Année politique Suisse 2005 : Politique sociale / Groupes sociaux
Ausländerpolitik
Nach der Zusammenlegung des Bundesamts für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (IMES) und des Bundesamts für Flüchtlinge (BFF) zum Bundesamt für Migration (BFM) im vergangenen August beauftragte Bundesrat Blocher den Direktor des BFM, Eduard Gnesa, die
Fusion der Eidg. Ausländerkommission und der Eidg. Flüchtlingskommission zu prüfen
[1].
Im Jahr 2005 ist die Zahl der dauerhaft
in der Schweiz lebenden Ausländer (Asylsuchende, Kurzaufenthalter und internationale Funktionäre nicht mitgerechnet) um 1,1% auf total etwas mehr als 1,5 Millionen Personen angestiegen, was 20,3% der Gesamtbevölkerung entspricht (Vorjahr: 20,2%). Rund 40% der Zunahme betraf den Familiennachzug. Der Zuwachs ist zum grössten Teil auf die Zuwanderung aus EU-Ländern zurückzuführen und ist eine Folge der bilateralen Abkommen über den freien Personenverkehr mit der EU. Während die Zahl der EU-Staatsangehörigen um 2,1% zunahm, ging jene der Ausländer aus Ländern ausserhalb der auf 25 Staaten erweiterten EU sowie der EFTA um 0,2% zurück. Am stärksten gewachsen ist erneut die Zahl der Deutschen und der Portugiesen; die Bevölkerungszahl von Staatsangehörigen aus Italien, Serbien-Montenegro, Spanien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien war rückläufig, was dem Trend der letzten drei Jahre entspricht. Gestiegen ist die Zahl der Einbürgerungen (um 2796 auf 39 753)
[2].
Im Frühjahr befasste sich der
Ständerat als Zweitrat mit dem
neuen Ausländergesetz (AuG), welches das aus dem Jahr 1931 stammende ANAG ersetzen soll. Eintreten war unbestritten. In der Detailberatung wehrte sich die Linke erfolglos gegen die von Bundesrat, Nationalrat und Kommissionsmehrheit gewünschten Verschärfungen. Die kleine Kammer bekräftigte das Prinzip des dualen Zulassungssystems für ausländische Arbeitskräfte, nach dem Angehörige von EU- und EFTA-Staaten Vorrang haben sollen; Drittstaatenangehörigen wird die Einreise zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nur erlaubt, wenn sie qualifizierte Arbeitskräfte sind: Sie strich die vom Nationalrat beschlossene Ausnahme für die Zulassung unqualifizierter Arbeitskräfte aufgrund saisonaler oder branchenspezifischer Bedürfnisse und wollte Personen mit einem in der Schweiz abgeschlossenen Studium nur dann die Ausübung der Erwerbstätigkeit erleichtern, wenn eine Nachfrage der Wirtschaft besteht. Im Gegensatz zum Nationalrat hielt die kleine Kammer auf Antrag einer Minderheit Leuenberger (sp, SO) an der Möglichkeit fest, die Erteilung von Arbeitsbewilligungen mit der Schaffung von Ausbildungsplätzen zu verknüpfen, um Wettbewerbsverzerrungen zwischen Betrieben, die bereits ausgebildetes Personal hauptsächlich aus dem Ausland rekrutieren und Firmen, die im Inland Jugendliche ausbilden, zu begegnen. Um den Handlungsspielraum der Kantone aufrecht zu erhalten, lehnte es der Ständerat gegen den Willen von Bundesrat und Nationalrat ab, Ausländerinnen und Ausländern nach mindestens zehn Jahren Aufenthalt in der Schweiz einen Rechtsanspruch auf Niederlassung zuzugestehen; die Behörden können die Erteilung der Niederlassungsbewilligung zudem von der Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen abhängig machen. Verschärft wurden auch die Bedingungen für den Kindernachzug, welcher im Interesse einer frühen Einschulung möglichst rasch geschehen soll. So sollen die in die Schweiz eingewanderten Eltern ihre Kinder spätestens innerhalb von fünf Jahren nach der Einreise nachziehen. Der Nationalrat hatte beschlossen, dass dieser Nachzug für Kinder ab dem 14. Altersjahr noch rascher, das heisst innerhalb eines Jahres erfolgen muss; der Ständerat senkte diese Altersgrenze auf 12 Jahre. Mit 26:9 Stimmen strich der Ständerat schliesslich die von der grossen Kammer beschlossene Sans-Papiers-Regelung, nach der Bewilligungsgesuche von Personen, die sich seit mehr als vier Jahren illegal in der Schweiz aufhalten, vertieft geprüft werden sollen. Der Rat stimmte auch einem Antrag Forster (fdp, SG) zu, der die Einführung eines neuen Straftatbestands der Zwangsheirat vorsieht, welcher mit Gefängnis zwischen sechs Monaten und fünf Jahren bestraft wird. Das neue Ausländergesetz passierte die Gesamtabstimmung mit 31:8 Stimmen bei 2 Enthaltungen
[3].
