Année politique Suisse 2005 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires
 
Regierung
Auf Antrag seiner SPK beschloss der Nationalrat mit 84 zu 74 Stimmen, der parlamentarischen Initiative der SP-Fraktion für eine neue Verfassungsbestimmung, welche jedem Geschlecht mindestens drei Sitze im Bundesrat zusichert, keine Folge zu geben. Die SPK begründete ihren Ablehnungsantrag vor allem damit, dass eine solche Vorschrift die Auswahlmöglichkeiten zu stark einschränken würde. Dies sei umso mehr der Fall, als auf die bestehenden und von der Kommissionsmehrheit als wichtiger erachteten Verfassungsvorgaben über die sprachliche und regionale Ausgewogenheit nicht verzichtet werden soll [1].
Der überraschende Ausgang der Bundesratswahlen vom Dezember 2003 und die anschliessenden Debatten über das Kollegialitätssystem hatten die Diskussion um alternative Wahlverfahren belebt. Deutlich (121 zu 23 Stimmen) und ohne Diskussion lehnte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative Zisyadis (pda, VD) ab, welche die Aufhebung der geheimen Stimmabgabe bei der Bundesratswahl, d.h. eine Wahl unter Namensaufruf wie bei Sachgeschäften, verlangte [2]. Noch nicht behandelt worden ist eine parlamentarische Initiative Markwalder (fdp, BE), welche die Ersetzung der individuellen Wahl durch eine Listenwahl fordert, wobei die Listen durch die Wählenden nicht abgeändert werden dürfen [3]. Die Initiantin und ein vor allem in der Westschweiz verankertes „Centre pour la réforme des institutions suisses“, welches den Vorschlag im September der Öffentlichkeit vorstellte, erwarten von diesem System eine grössere Sicherheit, dass nicht sieben Einzelakteure, sondern ein zur Zusammenarbeit bereites Team in die Regierung gewählt wird. Die zur Wahl vorgeschlagenen Listen müssten von mindestens dreissig Abgeordneten unterstützt werden. Falls im ersten Wahlgang keine Liste das absolute Mehr erreicht, würden die beiden bestplatzierten Listen in einem zweiten Wahlgang gegen einander antreten, wobei die Listen vom ‚Unterstützungskomitee’ noch personell verändert werden könnten [4].
Nach 24jähriger Amtstätigkeit trat der Tessiner Achille Casanova (cvp) auf Ende Juli als Bundesvizekanzler zurück. Als Bundesratssprecher war er einer breiten Öffentlichkeit bekannt und von den Medienschaffenden ausgesprochen geschätzt worden [5]. Noch vor der Ernennung eines Nachfolgers stellte die zweite Bundesvizekanzlerin, Hanna Muralt (sp), ihren Posten nach vierzehn Amtsjahren zur Verfügung. Gemäss eigenen Aussagen tat sie dies auch, um den partei- und sprachpolitischen Spielraum für die Neubesetzungen zu erweitern. Zum Nachfolger Casanovas wählte der Bundesrat den Sozialdemokraten Oswald Sigg, zuletzt Stabschef im UVEK und vorher auch Sprecher des VBS. Hanna Muralt wurde durch die der CVP nahe stehende romanischsprachige Corina Casanova ersetzt, bisher stellvertretende Generalsekretärin im EDA [6]. Dass ein Deutschsprachiger ohne Italienischkenntnisse den Platz des perfekt dreisprachigen Achille Casanova einnahm, sorgte im Tessin, aber auch in der französischsprachigen Schweiz für Proteste gegen eine Verdrängung des ‚lateinischen’ Elements aus den Spitzenpositionen der Verwaltung. Dass gleichzeitig mit Corina Casanova eine Vertreterin der kleinen, ebenfalls ‚lateinischen’, romanischsprachigen Minderheit Vizebundeskanzlerin wurde, nahm insbesondere Bundesrat Couchepin, der sich in den Medien über den Wahlausgang empört hatte, erst mit Verspätung zur Kenntnis [7].
Es ist zwar nicht neu, kommt aber im Vergleich zu früher wesentlich häufiger vor, dass den Medien Informationen aus den Bundesratsberatungen und den dazugehörenden Positionspapieren zugespielt werden. Beobachter führten dies auf die mit dem Amtsantritt Christoph Blochers verschärfte Polarisierung innerhalb der Regierung zurück. Vermutet wurde, dass in die Amtsgeschäfte eingeweihte Mitarbeiter der Verwaltung Indiskretionen mit dem Ziel begehen würden, der Position ihres Departementschefs grösseres Gewicht zu verleihen oder diese der Öffentlichkeit überhaupt klar zu machen. Bundeskanzlerin Huber reichte zu Jahresbeginn bei der Bundesanwaltschaft mehrere Strafanzeigen gegen Unbekannt wegen Amtsgeheimnisverletzung ein [8]. Als desaströs und für die Swisscom geschäftsschädigend bezeichneten Parlamentarier und Medien die Informationspolitik der Landesregierung Ende November im Zusammenhang mit ihren Entscheiden über die Geschäftsstrategie der Swisscom. Obwohl der Bundesrat vorläufiges Stillschweigen über sein Verbot eines Auslandengagements der Swisscom beschlossen hatte (er wollte zuerst die Swisscom selbst informieren), geriet diese Nachricht vorzeitig an die Öffentlichkeit. Dies geschah, weil Bundesrat Blocher sie in einem zum voraus produzierten Radio-Interview verraten hatte. Ob Absicht hinter dieser Indiskretion steckte, lassen die Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte durch eine Subkommission abklären [9].
