksabstimmungen (2 Volksinitiativen, 6 Verfassungsreferenden und 5 fakultative Referenden). Bei lediglich fünf dieser dreizehn Entscheide folgten die Stimmberechtigten dem Antrag von Regierung und Parlament (2003: elf von elf).
Gegen die Stimmen der SVP beschloss der Nationalrat auf Antrag des Bundesrats, dem „International Institut for Democracy and Electoral Assistance“ beizutreten. Das Ziel dieser Institution ist die weltweite Förderung der Demokratie primär durch Erfahrungs- und Wissensaustausch. Ihr gehören zur Zeit 23 Staaten an und die Schweiz machte seit der Gründung im Jahr 1995 als nicht stimmberechtigte Beobachterin mit [29].
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Reform der Volksrechte
Von den beiden im Vorjahr von der SVP-Fraktion eingereichten parlamentarischen Initiativen für mehr Volksabstimmungen über Finanzbeschlüsse des Parlaments konnte sich eine, nämlich diejenige, welche die Einführung des Finanzreferendums verlangt, durchsetzen. Die SPK des Nationalrats hatte sich mit Stichentscheid des Präsidenten für eine Unterstützung entschieden. Demnach sollen Verpflichtungs- oder Rahmenkredite ab einem im Initiativtext nicht festgelegten Betrag dem fakultativen Referendum unterstellt sein. Gegen den Widerstand der geschlossenen Linken und einer Mehrheit der CVP gab der Nationalrat dieser Initiative Folge [30].
Auf Antrag seiner SPK gab der Nationalrat hingegen dem zweiten Vorstoss der SVP-Fraktion keine Folge, welcher die Einführung des Behördenreferendums für Parlamentsbeschlüsse verlangte, die zu beträchtlichen Mehrausgaben führen. Gemäss diesem Vorschlag hätte eine qualifizierte Minderheit von je einem Drittel der Mitglieder beider Kammern in solchen Fällen eine Volksabstimmung anordnen können. Eines der Hauptgegenargumente der SPK-Sprecher Beck (lp, VD) und Gross (sp, ZH) war, dass damit die Parlamentarier davon dispensiert würden, breit akzeptierte Kompromisse zu finden und sich darauf beschränken könnten, das Volk laufend zu Plebisziten über Ausgaben aufzurufen. Zudem seien die Volksrechte bereits gut ausgebaut, da die meisten rechtlichen Grundlagen der Ausgabenbeschlüsse dem fakultativen Referendum unterstellt seien [31].
Gegen Jahresende gab der Bundesrat einen Gesetzesvorentwurf für die Umsetzung der 2003 in die Verfassung aufgenommenen Allgemeinen Volksinitiative in die Vernehmlassung [32].
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Abstimmungen und Wahlen
Der Nationalrat folgte mit knappem Mehr dem Antrag seiner SPK, die im Jahr 2000 gutgeheissene parlamentarische Initiative Gross (sp, ZH) für die Meldepflicht und Publikation von grossen finanziellen Beiträgen an die Werbekampagnen für Volksabstimmungen abzuschreiben und damit auch auf die Vorschläge der Kommissionsminderheit zur Schaffung eines Anreizsystems für die Deklaration der Beiträge nicht einzutreten [33].
Die 2003 lancierte VolksinitiativeVolkssouveränität statt Behördenpropaganda“ wurde im August mit 106 344 gültigen Unterschriften eingereicht. Noch vor der Veröffentlichung der Botschaft an das Parlament gab der Bundesrat bekannt, dass er diese Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfehlen werde [34]. Die Absicht der SPK des Nationalrats, die amtliche Abstimmungsbroschüre (Bundesbüchlein) in Zukunft statt vom Bundesrat von einem Ausschuss des Parlaments schreiben zu lassen, scheiterte am Veto der SPK des Ständerats, welche die Unterstützung einer entsprechenden parlamentarischen Initiative ablehnte [35].
