Année politique Suisse 2004 : Economie / Politique économique générale
Wettbewerb
Eine im Jahr 2000 von der parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle publizierte Analyse hatte ergeben, dass das 1995 beschlossene
Binnenmarktgesetz sein wichtigstes Ziel, die landesweite Öffnung von kantonal reglementierten und segmentierten Märkten, nicht erreicht hat. Infolge restriktiver kantonaler Zulassungsvorschriften seien bestimmte Märkte (z.B. Sanitär- oder Taxigewerbe) immer noch stark segmentiert und damit dem freien Wettbewerb entzogen. Eine vom EVD anfangs 2003 eingesetzte Expertenkommission schlug vor, das Binnenmarktgesetz mit einer Teilrevision wirksamer auszugestalten. So soll insbesondere nicht nur der freie Marktzugang (bei Erfüllung der Vorschriften des Herkunftskantons), sondern auch die gewerbliche Niederlassung garantiert werden. Die Verweigerung der Gewerbeniederlassung wäre nur noch in gut begründeten Ausnahmefällen zulässig. Um eine Benachteiligung von Inländern gegenüber Konkurrenten aus der EU zu vermeiden, soll zudem dort, wo keine interkantonale Abkommen bestehen, die Anerkennung der Fähigkeitszeugnisse nach dem Muster des EU-Anerkennungsverfahrens geschehen. Da die Erfahrung mit dem bestehenden Gesetz gezeigt hatte, dass betroffene Individuen nur selten gegen effektive Marktbehinderungen klagen, beantragte die Expertenkommission schliesslich auch noch, der Eidg. Wettbewerbskommission ein Beschwerderecht einzuräumen (bisher durfte sie bei wettbewerbsfeindlichen Entscheiden von kantonalen und kommunalen Behörden bloss Empfehlungen abgeben). Die im Frühling des Berichtsjahres durchgeführte
Vernehmlassung fiel mehrheitlich positiv aus. Kritik namentlich an der Ausweitung des freien Marktzugangs kam vor allem von den Kantonen Genf und Waadt; aber auch Westschweizer Unternehmerverbände sprachen sich gegen die angestrebte Wettbewerbsverschärfung aus. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund lehnte den Expertenentwurf zwar nicht ab, kritisierte aber grundsätzlich die Liberalisierung der Märkte. Der Bundesrat sah sich durch diese Einwände jedoch nicht zu einem Kurswechsel veranlasst. Er leitete die Teilrevision des Binnenmarktgesetzes weitgehend in der von den Experten ausgearbeiteten Fassung dem Parlament zu
[13].
Mit der Überweisung eines Postulats Sommaruga (sp, BE) hat der Ständerat die Regierung beauftragt zu prüfen, ob es sinnvoll wäre, mit der EU Verhandlungen über ein Abkommen über die gegenseitig anerkannte regionaleuropäische Erschöpfung im Patentrecht aufzunehmen. Mit einer solchen Regelung würde die Bestimmung aufgehoben, dass nur offizielle Vertreiber patentrechtlich geschützte Waren importieren dürfen. Diese Ausweitung der Zulassung von sogenannten
Parallelimporten auf patentgeschützte Güter würde nach Ansicht der Postulantin einen wesentlichen Beitrag zur Senkung des hohen schweizerischen Preisniveaus leisten. In seinem gegen Jahresende vorgestellten Bericht lehnte der Bundesrat derartige Verhandlungen ab. Sein Hauptargument war, dass der bestehende Patentschutz und die damit verbundenen Wettbewerbsbeschränkungen für die forschungsintensive schweizerische Industrie (v.a. für die Pharmabranche) von überwiegender Bedeutung seien
[14].
Günstige Auswirkungen auf die Preise versprechen sich viele auch von der Einführung des sogenannten
Cassis-de-Dijon-Prinzips, demzufolge der Verkauf eines importierten Gutes automatisch zugelassen wird, wenn es den technischen Vorschriften des Ursprungslands genügt. Mit der Überweisung eines Postulats Leuthard (cvp, AG) beauftragte der Nationalrat die Regierung mit der Abklärung der Folgen der Einführung dieses Prinzips für die Schweiz. Der freisinnige Ständerat Hess (OW) verlangte mit einer noch nicht behandelten Motion die einseitige Einführung dieses Prinzips in Bezug auf Einfuhren aus der EU und dem EWR
[15].
