Année politique Suisse 2005 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
Forschung
Der 42-jährige
Daniel Höchli wurde zum
neuen Direktor des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gewählt. Er löste Anfang August Interimsdirektorin Annalise Eggimann ab, die seit dem Rücktritt von Hans Peter Hertig 2004 die Geschäfte geführt hatte. Höchli studierte in St. Gallen Staatswissenschaften; ab 1996 arbeitete er in der Bundesverwaltung
[48]. Im Zusammenhang mit dem Entlastungsprogramm 2004 billigte das Parlament auch eine Motion der Spezialkommission des Nationalrats, welche es dem SNF wieder ermöglichen will, einen jährlichen Reservebetrag von 50 Mio Fr. für langjährige Projekte mit starker ausländischer Forscherbeteiligung vorzusehen; die Massnahmen des EP 04 hatten eine Änderung der bisherigen Verbuchungspraxis verlangt, die es dem SNF nicht mehr erlaubten, Rückstellungen in dieser Grössenordnung zu tätigen
[49].
Der
SNF und die
Kommission für Technologie und Innovation (KTI) bilden die beiden Forschungsförderorganisationen des Bundes. Der SNF fördert Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung und geniesst als Stiftung hohe Autonomie. Die KTI ist auf die anwendungsorientierte Forschung und den Technologietransfer zwischen Hochschulen und Wirtschaft spezialisiert, ist aber als Leistungsbereich in die Verwaltung eingegliedert. Das Parlament überwies nun eine Motion Noser (fdp, ZH), welche der KTI mehr Autonomie und Flexibilität zur Erfüllung ihrer Aufgaben gewähren und einen dem SNF vergleichbaren Status verschaffen will. Neu soll die KTI als Agentur für Innovationsförderung positioniert werden
[50].
Um die Zusammenarbeit der Wirtschaft mit den Hochschulen weiter zu stärken, schloss der Bund mit vier Konsortien von Hochschulen und Unternehmen Leistungsvereinbarungen ab, die er bis Ende 2007 mit insgesamt 10 Mio Fr. unterstützen will. Die aus einer Ausschreibung hervorgegangenen
Konsortien für den Wissens- und Technologietransfer sollen Innovationsprozesse fördern. Das erste Konsortium ist in der Region Zürich sowie in Bern und Freiburg tätig, das zweite deckt die Nordwest- und die Zentralschweiz ab, das dritte die Westschweiz und das Tessin; das vierte Konsortium befasst sich in der ganzen Schweiz mit Umwelt- und Energiefragen
[51].
In der Wintersession stimmte der Ständerat diskussionslos einem Postulat Fetz (sp, BS) zu, welches eine Gesamtschau der notwendigen Bildungs-, Forschungs- und Innovationsmittel für 2007-2011 forderte unter Berücksichtigung der steigenden Studierendenzahlen, der gesetzlichen Vorgaben in Berufsbildung, im Fachhochschulbereich, bei der Forschungsförderung, den kantonalen und eidgenössischen Universitäten sowie bei der Innovationsförderung. Abgelehnt wurde eine Motion Heberlein (fdp, ZH), welche die Regierung beauftragen wollte, in der kommenden Legislaturplanung die Aufgabenstellung „Wohlstand durch Innovation“ zu priorisieren und eine
Innovationsstrategie mit verbindlichen Zielsetzungen vorzulegen. Als strategisches Steuerungsorgan wollte Heberlein einen Innovationsrat bestehend aus Mitgliedern des Bundesrates, Vertretern von Wirtschaft und Persönlichkeiten aus der Wissenschaft einsetzen. Der Bundesrat erklärte, er beabsichtige, im Rahmen der laufenden Reformarbeiten zur Hochschullandschaft die Institutionen im Bereich Bildung, Forschung und Innovation zu vereinfachen. Der Vorschlag für einen Innovationsrat sei in diesem Kontext zu behandeln und die Schaffung eines Präjudizes deshalb zu vermeiden
[52].
