Année politique Suisse 2005 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique / Strafrecht
Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Genehmigung eines
UNO-Abkommens gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität sowie von Zusatzprotokollen zur Verhinderung und Bestrafung des Menschenhandels und der Schlepperei. Der Hauptwert des Abkommens liegt in der Angleichung der internationalen Rechtsstandards und der Verpflichtung der Signaturstaaten zur Schaffung entsprechender Gesetze (z.B. gegen die Geldwäscherei). Die aktuell gültigen schweizerischen Rechtsgrundlagen genügen den Anforderungen des Abkommens
[41].
Bei der Ende 2002 vom Parlament verabschiedeten, aber vom Bundesrat noch nicht in Kraft gesetzten umfassenden
Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs waren im Nachhinein, d.h. bei der Anpassung der kantonalen Rechtsordnungen, Zweifel am Sinn von bestimmten Beschlüssen aufgetaucht. Namentlich bei der Umsetzung der Grundsatzidee, kurze
Freiheitsstrafen durch Geldbussen zu ersetzen, ergaben sich Widersprüche zum bestehenden Ordnungsbussensystem. Konkret konnte dies bedeuten, dass im Strassenverkehr für eine Person mit niedrigem Einkommen eine Ordnungsbusse für eine kleine Übertretung höher ausfiel als die – nach Einkommensverhältnissen abgestufte – Busse für ein wesentlich schwereres Vergehen. Der Bundesrat beantragte deshalb, einige Regelungen zu revidieren. Gleichzeitig schlug er auch vor, die in der Strafrechtsreform geschaffenen Bestimmungen über die ordentliche
Verwahrung in zwei Punkten zu verschärfen. Erstens soll eine Verwahrung auch für rückfallgefährdete Täter bestimmter Delikte (z.B. sexuelle Handlungen mit Kindern resp. Abhängigen) angeordnet werden können, die zu einer Strafe von mindestens fünf Jahren (statt zehn, wie im revidierten Gesetz vorgesehen) verurteilt worden sind. Zweitens soll es möglich sein, eine ordentliche Verwahrung – nicht aber eine lebenslängliche Verwahrung – nachträglich auch gegen bereits verurteilte Täter auszusprechen. Diese Bestimmung soll zudem rückwirkend angewendet werden, d.h. auch auf Täter, die vor Inkraftsetzung des Gesetzes verurteilt worden sind; gemäss Botschaft allerdings nicht auf psychisch nicht gestörte Ersttäter. Der praktische Hintergrund dieses Vorschlags war, dass ohne diese neuen Bestimmungen mehrere verwahrte rückfallgefährdete Sexualstraftäter und Gewaltverbrecher mit dem Inkrafttreten des revidierten Gesetzes unverzüglich hätten frei gelassen werden müssen
[42]. Auf Antrag seiner Rechtskommission hiess der
Ständerat die Vorschläge in der Dezembersession weitgehend in der Fassung des Bundesrates gut. Umstritten war die Möglichkeit der nachträglichen, also nach der Verkündung eines Gerichtsurteils verhängten Verwahrung. Nachdem Bundesrat Blocher versichert hatte, es gehe hier nur um diejenigen seltenen Fälle, bei denen bei einem Gewaltverbrecher erst während des Strafvollzugs eine schwere Anomalie entdeckt werde, die ihn zu einem Wiederholungstäter machen könnte, stimmte der Rat mit 21 zu 11 Stimmen auch diesem Passus zu
[43].
