Année politique Suisse 2005 : Politique sociale / Groupes sociaux / Familienpolitik
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Kinderzulagen
Im Vorfeld der Beratung ihrer Volksinitiative „Für fairere Kinderzulagen“ im Parlament erklärte die Gewerkschaft Travail.suisse, die von ihr geforderte monatliche Zulage von 450 Fr. pro Kind sei finanzierbar, wenn eine moderate Erbschaftssteuer eingeführt würde. Erbschaften sollten – bei einem Freibetrag von 500 000 Fr. – mit einem Steuersatz von 25% besteuert werden. Bei der derzeitigen Vererbungssumme von jährlich rund 25 Mia Fr. brächte dies Einnahmen von 2,75 Mia Fr., also etwa soviel, wie der Ausbau der Kinderzulagen kostete [39].
Im Frühjahr nahm der Nationalrat die Beratungen zur Volksinitiative der Gewerkschaft Travail.suisse „Für fairere Kinderzulagen“ und den als indirekten Gegenentwurf konzipierten Gesetzesentwurf seiner SGK in Angriff. Das Volksbegehren verlangt eine Zulage von mindestens 450 Fr. monatlich pro Kind, der auf einer bereits 1991 eingereichten parlamentarischen Initiative der ehemaligen Nationalrätin Fankhauser (sp, BL) basierende Gegenentwurf sieht einen schweizweiten Mindestsatz von 200 Fr. für Kinder bis 16 Jahre und 250 Fr. für Jugendliche in Ausbildung bis 25 Jahre vor. Die SGK beantragte die Ablehnung der Volksinitiative und Zustimmung zum Gegenvorschlag. Nach ausführlichem Meinungsaustausch wies der Nationalrat einen Nichteintretensantrag der SVP mit 99:80 Stimmen ab. In der Detailberatung, in der die Entscheide in einem ähnlich knappen Stimmenverhältnis ausfielen, beschloss er, gemäss dem Vorschlag der SVP Zahlungen an Kinder im Ausland nach der Kaufkraft im betreffenden Staat zu bemessen. Bei der Höhe der Zulagen (200 Fr. resp. 250 Fr. für Kinder in Ausbildung) setzte sich die Kommissionsmehrheit gegen verschiedene Minderheitsanträge durch, die Minimalsätze von 150 Fr. (tiefste gegenwärtig in einem Kanton ausgerichtete Zulage) bis 450 Fr. (Initiative) vorsahen; der Bundesrat hatte die Festlegung des Ansatzes den Kantonen überlassen wollen. Bezüglich der Finanzierung entschied der Rat, die Kantone sollten bestimmen, ob sie nur die Arbeitgeber oder auch die Arbeitnehmer belasten wollten resp. in welchem Ausmass. Falls der Finanzbedarf 1,5% der massgebenden Einkommen übersteige, soll der darüber liegende Bedarf gemäss einem Einzelantrag Lustenberger (cvp, LU) jedoch durch paritätische Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sichergestellt werden. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 100:79 Stimmen bei 8 Enthaltungen an; FDP und SVP lehnten sie grossmehrheitlich ab. Pierre Triponez (fpd, BE) kündigte namens des Gewerbeverbandes an, das Referendum zu ergreifen, falls der Ständerat keine Abstriche an der Vorlage vornehme. Sukkurs erhielt er vom Vizedirektor des Arbeitgeberverbandes [40].