Im Berichtsjahr feierte die Eidg. Material- und Prüfungsanstalt (
EMPA) ihr 125-Jahr-Jubiläum. Im Sommer beschloss der ETH-Rat, dass die ETH Lausanne künftig als Schaltstelle für Materialwissenschaften fungieren und für die Verteilung von Forschungsgeldern zuständig sein soll. Ein Steuerungskomitee, dem Vertreter aller beteiligten Institute und Hochschulen angehören, soll die Entscheide über die Verteilung der finanziellen Mittel fällen. Auf eine Verlegung der EMPA-Standorte Dübendorf (ZH) und St. Gallen nach Lausanne wurde verzichtet; diesbezügliche Gerüchte hatten bei den rund 500-700 Mitarbeitenden der betroffenen Standorte grosse Unsicherheit ausgelöst
[53].
Diskussionslos überwies das Parlament eine Motion Hubmann (sp, ZH), welche verlangt, dass sämtliche
klinische Studien in einem öffentlich zugänglichen Register erfasst werden. Die Registrierung soll zur Bedingung für eine Publikation gemacht werden
[54].
Seit mehr als dreissig Jahren betreibt die Stiftung Schweizerisches Forschungsinstitut für Hochgebirgsklima und Medizin das Weltstrahlungszentrum am Physikalisch-Meteorologischen Observatorium in Davos (GR). Der Bund finanziert die Stiftung im Rahmen von mehrjährigen Programmen. Bei der Erneuerung eines solchen mehrjährigen Finanzierungsprogramms stellte der Bundesrat fest, dass dazu die gesetzliche Grundlage fehlt. Ähnlich verhält es sich mit dem globalen Atmosphärenbeobachtungsprogramm, welches der Bund seit 1994 über das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie finanziert. Diskussionslos stimmte der Ständerat einer Vorlage des Bundesrates für ein
Bundesgesetz über die Meteorologie und Klimatologie zu, das die erforderliche gesetzliche Grundlage für die Weiterführung der bisherigen finanziellen Leistungen schafft
[55].
Im Frühling bewilligte das EDI
sechs weitere Nationale Forschungsschwerpunkte, die der Bund vorerst bis 2009 jährlich mit 10 Mio Fr. finanzieren will. Die langfristigen Programme gingen aus einem für die Sozial- und Geisteswissenschaften reservierten mehrstufigen Auswahlverfahren hervor und werden in interdisziplinären Netzen durchgeführt: 1. Herausforderung für die Demokratie im 21. Jahrhundert (Leitung: Hanspeter Kriesi, ZH; Kredit: 7,1, Mio); 2. Medienwandel, Medienwechsel, Medienwissen – Historische Perspektiven (Christian Kiening, ZH; 5,7 Mio); 3. Schweizerische ätiologische Studie zur psychischen Gesundheit (Jürgen Margraf, BS; 10,2 Mio); 4. Iconic Criticism – Bildkritik. Macht und Bedeutung der Bilder (Gottfried Boehm, BS; 7,1 Mio); 5. Rahmenbedingungen des internationalen Handels: Von einem fragmentierten zu einem kohärenten Regelwerk (Thomas Cottier, BE; 10,4 Mio); 6. Affektive Wissenschaften: Emotionen im individuellen Verhalten und in sozialen Prozessen (Klaus Scherer, GE; 10 Mio). – Das dritte, unter dem Kürzel „Sesam“ laufende Programm, das die Grundlagen seelischer Gesundheit untersucht, umfasst eine Begleitung von 3000 Kindern und ihrer Familien bis ins Erwachsenenalter; vorgesehen sind auch genetische Analysen. An der Anlage der Studie wurde Kritik laut, weil die betroffenen Kinder nicht selber entscheiden können, ob sie sich als Versuchspersonen zur Verfügung stellen wollen oder nicht. Ständerätin Simonetta Sommaruga (sp, BE) hielt es für problematisch, ein Projekt wie Sesam zu starten, ohne dass eine gesetzliche Grundlage für die Forschung am Menschen bestehe
[56].