Der Rücktritt des
Preisüberwachers Werner Marti (sp, GL) bot dem Wirtschaftsverband Economiesuisse und auch der SVP den Anlass, die Abschaffung dieser dank einer angenommenen Volksinitiative in der Verfassung verankerten und gemäss Meinungsumfragen sehr populären Institution zu fordern. Die Kritiker argumentierten, dass diese Stelle mit dem im Berichtsjahr in Kraft gesetzten verschärften Kartellrecht überflüssig geworden sei. Dies sei um so mehr der Fall, als sie bei den administrierten, also von den politischen Behörden festgelegten Preisen ohnehin nur Empfehlungen abgeben könne. Der St. Galler Wirtschaftsprofessor Franz Jaeger verlangte, dass bei einer Beibehaltung der Preisüberwachungsstelle diese in die Wettbewerbskommission zu integrieren sei. Der Bundesrat diskutierte zwar diesen letzteren Vorschlag, verwarf ihn dann aber und wählte den sozialdemokratischen Berner Nationalrat Rudolf Strahm zu Martis Nachfolger. Anders als der Glarner Nationalrat Marti trat Strahm von seinem Parlamentsmandat zurück. Im Dezember bestätigte der Bundesrat seinen Entscheid, nichts an der bisherigen eigenständigen Organisationsstruktur der Stelle für Preisüberwachung zu ändern
[16].
Die WAK des Nationalrats legte ihren Bericht zur Umsetzung der im Vorjahr angenommenen parlamentarischen Initiative Hegetschweiler (fdp, ZH) für eine Liberalisierung der Sortimentsbeschränkungen und der
Ladenöffnungszeiten in den Bahnhof- und Flughafenarealen vor. Die Initiative war eine Reaktion auf ein Urteil des Bundesgerichts aus dem Jahre 1997 gewesen, welches festgehalten hatte, dass die, gemessen an den Vorschriften in den Standortkantonen, liberalen Ladenöffnungszeiten in Bahnhöfen nur für Geschäfte gelten würden, deren Angebot in sehr engem Zusammenhang mit dem Bedarf von Reisenden steht (z.B. Bücher, Blumen, Getränke). Nachdem das Parlament 1998 die Bestimmungen, was zum Bedarf von Bahn- und Flughafenkunden gehört, erweitert hatte (z.B. auch Unterhaltungselektronik, Kleider und Schuhe), blieb das Bundesgericht bei seiner restriktiven Haltung. Es anerkannte, dass damit für diese Läden zwar liberalere Öffnungszeiten gelten, urteilte aber, dass die Beschäftigung von Verkaufspersonal am Sonntag gemäss Arbeitsgesetz verboten resp. bewilligungspflichtig ist. Die Kommission schlug nun vor, dass für die Sonderregelung des Abend- und Sonntagsverkaufs in Bahnhöfen und Flughäfen nicht mehr das Warensortiment sondern die Grösse und Bedeutung dieser Zentren des öffentlichen Verkehrs entscheidend sein soll. Mit einer Teilrevision des Arbeitsgesetzes soll in bedeutenden Verkehrszentren die Arbeit in diesen Geschäften bis 23h00 und am Sonntag bewilligungsfrei werden, wobei für die Sonntagsarbeit Vorschriften über Kompensationen und minimale Anzahl von arbeitsfreien Tagen erlassen werden. Die Kommissionsmitglieder der SP und der GP beantragten, darauf entweder gar nicht einzutreten oder dann wenigstens die Bestimmung aufzunehmen, dass die Sonntagsarbeit nur bei Vorliegen eines Gesamtarbeitsvertrags zugelassen werde
[17].