Gegen Jahresende gab der Bundesrat seine Vorschläge für die Umsetzung der 2004 angenommenen
Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“ bekannt. Nachdem die 2004 durchgeführte Vernehmlassung starke Kritik hervorgerufen hatte, hatte das EJPD angekündigt, Alternativen auszuarbeiten. Der Bundesrat hielt dann trotzdem weitgehend am Vernehmlassungsentwurf fest, er trennte allerdings die Umsetzung der Volksinitiative von den Ausbesserungsarbeiten an den Allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (siehe dazu oben). Da der Wortlaut des von der Volksinitiative geschaffenen Verfassungsartikels unter juristischen Aspekten sehr unklar ist, muss auf Gesetzesebene vorerst einmal bestimmt werden, was unter „extrem gefährlichen Sexual- oder Gewaltstraftätern“ zu verstehen ist. Gemäss der Botschaft sind darunter
Täter folgender Verbrechen zu verstehen: Mord, vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Freiheitsberaubung oder Entführung, Geiselnahme, Menschenhandel oder Völkermord, bei denen der Täter die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person beeinträchtig hat. Vorgesehen ist, dass für die Anordnung einer lebenslangen Verwahrung ein Gericht sich auf zwei unabhängige Gutachten stützen muss. Bei der
Überprüfung der Weiterführung einer angeordneten Verwahrung glaubt der Bundesrat ein mit Art. 5 der EMRK vereinbares Verfahren gefunden zu haben. Dieses sieht ein mehrstufiges Vorgehen vor: Ein lebenslänglich Verwahrter soll ein Gesuch um eine neue Begutachtung stellen dürfen; ein solches kann, in Abweichung vom Vernehmlassungsentwurf, aber auch von der Vollzugsbehörde eingereicht werden. Danach würde eine Fachkommission abklären, ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Therapierbarkeit vorliegen oder ob bekannte Therapien aufgrund persönlicher Veränderungen des Täters erfolgreich sein könnten. Falls dem so ist und die Therapie zu einer erheblichen Reduktion der Gefährlichkeit des Täters führt, könnte ein Gericht die lebenslange Verwahrung in eine befristete umwandeln. Das Gericht könnte eine lebenslange Verwahrung zudem bedingt aufheben, wenn der Täter infolge seines hohen Alters oder einer schweren Krankheit keine Gefahr für die Öffentlichkeit mehr darstellt. Während sich der Bundesratsentwurf bei der Möglichkeit einer Überprüfung der Fortsetzung der Verwahrung von den Forderungen der Initiantinnen und ihrem Verfassungstext entfernen musste, um den Widerspruch zur EMRK möglichst klein zu halten, blieb er beim Verbot von Urlauben während der Strafverbüssung und der Verwahrung auf einer kompromisslosen Linie
[44]. Die Initiantinnen protestierten umgehend gegen den Entwurf des Bundesrates, da dieser nicht dem Initiativtext entspreche. Sie
drohten mit dem Referendum, falls das Parlament keine Verschärfungen beschliessen würde
[45].
Die mehreren Kantonen vom Bundesrat erlaubte versuchsweise Durchführung des
elektronisch überwachten Haftvollzugs ausserhalb von Vollzugsanstalten scheint sich zu bewähren. Es fehlte aber auch nicht an Kritik, welche diese Form des Strafvollzugs als zu milde bezeichnet. Der Versuch wurde um weitere drei Jahre (oder bis zur Inkraftsetzung des revidierten Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs) verlängert. Bis dann will die Regierung entscheiden, ob diese Art der Strafverbüssung mit einer Änderung des Strafgesetzbuchs definitiv und in allen Kantonen eingeführt werden soll
[46].
Der Ständerat befasste sich als erster mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Verschärfung des Kampfs gegen die
Korruption und stimmte den beantragten gesetzlichen Änderungen oppositionslos zu. Die neuen Regeln, welche insbesondere auch die
passive Bestechung im privaten Bereich (also die Annahme von Bestechungszahlungen durch einen Angestellten eines privaten Unternehmens) unter Strafe stellen, fanden auch im Nationalrat Unterstützung. Das Parlament hiess auch die Ratifizierung eines entsprechenden Europarats-Übereinkommens gut
[47]. Der Nationalrat überwies zudem eine Motion Gysin (sp, BS), welche gesetzliche Massnahmen zum Schutz von firmeninternen Informanten über Bestechungsfälle (so genannte
whistle-blowers) vor Entlassung und anderen Diskriminationen verlangt
[48].
Zu Jahresbeginn gab der Bundesrat den Vorentwurf für eine Verschärfung des
Geldwäschereigesetzes in die Vernehmlassung. Es geht bei der Revision vor allem darum, die von einer internationalen Arbeitsgruppe (FATF) erlassenen Empfehlungen umzusetzen. Vorgesehen ist insbesondere die Erweiterung des Geldwäschereibegriffs auf Geschäfte mit Erlösen von Produktpiraterie, Menschenschmuggel sowie aus Insidergeschäften an der Börse. Weitere Berufe ausserhalb des Finanzsektors (z.B. Kunst- und Edelmetalhändler) sollen zudem dem Geldwäschereigesetz und seinen Kontrollmechanismen (Identifikation der Kunden etc.) unterstellt werden. Die Reaktionen fielen bei den bürgerlichen Parteien und der Bankiervereinigung, die vor einer Überregulierung warnten, sehr negativ aus. Bundesrat Merz gab daraufhin bekannt, dass das Projekt einstweilen auf Eis gelegt und später gründlich überarbeitet werde
[49].