Im Dezember lancierte der Bundesrat
zwei neue Nationale Forschungsprogramme (NFP): Das mit 10 Mio Fr. dotierte NFP 58 widmet sich den Wechselwirkungen zwischen Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft und soll Lösungsansätze bieten zur Klärung der Frage, ob und wie der Staat auf die durch die Migration neu entstandene multireligiöse und multikulturelle Situation reagieren soll. Das mit 12 Mio Fr. dotierte NFP 59 „Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen“ soll das Anwendungspotential der pflanzlichen Biotechnologie in der Schweiz prüfen
[57].
Anfang Jahr diskutierte Staatssekretär Kleiber mit Mitgliedern der EU-Kommission die künftige Zusammenarbeit innerhalb des entstehenden europäischen Bildungs- und Forschungsraums. Zur Sprache kam die Assoziierung der Schweiz an das
7. Rahmenforschungsprogramm der EU für die Jahre 2007-2013 sowie die volle Teilnahme der Schweiz an den EU-Bildungsprogrammen ab 2007. Offen ist die Höhe des von der Schweiz zu leistenden finanziellen Beitrags. Die EU-Kommission möchte das Forschungsbudget im EU-Haushalt verdoppeln, was zur Folge hätte, dass sich auch der Schweizer Beitrag von jährlich 220 Mio auf 440 Mio Fr. erhöhte. Mit dem neuen Rahmenprogramm richtete die Kommission auch einen unabhängigen Europäischen Forschungsrat (ERC) ein. Dieser übernimmt in der europäischen Forschung eine vergleichbare Rolle wie in der Schweiz der Nationalfonds. Im Juli wurde der Schweizer Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel in den 22-köpfigen ECR gewählt
[58]. In seiner Antwort auf eine Interpellation Randegger (fdp, BS) hielt der Bundesrat fest, dass eine finanzpolitische Beurteilung der Konsequenzen der Beteiligung der Schweiz am 7. Forschungsrahmenprogramm erst nach Vorliegen der Budgetentscheide der EU möglich sei. Er betonte aber, dass die EU-Rahmenprogramme die nationale Forschungsförderung und damit namentlich den SNF und die KTI grundsätzlich nicht ersetzen könnten, da die Schweiz neben der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auch spezifische Anliegen an die Forschung habe
[59].
Zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln und insbesondere zum Gentech-Moratorium in der Landwirtschaft siehe oben, Teil I, 4c (Produits alimentaires).
Im Frühjahr überwies der Nationalrat diskussionslos ein Postulat der FDP-Fraktion bezüglich
Entwicklungsperspektiven im Biotechnologiebereich. Der verlangte Bericht soll einerseits aufzeigen, welche Verbote und Unschärfen in der Gesetzgebung die Forschung behindern, andererseits jene Bereiche (Nanotechnologie, genetische Untersuchungen, Transplantationsmedizin, Pflanzenforschung etc.) auflisten, in denen Reformen vorangetrieben werden könnten, wobei das Prinzip „Kontrollen statt Verbote“ gelten soll
[60].
Im Mai unterbreitete der Bundesrat dem Parlament zwei
Abkommen zum europäischen Patentsystem und die damit erforderlichen Änderungen des Patentgesetzes. Die Neuerungen betrafen weitgehend technische Aspekte und Verfahrensfragen. Materiell wurde der Schutz weiterer medizinischer Indikationen verankert und dabei die Rechtsprechung des Europäischen Patentamts kodifiziert. Neu kann der Patentinhaber sein Patent in einem einzigen Verfahren mit Wirkung für sämtliche Schutzstaaten ganz oder teilweise beschränken oder widerrufen. Gemäss Revision des Sprachenübereinkommens ist es nicht mehr nötig, ein englischsprachiges Patent in eine schweizerische Amtssprache zu übersetzen, damit es in der Schweiz Wirkung entfaltet. Die Räte genehmigten die Abkommen in der Wintersession: das Patentübereinkommen mit 44 Stimmen bei einer Enthaltung (Ständerat) resp. 131:17 Stimmen bei 35 Enthaltungen (Nationalrat), das Sprachenübereinkommen mit 45:0 Stimmen (SR) resp. 167:16 Stimmen (NR). Die Grünen lehnten die Vorlage ab, während die Mehrheit der SP sich der Stimme enthielt; beide Parteien hatten Vorbehalte gegenüber der Ausweitung medizinischer Indikationen geäussert
[61].
