Année politique Suisse 2004 : Politique sociale / Assurances sociales / Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
Gegen die 11. AHV-Revision hatte der SGB im Vorjahr mit Unterstützung von SP, GP und Travail.suisse das
Referendum ergriffen und mit in Rekordzeit gesammelten über 150 000 Unterschriften eingereicht. Im Abstimmungskampf standen sich zwei klar abgesteckte Lager gegenüber. Auf der einen Seite das links-grün-gewerkschaftliche, welches die Revision mit der Erhöhung des Frauenrentenalters, den Abstrichen bei der Witwenrente, dem verlangsamten Teuerungsausgleich sowie dem nicht eingehaltenen Versprechen auf eine sozial abgefederte Frühpensionierung als reine „Sozialabbauvorlage“
bezeichnete, auf der anderen Seite die bürgerlichen Parteien, für welche die Revision einen dringend notwendigen Beitrag zur Sicherung der Sozialwerke darstellte. Im Vorfeld der Abstimmung vom 16. Mai gaben die meisten Beobachter der Revision nur geringe Erfolgschancen. Das Ausmass der Ablehnung –
über zwei Drittel Nein-Stimmen – erstaunte dennoch. In sämtlichen Kantonen wurde die Voralge verworfen. Am deutlichsten war die Verweigerung im Kanton Jura mit lediglich 13,6% Ja-Stimmen, gefolgt vom Wallis (17,6%) und dem Kanton Neuenburg (21%). Am meisten Zustimmung fand die Revision in den Kantonen Appenzell Innerrhoden (45,9%), Appenzell Ausserrhoden (41,1%) und Nidwalden (40,1%)
[10]. Während im links-grünen Lager der deutliche Entscheid mit grossem Jubel aufgenommen wurde, da er zeige, dass sich das Volk einem Rentenabbau widersetze, versuchten die Vertreter des bürgerlichen Lagers, die Bedeutung ihrer Niederlage herunter zu spielen. Einig war man sich allerdings, dass das von Bundesrat Couchepin in die Diskussion gebrachte Rentenalter 67 praktisch vom Tisch sei; es könne nur noch darum gehen, das AHV-Alter, das heute faktisch bei 62 Jahren liegt, durch geeignete Massnahmen wieder an die gesetzlich vorgesehenen 65 Jahre anzunähern
[11].
11. AHV-Revision
Abstimmung vom 16. Mai 2004
Beteiligung: 50,8%
Ja: 772 773 (32,1%)
Nein: 1 634 572 (67,9%)
Parolen:
– Ja: FDP, SVP, CVP, LPS, EDU; Economiesuisse, SAGV, SGV, SBV.
– Nein: SP, GP, CSP, EVP, Lega; SGB, Travail.suisse
In der
Vox-Analyse dieses Urnengangs erschien die
parteipolitische Positionierung als das dominante Erklärungsmoment für den Stimmentscheid. Mit 83% Nein verwarfen die Sympathisanten der SP die Revision wuchtig. Die FDP konnte eine Mehrheit (56%) ihrer Anhängerschaft von ihrer Ja-Parole überzeugen. Dies gelang der CVP lediglich zu 46% und der SVP sogar nur zu 41%. Die Deutschschweiz stimmte mit 35% Ja-Stimmen eher zu als die Welschschweiz (25%), doch war der Unterschied nicht mehr so relevant wie in früheren Abstimmungen zur AHV. Anders als bei der 10. AHV-Revision nahmen die Männer mit 38% Ja deutlich stärker an als die Frauen (25%), wobei der Unterschied (ausser bei den über 70-Jährigen) linear mit dem Alter zunahm. Die 50- bis 59-jährigen Männer nahmen die Revision sogar knapp an, während die Frauen der gleichen Altersklasse sie zu 80% ablehnten. Als Entscheidmotiv wurde von den Befürwortern mehrheitlich die Sicherung der Sozialwerke genannt; die Gründe der Gegner waren weniger einheitlich, artikulierten aber doch zu einem grossen Teil die Sorge um die Errungenschaften des Sozialstaats
[12].
[12] Engeli, Isabelle,
Analyse der eidg. Abstimmungen vom 16. Mai 2004, VOX Nr. 83, gfs.bern und Institut für Politikwissenschaft, Universität Genf, Genf 2004.