Nachdem in den letzten Jahren die strafrechtlichen Voraussetzungen zur
Bekämpfung von Gewalt in der Familie und in eheähnlichen Partnerschaften ausgebaut worden sind, beantragte die Rechtskommission des Nationalrats nun auch noch zivilrechtliche Massnahmen zum Schutz von unter Gewalt leidenden, bedrohten oder verfolgten Personen. Sie tat dies in Umsetzung einer 2001 von der grossen Kammer angenommenen parlamentarischen Initiative Vermot (sp, BE). Konkret geht es darum, dass ein Gericht einem Täter verbieten kann, eine gemeinsame Wohnung zu betreten, sich dieser oder dem Opfer zu nähern, oder sich an bestimmten Orten, an denen das Opfer verkehrt, aufzuhalten. Strafbar wird neu auch das so genannte Stalking (Verfolgen oder Belästigen eines Opfers durch physische Präsenz oder Telefonate). Damit die Opfer nicht auf die Durchführung eines Gerichtsverfahrens warten müssen, sollen die Kantone eine Stelle bezeichnen, welche eine Wohnungsausweisung sofort anordnen kann. In einigen Kantonen (u.a. St. Gallen) sind derartige Bestimmungen bereits eingeführt worden. Der Nationalrat stimmte den Anträgen zu; dagegen sprach sich in der Gesamtabstimmung nur eine Mehrheit der SVP-Fraktion aus. Die Forderung der Linken, ausländischen Opfern, deren Aufenthaltsstatus von demjenigen des Täters (z.B. des Ehepartners) abhängt, während der ganzen Verfahrensdauer eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen, fand hingegen keine Mehrheit
[50]. Der Nationalrat überwies den Teil eines Postulats Stump (sp, AG), der einen Bericht über die Ursachen von Gewalt gegen Frauen und Kindern in Familien verlangte; die Entwicklung und Umsetzung eines Aktionsplans zur Bekämpfung dieser Gewalttaten lehnte er hingegen mit finanziellen Argumenten ab
[51].
Im Sommer legte der Bundesrat seine Vorschläge für die Schaffung von zusätzlichen gesetzlichen Grundlagen für die Bekämpfung von
Gewalt bei und im Umfeld von Sportveranstaltungen vor. Diese sollen insbesondere auch der Verstärkung des Sicherheitsdispositivs zu einer problemlosen Durchführung der Fussball-Europameisterschaft in der Schweiz im Jahre 2008 dienen. Eingefügt werden sie in das Bundesgesetz von 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit. Neben einer Datenbank für notorisch gewaltbereite Besucher von Sportanlässen (so genannte
Hooligans) sind darin auch Massnahmen enthalten, welche die Behörden gegen derartige Personen ergreifen können, um sie von Sportanlässen fernzuhalten. Diese gehen von Rayonverboten über die Meldepflicht (z.B. am eigenen Wohnort zur Zeit eines auswärts stattfindenden Sportanlasses) bis zur präventiven Haft („vorsorglicher Gewahrsam“). Da auch Auseinandersetzungen zwischen politischen Gegnern der links- und rechtsextremen Szene immer häufiger gewaltsam ausgetragen werden, beantragt der Bundesrat zudem die Schaffung von rechtlichen Grundlagen für die Beschlagnahmung von Propagandamaterial, das zu physischer Gewalt aufruft
[52].
Der
Nationalrat behandelte das Geschäft in der Wintersession.