Ende November präsentierte der Bundesrat seine
Botschaft zur Revision des Patentrechts. Diese soll in Anlehnung an die entsprechende EU-Richtlinie einen ausgewogenen Schutz für biotechnologische Erfindungen sicherstellen. Die Vorlage entspricht im wesentlichen dem in Konsultation gegebenen Vorentwurf. Aufgrund der gegensätzlichen Reaktionen in der Vernehmlassung nahm die Regierung jedoch eine Präzisierung beim Patentschutz für Gensequenzen vor: Dieser erstreckt sich neu nur auf jene Sequenzabschnitte (Nukleotide), welche für die in der Anmeldung konkret beschriebenen Eigenschaften und Verwendungszwecke (Funktionen) wesentlich sind. Zudem sieht der Gesetzesentwurf vor, patentiertes biologisches Material, das im Bereich der Landwirtschaft zufällig oder technisch nicht vermeidbar vermehrt wurde, von den Wirkungen des Patents auszunehmen, um Landwirte vor einer übermässigen Inanspruchnahme zu schützen. Zu den weiteren Reformen gehören Massnahmen zur Bekämpfung der Piraterie an Geistigem Eigentum sowie eine Regelung zur Vermeidung von Konflikten bei Parallelimporten von sowohl marken- oder urheberrechtlich als auch patentrechtlich geschützten Produkten. Erlaubt werden zudem Zwangslizenzen für den Export patentgeschützter pharmazeutischer Produkte in Entwicklungsländer, deren Bevölkerung unter schweren Gesundheitsproblemen leidet, und die selbst über keine ausreichenden Produktionskapazitäten verfügen
[62].
[48]
NZZ, 12.2.05;
QJ, 14.2.05.
[49]
AB NR, 2005, S. 602 und Beilagen II, S. 618;
AB SR, 2005, S. 1038; zum Entlastungsprogramm siehe oben, Teil I, 5 (Sanierungsmassnahmen).
[50]
AB NR, 2005, S. 451 und Beilagen I, S. 395 f.;
AB SR, 2005, S. 771 f.
[52]
AB SR, 2005, S. 1039 f. und 1053 ff. sowie Beilagen IV, S. 110 (Po.).
[53]
NZZ, 12.2., 22.-23.2. (Verlegung) und 24.-25.6.05 (Jubiläum); Presse vom 1.7.05 (Beschluss ETH-Rat).
[54]
AB NR, 2005, S. 949 und Beilagen II, S. 538;
AB SR, 2005, S. 1097 und Beilagen IV, S. 65 f.; siehe auch oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik).
[55]
BBl, 2005, S. 5413 ff.;
AB SR, 2005, S. 1132 f.
[56] Presse vom 23.3.05; vgl.
SPJ 2003, S. 274 (andere NSP); zur Kritik an Sesam siehe
BZ, 4.8., 17.8. und 10.10.05 sowie die Interpellation Graf (gp, BL) in
AB NR, 2005, Beilagen IV, S. 444 ff. Zur Forschung am Menschen siehe auch oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik).
[58]
NZZ und
QJ, 19.1.05; Presse vom 19.7.05.
[59]
AB NR, 2005, Beilagen I, S. 392 ff.
[60]
AB NR, 2005, S. 453 und Beilagen I, S. 335 ff.
[61]
BBl, 2005, S. 3773 ff.;
AB SR, 2005, S. 833 ff. und 1223;
AB NR, 2005, S. 1918 ff. und 2002;
BBl, 2005, S. 7489 ff. und 7495 f.
[62]
BBl, 2006, S. 1 ff. und 841; Presse vom 24.11.05; siehe auch unten, Teil I, 4a (Strukturpolitik).
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