Année politique Suisse 2005 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
Freisinnig-Demokratische Partei (FDP)
An ihrer Delegiertenversammlung in Solothurn sprachen sich die Freisinnigen Anfang Jahr mit 253:1 Stimmen bei einer Enthaltung für die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten aus. In der kontradiktorischen Debatte zum Schengen-Abkommen gelang es dem Zürcher SVP-Nationalrat Hans Fehr zwar, das Gespräch auf das von Auns und SVP seit Monaten wiederholte Argument eines Verlusts der Sicherheit zu fixieren, doch die Delegierten beschlossen mit 219:4 Stimmen die Ja-Parole. Mit einer langandauernden, stehenden Ovation
verabschiedeten die Freisinnigen anschliessend ihren wegen eines Burnout-Syndroms im November 2004
zurückgetretenen Parteipräsidenten Rolf Schweiger (ZG). Schweiger dankte für das ihm entgegengebrachte Verständnis; es sei ihm ein grosses Anliegen zu zeigen, dass psychische Krankheiten nicht zu Stigmatisierungen führen müssen
[11].
Anfang März wählten die FDP-Delegierten an einem Sonderparteitag in Bern mit 228:150 Stimmen den Tessiner
Fulvio Pelli zu ihrem neuen
Parteipräsidenten. In seiner Grundsatzrede beschränkte sich Pelli auf allgemeine Bekenntnisse zum Liberalismus und Freisinn, vermittelte aber den Eindruck, Visionen entwickeln zu können und sich besser für die pragmatische Arbeit zu eignen als sein Mitbewerber Georges Theiler (LU), der im Vorjahr Rolf Schweiger unterlegen und von der Presse lange als geheimer Favorit gehandelt worden war. Die der Wahl vorangegangene dreistündige, emotionale Diskussion hatte die Gräben erahnen lassen, die durch die Partei gehen. Zürcher, Ost- und Zentralschweizer Freisinnige hatten sich für Theiler stark gemacht, während Tessiner, Romands, Berner, Solothurner und Basler für Pelli votiert hatten. In seiner Antrittsrede erklärte Pelli, die FDP dürfe nicht wie die SVP auf populistische Lösungen setzen, und – mit Blick auf die häufig von der Parteilinie abweichenden Äusserungen Filippo Leuteneggers (ZH): wenn die Partei ihre Position einmal festgelegt habe, dürfe sie sich keine „Philippika“ erlauben. – Zwei Wochen zuvor hatte die Geschäftsleitung der FDP alle Mitglieder zu Loyalität gegenüber der Partei aufgerufen, dies, nachdem bekannt geworden war, das Geschäftsleitungsmitglied Leutenegger sich mit Exponenten der SVP, der Auns und der Schweizer Demokraten zu einer Anti-Schengen-Strategiesitzung getroffen hatte
[12].
Per Akklamation ernannte die FDP-Fraktion den Zürcher Nationalrat
Felix Gutzwiller zum Nachfolger von Fulvio Pelli als
Fraktionschef und wählte den seit 2003 amtierenden Nationalrat Didier Burkhalter (NE) zum neuen Vizepräsidenten. Zweite Vizepräsidentin und Leiterin der ständerätlichen Gruppe blieb die St. Gallerin Erika Forster
[13].
Nach ihrem Nein zur Volksinitiative „Nationalbankgewinne für die AHV“ (Kosa-Initiative) und ihrer Zustimmung zu den Sonntagsverkäufen in Bahnhöfen empfahlen die Delegierten der FDP an ihrem Parteitag in Mendrisio (TI) das neue Partnerschaftsgesetz mit 142:8 Stimmen bei sieben Enthaltungen zur Annahme. Mit 160:2 Stimmen billigten sie die
Union der Freisinnigen und Liberalen. Die vertiefte Zusammenarbeit mit der LP werde die Probleme des Freisinns aber gemäss FDP-Parteipräsident Pelli nicht lösen. Um den Wählerschwund zu stoppen, brauche es ein klares und mutiges, eigenständiges Profil: Einerseits soll die Delegiertenversammlung aufgewertet werden, indem sie künftig wichtige Positionen, die zuvor allein von den Leitungsgremien vorgegeben wurden, diskutiert und verabschiedet; so erteilte die Basis der Parteileitung grünes Licht, sich dafür einzusetzen, dass mit dem Nationalbankgold Schulden der IV abgebaut werden. Andererseits sollen die Kantonalparteien ihre Positionen besser mit der FDP Schweiz absprechen, vor allem, wenn es um kantonale Fragen von nationaler Bedeutung geht. Um die entsprechenden Kontakte zu intensivieren, nimmt sich jedes Geschäftsleitungsmitglied einer Region an: Marianne Kleiner (AR) der Ostschweiz, Ruedi Noser (ZH) der Nordwestschweiz und Berns, der Walliser Kantonalpräsident Léonard Bender der Westschweiz, die Tessiner Regierungsrätin Marina Masoni ihres Heimatkantons und Parteipräsident Fulvio Pelli des Kantons Zürich. Der Luzerner Nationalrat Georges Theiler, einziges Nicht-Mitglied des Präsidiums, stellt die Verbindung zur Innerschweiz sicher
[14].