Die Frage, ob die Veröffentlichung von Ergebnissen von Meinungsumfragen vor Volksabstimmungen und Wahlen einen Einfluss auf deren Ausgang hat, ist in der Wissenschaft umstritten. Die Branche der Meinungsforscher hatte sich im Jahre 2002 Richtlinien gegeben, welche die Publikation nur bis zehn Tage vor dem Entscheid zulässt. Eine Motion Zisyadis (pda, VD), welche eine gesetzliche Regelung und eine längere Frist verlangte, lehnte der Nationalrat deutlich ab [36].
Nach den im Vorjahr pannenfrei durchgeführten Versuchen mit der elektronischen Stimmabgabe bei kommunalen Abstimmungen bewilligte der Bundesrat auf Antrag der Genfer Regierung für die Abstimmung vom 26. September erstmals die Anwendung bei einem eidgenössischen Urnengang. Zum Zug kamen die Genfer Gemeinden Anières, Cologny, Carouge und Meyrin, wobei keine Probleme auftraten. Für die eidgenössische Volksabstimmung vom 28. November wurde die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe auf weitere vier Genfer Gemeinden ausgedehnt [37].
Bei der Genehmigung der neuen Kantonsverfassung Graubündens kam es zu einer Kontroverse zwischen dem Bundesrat und dem Ständerat über das Majorzsystem. Auslöser dazu war eine Bemerkung in der bundesrätlichen Botschaft, welche, gestützt auf das Urteil einiger Staatsrechtler, das Majorzsystem bei Parlamentswahlen als „rechtlich zweifelhaft“ eingestuft hatte, da es im Widerspruch zum demokratischen Repräsentationsgedanken stehe. Auf die Anregung des Bundesrates, dieses Wahlsystem für kantonale Parlamente in Zukunft als nicht verfassungskonform zu taxieren, reagierte die SPK des Ständerats – dessen Mitglieder mit Ausnahme der Vertreter des Kantons Jura alle nach diesem System gewählt werden – kurz, heftig und negativ. Das Majorzsystem werde nicht nur in der Schweiz, sondern auch in einer ganzen Reihe anderer demokratischer Staaten für Parlamentswahlen angewendet, und sei vor allem in ländlichen Gebieten ein gutes Verfahren zur Wahl von politischen Repräsentanten. Beide Ratskammern schlossen sich dieser Meinung an und auch Bundesrat Blocher distanzierte sich von der in der Botschaft formulierten Kritik am Majorzsystem [38].
 
[29] BBl, 2004, S. 3689 ff.; AB NR, 2004, S. 1536 ff.
[30] AB NR, 2004, S. 1343 ff.; SHZ, 4.2.04. Vgl. SPJ 2003, S. 40. Dieses Finanzreferendum (obligatorisch und/oder fakultativ) kennen alle Kantone.
[31] AB NR, 2004, S. 1346 ff. Vgl. SPJ 2003, S. 40. Das finanzpolitische Behördenreferendum wird in einigen Kantonen praktiziert (u.a. ZH).
[32] NZZ, 10.8. und 20.11.04. Vgl. SPJ 2003, S. 39.
[33] AB NR, 2004, S. 481 ff. Vgl. SPJ 2003, S. 40.
[34] BBl, 2004, S. 4847 f.; 24h, 12.8.04 (Einreichung); TA und BZ, 11.11.04 (BR). Vgl. SPJ 2003, S. 40.
[35] Lib., 26.5.04
[36] AB NR, 2004, S. 1424 f.; BZ, 10.6.04.
[37] BBl, 2004, S. 3949 f. (Bewilligung für den 26.9.04) und 5519 f. (für den 28.11.04); TA, 16.9.04; TG, 25.9.04. Vgl. auch SPJ 2003, S. 40.
[38] BBl, 2004, S. 1107 ff. (BR) und 3635 ff. (SPK-SR); AB SR, 2004, S. 260 ff.; AB NR, 2005, S. 1057 f.; BBl, 2004, S. 3643.