Année politique Suisse 2005 : Politique sociale / Assurances sociales
 
Berufliche Vorsorge
Das EDI zog in einem Bericht einen Vergleich der wirtschaftlichen Effizienz der Vorsorgesysteme. Aus diesem ging hervor, dass die interne Rendite des Kapitaldeckungssystems (2. Säule) in den kommenden Jahrzehnten mindestens gleich hoch sein dürfte wie jene des Umlagesystems (AHV). Aus der Analyse makroökonomischer Daten wurde zudem ersichtlich, dass sich das „Zwangssparen“ der 2. Säule nicht negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirkt [20].
Der Mindestzinssatz in der beruflichen Vorsorge muss gemäss Gesetz mindestens alle zwei Jahre überprüft werden. Da 2004 eine leichte Anpassung nach oben vorgenommen worden war, beschloss der Bundesrat Ende August, im Berichtsjahr keine weitere Veränderung vorzunehmen, womit der Satz auch 2006 bei 2,5% bleibt. Eine Anpassung nach unten, wie sie etwa der Schweizerische Versicherungsverband verlangte, erachtete der Bundesrat als nicht angezeigt, da sich die Finanzmärkte 2005 erfreulich entwickelt haben. Gegen eine Erhöhung des Mindestzinssatzes spreche die Tatsache, dass die Folgen der negativen Börsenjahre noch nicht ganz bewältigt sind; ausserdem müsse den Vorsorgeeinrichtungen die Möglichkeit gegeben werden, wieder Wertschwankungsreserven zu bilden [21].
Die Eidgenössische Kommission für die berufliche Vorsorge empfahl dem Bundesrat, den Umwandlungssatz im BVG-Obligatorium stärker zu senken als im Rahmen der 1. BVG-Revision bereits beschlossen, nämlich auf 6,0 bis 6,4%, und mit den entsprechenden Korrekturen schon 2010 einzusetzen und nicht bis 2015 zuzuwarten. Zudem solle der Umwandlungssatz alle fünf statt alle zehn Jahre überprüft werden, um ihn rascher den aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Der Bundesrat machte sich diese Auffassung zu eigen. Er möchte die erste Überprüfung bereits 2009 für die Jahre 2012 und folgende vornehmen. Diese gegenüber der BVG-Revision raschere und weiter gehende Senkung begründete er weniger mit der demographischen Alterung der Gesellschaft, die in der Revision berücksichtigt wurde, als vielmehr mit den deutlich gesunkenen Renditeerwartungen auf den Finanzmärkten [22].
Da in den letzten Jahren vor allem kleinere und mittlere Unternehmen darunter zu leiden hatten, dass ihnen wegen der schlechten Börsenlage ihre BVG-Verträge mit Sammelstiftungen gekündigt und als Ersatz Anschlussverträge zu schlechteren Konditionen angeboten wurden, die teilweise die laufenden Renten ausschlossen, reichte die SGK-NR eine parlamentarische Initiative ein, die im BVG klarere Regeln beim Wechsel der Vorsorgeeinrichtung stipuliert. Insbesondere soll ein Arbeitgeber einen Vertrag erst auflösen können, wenn die neue Vorsorgeeinrichtung schriftlich bestätigt, dass sie die laufenden Renten zusammen mit den aktiven Versicherten übernimmt. Gesetzlich ausgeschlossen soll sein, dass die Auffangeinrichtung laufende Renten wegen fehlender Anschlussverträge übernehmen muss. Neu eingeführt wird eine Kündigungsfrist von vier Monaten bei substantiellen Änderungen eines Anschlussvertrages. Da sowohl die Schwesterkommission des Ständerates als auch der Bundesrat der Änderung zustimmten, passierte diese im Nationalrat in der Wintersession einstimmig. Diskussionslos hatte die grosse Kammer in der Frühjahrssession bereits eine Motion des Ständerates überwiesen, die bessere Versicherungsmöglichkeiten für KMU verlangt [23].
Der Nationalrat überwies zudem diskussionslos ein Postulat seiner SGK, das den Bundesrat beauftragt, eine Abklärung betreffend mögliche Missbräuche bei der Mitnahme von Vertragsdeckungskapitalien in der beruflichen Vorsorge im Lichte von aussergewöhnlichen Zinsänderungen vorzunehmen. Dabei sollen Lösungswege aufgezeigt werden, welche einerseits die Mobilität von Pensionskassen nicht behindern, andererseits die Solvenz von Lebensversicherungen und die Ansprüche der zurückbleibenden Versicherten nicht beeinträchtigen [24].
Nationalrat Kaufmann (svp, ZH) hatte 2004 eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche eine neue Regelung der 1. BVG-Revision korrigieren wollte. Die kritisierte Bestimmung legt fest, dass die Versicherer den Risikoabschlag (Rückkaufkosten) bei Vertragsauflösung nur noch dann geltend machen dürfen, wenn der Vertrag weniger als fünf Jahre gedauert hat. Gemäss Kaufmann kann diese Regelung im Fall eines starken Zinsanstiegs zu grossen Solvenzproblemen bei den Versicherungsgesellschaften führen. Bei der Beratung dieser Initiative beschloss die SGK-NR einstimmig ein Kommissionspostulat, das vom Bundesrat einen Bericht verlangt, der die Problematik breit ausleuchtet und rechtliche Lösungen vorschlägt. Nachdem Kaufmann seine Initiative zurückgezogen hatte, wurde das Postulat stillschweigend überwiesen [25].
Entgegen einer knappen Mehrheit der vorberatenden Kommission gab der Nationalrat mit 91 zu 75 Stimmen einer parlamentarischen Initiative Beck (lp, VD) Folge, die eine Änderung des BVG in dem Sinn verlangt, dass es Vorsorgeeinrichtungen von öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht mehr erlaubt sein soll, vom Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener Kasse abzuweichen. Konkret bedeutet dies, dass die Pensionskassen der öffentlichen Verwaltungen und Betriebe ihre effektiven Bilanzen offen legen müssten und sich nicht mehr auf die Defizitgarantien der jeweiligen Körperschaft berufen könnten [26].
top
 