Trotz interner Kritik gab die FDP Schweiz dem Druck der Zürcher Freisinnigen nach und unterstützte deren eidgenössische
Volksinitiative zur
Beschränkung des Verbandsbeschwerderechts. Mit einer Absage wäre sie nicht nur den Zürchern und den anderen Kantonalsektionen, die das Begehren mittragen, in den Rücken gefallen, sondern hätte auch das Bild einer in sich nicht geschlossenen Partei vermittelt
[15].
An der Delegiertenversammlung in Zürich sprach sich Bundesrat Merz in seinem finanz- und fiskalpolitischen Tour d’Horizon für ein radikal vereinfachtes Mehrwertsteuersystem und erstmals für die Einführung des Finanzreferendums auf Bundesebene aus. Noch bevor die vom Bundesrat im Juni verabschiedete
Unternehmenssteuerreform II in die parlamentarischen Kommissionen gelangte, billigten die Freisinnigen die Vorlage mit 190:3 Stimmen, unterstützten aber mit grossem Mehr einem Vorschlag von Nationalrat Favre (VD), die Dividenden von Aktionären künftig nur noch zum Satz von 50% zu besteuern und nicht wie vom Bundesrat vorgesehen zu 80%. Dafür wollten die Freisinnigen den Kreis der Begünstigten einschränken und Steuerentlastungen nur Aktionären gewähren, die mindestens 10% Anteil an einem Unternehmen halten – der Bundesrat hatte auf eine Fixierung der Mindestbeteiligung verzichtet. Mit 198:3 Stimmen bei zwei Enthaltungen verwarfen die Delegierten anschliessend fast diskussionslos die Volksinitiative für ein fünfjähriges Gentech-Moratorium in der Landwirtschaft
[16].
Mit 127:0 Stimmen verabschiedeten die Freisinnigen an ihrer ausserordentlichen Delegiertenversammlung in Yverdon (VD) das neue
Strategiepapier „Eine Schweiz in Bewegung – eine erfolgreiche Schweiz“. Mit dem neuen Leitbild versucht die FDP, die vom Rechtsfreisinn kritisierte Ausrichtung auf urbane Wählerschichten zu konkretisieren. Sie beabsichtigt, ihr Image als reine Wirtschaftspartei abzulegen und sich im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen 2007 als fortschrittliche und dynamische Partei zu positionieren. Das Papier, das den Grundforderungen des FDP-Basisprojekts „Avenir radical“ Rechnung trägt, enthält vier Schwerpunkte: die „intelligente Schweiz“ (harmonisierte Bildungssysteme mit wirtschafts- und familienfreundlichen Strukturen, Integration junger Ausländer, Forschung in zukunftsträchtigen Bereichen nach dem Motto „Regeln statt Verbote und Moratorien“); die „wachsende Schweiz“ (effizienter Binnenmarkt, gesunder Finanzhaushalt in Bund und Kantonen, vereinfachte administrative Verfahren, Verhältnismässigkeit bei Rekursrechten, periodische Überprüfung staatlicher Aufgaben, Individualbesteuerung und vereinfachtes Mehrwertsteuersystem); die „soziale, gerechte und moderne Schweiz“ (AHV-Alter 65, Stabilisierung der Sozialwerke ohne weitere Mehrbelastungen der aktiven Generation) und die „offene Schweiz“ (verbesserte Betreuungsstrukturen zur Vereinbarung von Beruf und Karriere, Weiterführung des bilateralen Weges unter fortlaufender Analyse der Entwicklungen innerhalb der EU, verstärktes internationales sicherheitspolitisches Engagement, Ausrichtung der Armee auf aktuelle und zukünftige Bedrohungen)
[17].
In den kantonalen
Parlamentswahlen mussten die Freisinnigen insgesamt 54 Sitze abgeben: In den verkleinerten Legislativen von Solothurn und Aargau verloren sie dreiundzwanzig resp. sechzehn Sitze, in Neuenburg zehn und im Wallis fünf; einzig in Genf konnten sie ihre Mandate verteidigen. Nach den Regierungsratswahlen in Genf ist die FDP mit François Longchamp nach vier Jahren wieder in der Exekutive vertreten.
[11] Presse vom 17.1.05. Zu Schweigers Rücktritt vgl.
SPJ 2004, S. 293 f.
[12] Presse vom 7.3.05; vgl.
SPJ 2004, S. 292 (Theiler). Zum Präsidentenwahlkampf siehe Presse vom 3.2.-6.3.05, zu Leutenegger Presse vom 11.-12.2. und 19.2.05.
[13] Presse vom 15.-16.3.05.
[14] Presse vom 16.-18.4.05;
NZZ, 25.4.05;
NF, 27.4.05 (Kantonalparteien). Zur Union, der die Liberalen eine Woche zuvor zugestimmt hatten, siehe unten (LP).
[15]
TA, 16.8.05;
Bund, 20.8.05; vgl.
SPJ 2004, S. 294.
[17] Presse vom 24.10.05. Zum Strategiepapier siehe
NZZ, 9.9.05; Presse vom 14.9. und 21.10.05; zu Avenir radical vgl.
SPJ 2003, S. 341 und
2004, S. 292 f.
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