Die Linke bekämpfte die Vorlage mit einem von der GP und einer starken Minderheit der SP unterstützten Nichteintretens- und, als Alternative dazu, einem von GP und SP geschlossen unterstützten Rückweisungsantrag. Sie bemängelte wie bereits in der Vernehmlassung, dass die Vorlage überflüssig sei, weil Repressionsmittel wie Rayonverbote oder die Meldepflicht im Rahmen der kantonalen Polizeigesetze geschaffen werden können
[53], und dass grundsätzlich viel mehr Gewicht auf präventive Massnahmen wie Fanbetreuung gelegt werden müsste. Beide Anträge scheiterten deutlich. In der Detailberatung konnte sich die Linke auch nicht mit ihren Anliegen durchsetzen, dass Massnahmen wie die Aufnahme einer Person in eine Hooligan-Datenbank, Rayonverbote oder Polizeigewahrsam (während eines Spiels) nur gegen Personen verhängt werden dürfen, welche von einem Gericht zuvor rechtskräftig wegen Gewaltanwendung verurteilt worden sind. Die bürgerliche Ratsmehrheit hielt dem entgegen, dass längstens nicht alle Teilnehmer an Gewalttätigkeiten im Umfeld von Sportveranstaltungen angezeigt würden, und dass zudem von einer Tat bis zu einer rechtsgültigen Verurteilung unter Umständen Jahre vergehen können. In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalratrat das Gesetz mit 107 zu 50 Stimmen gut. Die GP hatte geschlossen, die SP bei neun Enthaltungen dagegen gestimmt
[54].
[41]
BBl, 2005, S. 6693 ff.
[42]
BBl, 2005, S. 4689 ff.;
SoZ, 6.3.05; Presse vom 30.6.05. Zugunsten einer nachträglichen Verwahrung siehe auch
TA, 31.8.05. Siehe
SPJ 2004, S. 24 f. sowie
Lit. Cimichella.
[43]
AB SR, 2005, S. 1142 ff
.;
TA, 15.12.05.
[44]
BBl, 2006, S. 889 ff.;
NZZ, 9.2.05 (Alternativvorschläge); Presse vom 24.11.05. Vgl.
SPJ 2004, S. 24. Zur Diskussion unter Strafrechtsexperten über die Möglichkeit einer menschenrechtskonformen Umsetzung der Initiative siehe auch
NZZ, 2.2. (Günter Stratenwerth) und 23.3.05 (Hans Mathys).
[45]
Blick,
SGT und
TA, 24.11.05.
[46]
BBl, 2005, S. 5795 f.;
Bund, 14.5.05;
SGT, 1.9.05;
BaZ, 29.10.05. Vgl.
SPJ 1999, S. 30.
[47]
AB SR, 2005, S. 146 f. und 878;
AB NR, 2005, S. 1464 ff. und 1529;
BBl, 2005, S. 5967 ff. Vgl.
SPJ 2004, S. 25. Zu einem vorwiegend positiven Bericht der OECD über die Korruptionsbekämpfung in der Schweiz siehe
NZZ, 2.2.05 sowie Ivo Kaufmann, „Länderexamen Korruption – die Schweiz im internationalen Vergleich“, in
Die Volkswirtschaft, 2005, Nr. 1/2, S. 67-70.
[48]
AB NR, 2005, S. 785 f. Vgl. dazu auch
Lit. Ledergerber.
[49]
TA, 13.1.05;
SGT, 16.4.05;
NZZ, 11.3., 12.4. und 8.6.05. Zum grundsätzlich positiven, aber auch einige Kritik enthaltenden Bericht der FATF über das schweizerische Dispositiv zur Bekämpfung der Geldwäscherei siehe
NZZ, 14.10. und 15.10.05 sowie „Die FATF-Empfehlungen zur Bekämpfung der Geldwäscherei und die schweizerische Gesetzgebung“, in
Die Volkswirtschaft, 2005, Nr. 11, S. 23-25.
[50]
BBl, 2005, S. 6871 ff. und 6897 ff. (BR);
AB NR, 2005, S. 1958 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 211. Zur Revision des Opferhilfegesetzes siehe unten, Teil I, 7b (Sozialhilfe).
[51]
AB NR, 2005, S. 1975.
[52]
BBl, 2005, S. 5613 ff.; Presse vom 18.8.05. Zur Vernehmlassung siehe
NZZ, 27.6.05. Vgl.
SPJ 2004, S. 25 f. Zum Verbot von bestimmten politischen Symbolen siehe oben, Menschenrechte.
[53] Auch der BR gestand ein, dass gemäss Verfassung eigentlich die Kantone dafür zuständig wären. Dies war ein wichtiger Grund für die von ihm beantragte Befristung der Beschlüsse bis Ende 2008, welche der NR auf Antrag seiner Kommission aufhob. Siehe dazu insbesondere das Votum von BR Blocher in
AB NR, 2005, S. 1936 ff.
[54]
AB NR, 2005, S. 1927 ff.;
TA, 16.12.05.
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