In zweiter Lesung schloss sich der Nationalrat in den meisten Punkten dem Ständerat an. Er wollte jedoch die Erteilung von Arbeitsbewilligungen nicht mit der Schaffung von Ausbildungsplätzen verknüpfen. Und um Scheinehen zu bekämpfen, sollen ausländische Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern nur noch Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung haben, wenn sie mit diesen zusammen wohnen. Zudem müssen sie ihre Kinder, damit diese automatisch in den Besitz einer Niederlassungsbewilligung gelangen, bereits im Alter von höchstens 12 statt 14 Jahren nachziehen. Bezüglich Zwangsheiraten folgte die grosse Kammer nicht dem Entwurf des Ständerates, sondern überwies ein Postulat ihrer SPK, welches die Überprüfung von entsprechenden straf- und zivilrechtlichen Sanktionen verlangt. Bei den Artikeln betreffend die Teilrevision des Asylgesetzes (Nothilfe und Zwangsmassnahmen) scheiterte die Linke mit ihren Anträgen, nochmals eine Differenz zu schaffen
[4]. Im restlichen
Differenzbereinigungsverfahren billigte der Ständerat meist diskussionslos die Fassung der grossen Kammer. Das neue Ausländergesetz passierte die Schlussabstimmung im Nationalrat mit 106:66 Stimmen bei 10 Enthaltungen und im Ständerat mit 33:8 Stimmen bei 4 Enthaltungen
[5].
SP und Grüne lehnten es aufgrund der ihrer Ansicht nach realitätsfremden Bestimmungen über den Familiennachzug, der hohen Hürden für nicht EU- resp. EFTA-Bürgerinnen und -Bürger, der Besserstellung von EU-Angehörigen gegenüber binationalen Schweizer Paaren und der fehlenden Regelung für Papierlose ab und kündigten an, es zusammen mit Solidarité sans frontières und dem Forum für die Integration der Migrantinnen und Migranten mit dem
Referendum zu bekämpfen
[6].
Der Nationalrat lehnte eine Motion Laubacher (svp, LU) ab, welche eine Kürzung der Aufwendungen für die
Ausländerintegration verlangt hatte. Bundesrat Blocher wies darauf hin, dass wegen der beiden Entlastungsprogramme die Mittel für die Förderung der Integration nicht im ursprünglich vorgesehenen Masse aufgestockt werden konnten. Er kündigte jedoch konkrete Projekte an, um die in grossem Mass von der Sozialhilfe abhängigen anerkannten Flüchtlinge besser in die Arbeitswelt zu integrieren
[7].
Auf 1. Februar 2006 setzte der Bundesrat eine
Verordnungsrevision in Kraft, gemäss der Ausländerinnen und Ausländer zu ihrer Integration beizutragen haben, indem sie die rechtsstaatliche Ordnung und die demokratischen Prinzipien respektieren, eine Landessprache erlernen und den Willen zur Teilnahme am Wirtschaftsleben und zur Bildung bekunden. Die Neuregelung erlaubt es den Behörden, für die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung den Besuch von Sprach- und Integrationskursen zu verlangen (für religiöse Betreuungspersonen oder Lehrkräfte für heimatlichen Sprach- und Kulturunterricht bereits vor deren Einreise in die Schweiz). Im Gegenzug können erfolgreich integrierte Jahresaufenthalter bereits nach fünf Jahren in den Besitz einer Niederlassungsbewilligung gelangen
[8].