Nachdem der Ständerat mit 22:21 Stimmen auf die Vorlage eingetreten war, entschlackte und vereinfachte er sie auf Wunsch der Kantone und Berufsverbände. Mit demselben knappen Stimmenverhältnis folgte er einem FDP-SVP-Minderheitsantrag und verzichtete entgegen dem Nationalrat darauf, eine Mindesthöhe für die Kinderzulagen festzulegen; die Kantone und nicht wie vom Nationalrat vorgesehen der Bundesrat sollten auch die Anpassung der Ansätze an die Teuerung vornehmen. Indem die kleine Kammer die Selbständigerwerbenden vom Anspruch auf Kinderzulagen ausschloss, brach sie mit dem Grundsatz „ein Kind – eine Zulage“; mit Stichentscheid des Präsidenten bestätigte sie jedoch den Anspruch von Nichterwerbstätigen bis zu einer Einkommensobergrenze von 30 000 Fr.; eine Minderheit hatte die Regelung dieser Frage ebenfalls den Kantonen überlassen wollen. Entgegen dem Bundesrat beschloss der Ständerat zudem, dass für die Höhe der Zulage der Ort des Geschäftssitzes des Unternehmens massgeblich sei und nicht wie gemäss nationalrätlicher Version der Niederlassungsort der Filiale. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage mit 21:21 Stimmen mit Stichentscheid des Präsidenten gutgeheissen [41].
In zweiter Lesung hielt der Nationalrat mit 97:86 Stimmen an seinem früheren Beschluss für einen materiell harmonisierten Mindestbetrag von 200 Fr. für Kinder und von 250 Fr. für Jugendliche in Ausbildung fest; er wollte auch Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen Kinderzulagen zukommen lassen; stimmte aber der Festlegung einer Einkommensobergrenze durch die Kantone zu [42].
Der Verein „Familie 3plus“ reichte seine in der Unterschriftensammlung gescheiterte Volksinitiative als Petition ein. Das Begehren wollte kinderreiche Familien steuerlich entlasten und verlangte konkret Steuerabzüge von 13 000 Fr. pro Kind und 15 000 Fr. für Familienarbeit [43].
 
[39] NLZ und SGT, 22.1.05; Lib., 25.1.05.
[40] AB NR, 2005, S. 264 ff., 288 ff., 321 ff. und 329 ff.; AZ, 7.3.05 (Streitgespräch zwischen Nationalrätin Jacqueline Fehr (sp, ZH) und Arbeitgeberdirektor Peter Hasler); SGT, 9.3.05; LT, 10.3.05; Presse vom 11.3. und 16.3.05; vgl. SPJ 2004, S. 213. Der Rat stimmte einer Fristverlängerung zur Behandlung der Volksinitiative zu, damit ihr die Gesetzesvorlage als Gegenvorschlag gegenübergestellt werden kann. Knapp abgelehnt wurden sowohl die Standesinitiative des Kantons SO für eine einheitliche Kinderzulage als auch das im vorangegangenen Jahr bereits vom SR verworfene Begehren von LU, das mittels gesamtschweizerisch einheitlichen Familienzulagen und ergänzenden Leistungen für bedürftige Familien und Kinder im Sinne des Modells der Eidg. Kommission für Familienfragen (EKFF) Familien, Alleinerziehende und Kinder unterstützen wollte (AB NR, 2005, S. 338 f., 339 f. und 350 f.); vgl. SPJ 2004, S. 213.
[41] AB SR, 2005, S. 596 f., 597 f. (Fristverlängerung zur Behandlung der Volksinitiative) und 707 ff.; Presse vom 22.9.05.
[42] AB NR, 2005, S. 1566 ff.; Presse vom 12.11. (Kommission) und 30.11.05. In der Sommersession hatte der NR die Behandlung der parlamentarischen Initiativen Fehr, Jacqueline (sp, ZH) und Meier-Schatz (cvp, SG) für Ergänzungsleistungen für Familien gemäss dem Tessiner Modell verlängert (AB NR, 2005, S. 946; vgl. SPJ 2004, S. 213 f.).
[43] BBl, 2005, S. 2628; LT und NZZ, 21.6.05; vgl. SPJ 2003, S. 132. Betreffend Betreuungsgutschriften siehe auch die Antwort des BR auf eine Anfrage Fehr, Jacqueline (sp, ZH) in AB NR, 2005, Beilagen I, S. 155 f.