Mit einer parlamentarischen Initiative beantragte der Solothurner SVP-Nationalrat Wobmann, mit der Veröffentlichung der namentlichen Abstimmungsresultate im Bundesrat vollständige Transparenz über das Verhalten der Regierungsmitglieder zu schaffen. Auslöser für diesen Vorstoss war die Aussage von Bundesrat Deiss gewesen, dass der Bundesrat sich einstimmig zugunsten des Schengen/Dublin-Abkommens mit der EU ausgesprochen habe, dies aber gemäss Bundesrat Blocher nicht der Fall gewesen sei. Die SPK-NR beschloss, dem Plenum die Ablehnung dieser Initiative zu beantragen [10].
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Regierungspolitik
Der unbefriedigende Verlauf der parlamentarischen Diskussion der Legislaturplanung des Bundesrates im Sommer 2004 [11] veranlasste die SPK des Nationalrats, konkrete Änderungen für das zukünftige Vorgehen vorzuschlagen. Es sei nicht zu erwarteten, dass sich die in ihren Programmen doch sehr stark unterscheidenden, aber zusammen eine Regierung bildenden Parteien im Parlament auf ein gemeinsames Programm einigen könnten. Für die Lösung von politischen Problemen seien in der schweizerischen Konkordanzdemokratie von Thema zu Thema wechselnde Koalitionen und Mehrheiten erforderlich. Deshalb solle bei der Beschlussfassung über die Legislaturplanung und -ziele auf eine Gesamtabstimmung verzichtet werden. Da die Beteiligung des Parlaments an der Politikplanung aber nicht nur von der Verfassung verlangt, sondern auch von ihm selbst gewünscht werde, soll es weiterhin mit einem einfachen Bundesbeschluss dazu Stellung nehmen. Diese Stellungnahme dürfe sich jedoch nicht auf die allgemeine Zielsetzung zu beschränken, sondern müsse auch die Liste der Richtliniengeschäfte (konkret geplante Gesetzgebungsmassnahmen) umfassen. Durch eine bessere Strukturierung der Debatte und gewissen restriktiven Vorgaben (z.B. Einreichung von Fraktionsanträgen vor Beginn der Kommissionsberatungen) sei zudem die Diskussionszeit im Plenum zu verkürzen [12].
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Vernehmlassung
Die kleinen Differenzen, welche Ende 2004 bei den Parlamentsberatungen über das neue Bundesgesetz über das Vernehmlassungsverfahren verblieben waren, konnten in der Frühjahrssession rasch beigelegt werden, indem die grosse Kammer die Beschlüsse des Ständerats übernahm. Das Gesetz wurde in der Schlussabstimmung oppositionslos verabschiedet [13].
 
[1] AB NR, 2005, S. 1493 f. Vgl. SPJ 2004, S. 29.
[2] AB NR, 2005, S. 1485 f.
[3] Dies im Gegensatz zu der von NR Weyeneth (svp, BE) seit langem propagierten Idee einer Listenwahl mit Streichungsmöglichkeiten (vgl. Mo. 04.3608 sowie SPJ 2002, S. 38, v.a. FN 16).
[4] Pa. Iv. 05.444. Vgl. Presse vom 2.9.05.
[5] Presse vom 14.1.05.
[6] Presse vom 28.4.05. Zu Muralts Motiven siehe BaZ, 28.4.05. Zu Sigg siehe auch NZZ, 25.7.05; TA, 27.7.05, zu Corina Casanova NZZ, 23.5.05.
[7] LT, 29.4.05; Le Matin dimache, 1.5.05; 24h, BaZ und TG, 2.5.05; NZZ, 3.5.05. Siehe dazu auch TA, 11.5. und 14.5.05 sowie die Voten der Ständeräte Maissen (cvp, GR), Brändli (svp, GR) und Marty (fdp, TI) in AB SR, 2005, S. 591 f. Zur Vertretung der Sprachminderheiten in den Spitzenpositionen der Bundesverwaltung siehe unten (Verwaltung).
[8] BZ, 28.1.05; TA, 21.4.05
[9] BZ, 2.12.05; TA, 3.12.05; LT, 8.12.05 (GPK); Presse vom 16.12.05.
[10] Pa. Iv. 05.423; NZZ, 26.11.05. Zur Kampagne zu Schengen siehe unten, Teil I, 2 (Europe: UE).
[11] Siehe dazu SPJ 2004, S. 29 f.
[12] BBl, 2006, S. 1837 ff. (pa. Iv. 04.438 und 04.449) sowie 1857 ff.
[13] AB NR, 2005, S. 169 f. und 470; AB SR, 2005, S. 392; BBl, 2005, S. 2267 ff. Vgl. SPJ 2004, S. 30.