Diskussionslos lehnte der Nationalrat ein Postulat Pfister (cvp, ZG) ab, das einen Bericht über sich illegal in der Schweiz aufhaltende Ausländer verlangt hatte. In seiner Antwort erklärte der Bundesrat, eine im Frühjahr im Auftrag des Bundesamts für Migration veröffentlichte Studie schätze die Zahl der
Sans-Papiers auf 80-100 000 – weniger als erwartet. Wo sich diese Personen aufhielten, sei abhängig vom Urbanisierungsgrad einer Region, der Dichte der ausländischen Bevölkerung und der Wirtschaftskonjunktur. Die Papierlosen kämen aus unterschiedlichen Herkunftsstaaten (insbesondere Lateinamerika, Ost- und Südosteuropa), seien mehrheitlich zwischen 20 und 40 Jahre alt, lebten meistens ohne Familie in „anonymen“ städtischen Gebieten und arbeiteten in Haushaltungen, dem Gast-, Bau- und dem Reinigungsgewerbe, aber auch in der Landwirtschaft zu tiefen Löhnen (1000-2000 Fr. monatlich) und mit langen Arbeitszeiten. Sans-Papiers würden kaum kriminell, um ihren ohnehin prekären Aufenthalt nicht zusätzlich zu gefährden
[9].
Der Nationalrat lehnte eine Motion Freysinger (svp, VS) ab, welche die Abschaffung
der
Visumspflicht für Taiwan-Chinesen verlangt hatte, überwies aber gegen den Willen des Bundesrates eine Motion Darbellay (cvp, VS) zur erleichterten Einreise für chinesische Touristen mit einem Schengen-Visum. Im Ständerat obsiegten Sicherheitsüberlegungen gegenüber den Interessen des Tourismusgewerbes: Schengen-Visa würden oft gefälscht, ganze Reisegruppen tauchten in der EU unter, die Schweiz habe mit China keine Rückübernahmeabkommen geschlossen und solange sie dem Schengen-Raum nicht angehöre, seien EU-Einreisesperren für die Schweizer Behörden gar nicht erkennbar
[10].
[1]
QJ, 29.4.05; vgl.
SPJ 2004, S. 202.
[2]
NZZ, 2.3.05. Zur Einbürgerungspolitik siehe oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht und Stimmrecht).
[3]
AB SR, 2005, S. 285 ff., 288 ff. und 310 ff.; Presse vom 17.3.05; vgl.
SPJ 2004, S. 204 f. Zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheiraten siehe auch die Antwort des BR auf eine Anfrage Banga (sp, SO) in
AB NR, 2005, Beilagen I, S. 183 f.
[4] Siehe dazu unten (Flüchtlingspolitik).
[5]
AB NR, 2005, S. 1214 ff., 1218 ff., 1255 (Po.), 1769 und 1995 ff.;
AB SR, 2005, S. 975 ff., 1096 und 1218;
BBl, 2005, S. 7365 ff.; Presse vom 29.9.05.
[7]
AB NR, 2005, S. 771 ff.
[9]
AB NR, 2005, S. 952 und Beilagen II, S. 503 f.; Presse vom 27.4.05; zu den Rechten von Papierlosen siehe
NZZ, 12.7.05. Der Genfer Staatsrat bemühte sich vergeblich um die Legalisierung des Status der im Kanton wohnhaften Sans-Papiers, bei denen es sich v.a. um Hausangestellte handelt (Presse vom 20.1. und 7.4.05); zur Situation in der Waadt vgl.
SPJ 2004, S. 208 f.
[10]
AB NR, 2005, S. 774 f. und 775 f.;
AB SR, 2005, S. 836 ff.;
LT und
NF, 6.10.05; siehe auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Brändli (svp, GR) in
AB SR, 2005, Beilagen III, S. 79 f.
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