Année politique Suisse 2004 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport
 
Sozialhilfe
Gemäss einer Analyse des Bundesamtes für Statistik (BFS) nahm 2003 die Zahl der Working Poor in der Schweiz erstmals seit vier Jahren wieder zu. Besonders betroffen sind nach wie vor Alleinerziehende, Kinderreiche, Selbständigerwerbende und Ausländer. 2003 waren 7,4% jener 20- bis 59-jährigen Erwerbstätigen arm, die in einem Haushalt mit einem Erwerbsumfang von mindestens einer Vollzeitstelle (ab 90%) leben. 2002 hatte dieser Anteil 6,4% betragen. In der Krise zu Beginn der 90er Jahre war die Working-Poor-Quote auf 9% (1996) angestiegen; danach stabilisierte sie sich und ging nach 2000 sogar auf unter 7% zurück. Seit 2002 beobachtete das BFS wieder einen Anstieg. Betroffen waren im Jahr 2003 231 000 Working Poor in 137 000 Haushalten mit total 513 000 Personen, davon 223 000 Kinder. Die Working-Poor-Quote hängt zumindest teilweise mit dem Verlauf der Erwerbslosenquote zusammen. Der Anteil armer Erwerbstätiger folge der Arbeitslosenquote mit einem Abstand von zwei bis drei Jahren, stellte das BFS fest. Offenbar gehe ein Anstieg der Erwerbslosigkeit mit einem Wachstum der Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse einher [33].
Um die Kostenexplosion in der Sozialhilfe zu stoppen, drängen sich nach Ansicht der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) und der „Städteinitiative“ verschiedene Massnahmen auf. So sollen Anreizmodelle geschaffen werden, damit sich Arbeit lohnt. Weiter sollen schweizweit harmonisierte Standards in der Sozialhilfe gelten, um eine weitere Zuwanderung Bedürftiger in die Städte zu vermeiden. Die SKOS verabschiedete entsprechende Richtlinien. Als besonders wichtig erachtet wurde eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen ALV, IV und Sozialhilfe, um nach Möglichkeiten den so genannten „Drehtür-Effekt“, das Weiterreichen einer desintegrierten Person von einer Institution zur anderen, zu vermeiden. Die Präsidenten des Verbands schweizerischer Arbeitsämter, der SKOS und der schweizerischen IV-Konferenz plädierten für die Errichtung von gemeinsamen Assessment-Centers zur professionellen Integration. Dazu erarbeitete das Seco ein Handbuch mit Tipps und Hinweisen zur interinstitutionellen Zusammenarbeit [34].
 
[33] NZZ, 27.11.04. Zu den Working Poor siehe auch die Antwort des BR auf eine Anfrage im NR (AB NR, 2004, Beilagen V, S. 371).
[34] Presse vom 4.1., 6.1., 30.1. 14.7. und 15.7.04; Bund, 2.9.04; WoZ, 14.10.04; NZZ, 16.6. und 4.12.04; SoZ, 5.12.04. Zu einer Vergleichsstudie der „Städteinitiative“, welche die rapide Zunahme der Sozialhilfefälle auf die anhaltend schlechte Wirtschaftslage sowie die Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosentaggeldern zurückführte, siehe NZZ, 14.7.04. Als schweizerisches Novum führte die Gemeinde Emmen (LU) die Stelle eines „Sozialinspektors“ ein, um vermutete Missbräuche in der Sozialhilfe aufzuspüren (NLZ, 21.10.04). Für die Korrelation zwischen Arbeit und Bildung siehe unten, Teil I, 8a (Einleitung).