Der Nichteintretensantrag der Kommissionsminderheit sowie auch ein Rückweisungsantrag Daguet (sp, BE) wurden im
Nationalrat deutlich abgelehnt. Er fand nur bei der SP (mit vier Abweichlern), der Fraktion EVP/EDU, einer knappen Mehrheit der Grünen sowie einzelnen Vertretern der CVP Unterstützung. In der Detailberatung unterlag auch der Antrag, die bewilligungsfreie Sonntagsarbeit lediglich für Geschäfte mit einem Gesamtarbeitsvertrag einzuführen. Im Ständerat war die Sache vorerst nicht so klar. Auch bürgerliche Abgeordnete fanden, dass die Kommission des Nationalrats ein Vernehmlassungsverfahren zumindest bei den Kantonen hätte durchführen müssen, und dass zudem die Definition, was als bedeutendes Verkehrszentrum zu gelten habe, näher bestimmt werden müsste. Auf Antrag Gentil (sp, JU) beschloss die kleine Kammer zwar Eintreten, aber Rückweisung an ihre eigene Kommission, um das Versäumte nachzuholen. Nach diesen Abklärungen stimmte auch der Ständerat zu und das Geschäft wurde in der Herbstsession verabschiedet. Nachdem im Nationalrat der Gewerkschaftsbundspräsident Rechsteiner (sp, SG) vor der Schlussabstimmung mit dem
Referendum gedroht und die Delegiertenversammlung des SGB dieses bereits vor der Behandlung im Ständerat grundsätzlich beschlossen hatte, lancierte dieser die Unterschriftensammlung für eine Volksabstimmung. Das Referendum wurde anfangs 2005 mit gut 80 000 Unterschriften eingereicht
[18]. Nicht nur in Bahnhöfen und Flughäfen gibt es Sonntagsarbeit in Detailhandels- und Dienstleistungsbetrieben, sondern auch in bestimmten Geschäften (z.B. Bäckereien) und generell in Tourismusorten. Die Bestimmungen sind infolge der kantonal geregelten Öffnungszeiten uneinheitlich. Der Ständerat überwies eine Motion seiner WAK, welche eine zusammenfassende Darstellung dieser Verhältnisse und der geltenden Schutzbestimmungen für die Beschäftigten verlangt
[19].
Im Frühjahr gab das EVD den Entwurf für ein neues
Gesetz über die Information und den Schutz der Konsumenten in die Vernehmlassung. Dieses soll das seit 1990 existierende Bundesgesetz über die Information der Konsumentinnen und Konsumenten ergänzen, indem es Minimalvorschriften zur Deklaration von Waren und – das wäre neu – auch der Preise von Dienstleistungen festhält. Zur Anwendung kommen sollen diese Bestimmungen insbesondere bei Produkten, die neu auf dem Markt erscheinen und für die noch keine spezifischen Deklarationsvorschriften in anderen Bestimmungen (z.B. im Lebensmittelgesetz) erlassen worden sind. Der Vorentwurf sah im Weiteren auch ein Zivilklagerecht der Konsumentenorganisationen und der Wirtschafts- und Fachverbände vor
[20]. Die Reaktionen waren wenig begeistert. Für die SP und die Konsumentenorganisationen war der Entwurf zu zahm, für die Wirtschaftsverbände, die FDP und die SVP ging er zu weit. Die grossen Detailhandelsketten Coop und Migros kritisierten insbesondere die vorgesehene Pflicht, die vorgeschriebene Deklaration in drei Landessprachen zu verfassen, was insbesondere importierte Waren verteuern würde. Angesichts dieser Widerstände beschloss der Bundesrat, die Vorlage aufzuteilen und von zwei Arbeitsgruppen weiter bearbeiten zu lassen. Die eine wird sich mit der Revision der Bestimmungen über die Konsumenteninformation befassen, die andere mit dem Bereich der Produktesicherheit
[21].
[13]
BBl, 2005, S. 465 ff.; Presse vom 13.3. und 25.11.04;
NZZ, 22.6.04 (Vernehmlassung). Siehe auch die diversen Aufsätze in
Die Volkswirtschaft, 2004, Nr. 12, S. 3-33. Vgl.
SPJ 2001, S. 81.
[14]
AB SR, 2004, S. 270 f.;
TA, 4.12.04.
[15]
AB NR, 2004, S. 1743 (Leuthard); Mo. 04.3473 (Hess).
[16]
TA, 21.1., 22.4., 24.4. (Jaeger) und 11.12.04;
NZZ, 27.4.04; Presse vom 29.4.04 (Wahl Strahms).
[17]
BBl, 2004, S. 1621 ff. Der BR unterstützte den Vorschlag der WAK-NR (
BBl, 2004, S. 1629 ff.). Zu den parlamentarischen Vorstössen siehe
SPJ 2002, S. 93. Die SBB gingen davon aus, dass etwa 25 Bahnhöfe von der Liberalisierung werden profitieren können (
TA, 2.9.04).
[18]
AB NR, 2004, S. 350 ff. und 1760;
AB SR, 2004, S. 314 ff., 539 ff. und 650;
BBl, 2004, S. 5447;
24h, 14.9.04 (SGB-DV); Presse vom 1.10.04;
BBl, 2005, S. 1528 f. (Einreichung).
[19]
AB SR, 2004, S. 548 f.
[20]
Bund und NZZ, 8.4.04;
SHZ, 9.6.04.
[21]
NZZ, 14.7., 17.7. und 20.12.04 (Vernehmlassung);
TA, 23.12.04 (BR).
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