print
BVG-Revision
Im Juni verabschiedet der Bundesrat das dritte Massnahmenpaket der 1. BVG-Revision, welches auf den 1. Januar 2006 in Kraft treten wird. Es konzentriert sich im Wesentlichen auf steuerliche Aspekte, für deren Beuteilung ein breites Vernehmlassungsverfahren insbesondere bei den kantonalen Steuerbehörden durchgeführt wurde. Die beiden Schwerpunkte des 3. Pakets betreffen den Begriff der Vorsorge sowie die Frage des Mindestalters für den vorzeitigen Altersrücktritt [27].
 
[20] Lit. EDI. Siehe auch Brunner-Patthey, Olivier / Wirz, Robert, „Vergleich zwischen AHV und beruflicher Vorsorge (BV) aus wirtschaftlicher Sicht“, in CHSS, 2005, S. 84-87; Mosimann, Christoph, „Verteilungswirkung der beruflichen Vorsorge“, ibid., S. 88-90. Der Bericht des EDI ging auf Postulate Leutenegger (sp, BL) und Strahm (sp, BE) zurück.
[21] Presse vom 1.9. und 17.11.05. Eine Motion der SGK-NR für die Einführung einer versicherungsmathematisch berechneten Formel für die Festlegung des Mindestzinssatzes wurde auf Antrag des BR mit 95:83 Stimmen abgelehnt (AB NR, 2005, S. 1584 ff.). Siehe SPJ 2004, S. 190. Ein Bericht des BSV zur finanziellen Lage der Pensionskassen Ende 2004 zeigte, dass sich diese leicht verbessert hatte, der Anteil der Vorsorgeeinrichtungen in Unterdeckung allerdings immer noch 10,1% betrug (NZZ, 6.12.05).
[22] Presse vom 11.2. und 17.11.05; Streit, Anton / Maran, Jean-Marc, „Berufliche Vorsorge: Handlungsbedarf für eine weitere Senkung des Umwandlungssatzes im Obligatorium“, in CHSS, 2005, S. 91-94; Müller, Stefan, „Die Entwicklung des Finanzkapitals in der beruflichen Vorsorge“, ibid, S. 95-98.
[23] AB NR, 2005, S. 145 und 1582 ff. Siehe SPJ 2004, S. 190 (FN 21).
[24] AB NR, 2005, S. 1510.
[25] AB NR, 2005, S. 1510.
[26] AB NR, 2005, S. 21 ff. Siehe SPJ 2004, S. 190 (FN 22). Ebenfalls überwiesen wurde ein Postulat Kaufmann (svp, ZH), das den BR ersucht, eine Entlastung der Vorsorgeeinrichtungen von allen Grundstückgewinnsteuern und Handänderungsgebühren zu prüfen (AB NR, 2005, S. 348 f.) .
[27] Lit. Schnyder.