Année politique Suisse 2006 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
 
Staatsschutz
Der Bundesrat beantragte dem Parlament im Mai ein neues Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes. Mit diesem Gesetz will er die rechtlichen Grundlagen für die bestehenden Datenbanken wie z.B. RIPOL oder IPAS vereinheitlichen und aktualisieren. Zudem würden damit die Voraussetzungen für die Aufnahme des zusätzlichen Informationsflusses infolge der Integration der Schweiz in den Schengener Raum und in Europol geschaffen. Schliesslich möchte der Bundesrat mit dem neuen Gesetz auch noch die rechtliche Basis für eine neue Datenbank schaffen. In dieses Polizeiindex genannte Instrument sollen die Namen der Personen eingetragen werden, die in mehreren polizeilichen Informationssystemen erfasst sind. Der Index würde die Behörden automatisch darüber informieren, ob bei einer anderen nationalen oder kantonalen Polizeibehörde Erkenntnisse zu einer Person vorliegen. In der Vernehmlassung waren diese Vorschläge grundsätzlich positiv aufgenommen worden. Einige Kantone fürchteten allerdings die finanziellen Konsequenzen der für die Schaffung dieses Polizeiindexes erforderlichen Vereinheitlichung ihrer eigenen Datenbanken. Gestützt auf einen Passus im revidierten Datenschutzgesetz (siehe dazu oben), welcher es ermöglicht, Datenbanken versuchsweise noch vor dem Vorliegen einer gesetzlichen Basis in Betrieb zu nehmen, startete der Bundesrat am 15. Dezember einen Pilotversuch mit diesem neuen Polizeiindex [10].
Im Sommer gab das EJPD den Vorentwurf für eine Revision des Staatsschutzgesetzes (Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit) in die Vernehmlassung. Hauptziel dieses Projekts ist es, angesichts der stark angestiegenen Gefahr des internationalen Terrorismus die Prävention zu verbessern. Zu diesem Zweck sollen die Behörden – bei Verdacht auf Terrorismus, internationalen Waffenhandel oder Spionage – auch ohne konkreten Tatverdacht Post- und Fernmeldeverkehr überwachen, Privaträume abhören und Computer durchsuchen dürfen. Die Staatsschützer erhalten allerdings nicht freie Hand beim Einsatz dieser ausserordentlichen präventiven Mittel. Das Bundesamt für Polizei muss deren Anordnung zuerst dem Bundesverwaltungsgericht zur Stellungnahme vorlegen. Dann müssen die Vorsteher des EJPD und des VBS den Einsatz bewilligen. Fällt die Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts negativ aus, müsste der Gesamtbundesrat die Überwachung beschliessen. Die Überwachung soll in der Regel nicht länger als sechs Monate dauern und, wenn kein Strafverfahren eingeleitet wird, den Betroffenen mitgeteilt werden. Trotz diesen Einschränkungen kritisierten die Datenschutzbeauftragten die mangelhafte Kontrolle der Staatsschützer und insbesondere die Möglichkeit, auch Personen zu überwachen, bei denen kein konkreter Verdacht auf strafbares Handeln besteht. Auch die übrigen Reaktionen fielen vorwiegend kritisch aus. Nicht nur die Linke, sondern auch die SVP bezweifelten grundsätzlich die Notwendigkeit der neuen Aufklärungsmittel der Nachrichtendienste [11].
In Ausführung eines Postulats der sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats aus dem Vorjahr legte der Bundesrat einen Bericht über die „effizientere Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen“ vor [12].
Der Bundesrat erliess im Juli Weisungen über die Organisation der sicherheitspolitischen Führung des Bundes. Ziel dieses Entscheides war die Stärkung der Führungsfähigkeit der Regierung. In Zukunft ist ein aus den Chefs des VBS und des EJPD gebildeter Sicherheitsausschuss des Bundes verantwortlich für die Vorbereitung der sicherheitspolitischen Entscheide des Bundesrates. Als vorberatendes Gremium dient diesem Sicherheitsausschuss eine Lenkungsgruppe Sicherheit. Sie setzt sich zusammen aus Chefbeamten von Bundesstellen, die sich mit sicherheitsrelevanten Fragen befassen  [13].
Der Einsatz von unbemannten Flugzeugen (so genannte Drohnen) zur Überwachung der Landesgrenzen und zur Entlastung des Grenzwachtkorps war nicht unbestritten. In seiner Antwort auf eine Interpellation Banga (sp, SO) über ihren versuchsmässigen Einsatz gestand der Bundesrat zu, dass diese Überflüge mit ihren Film- und Fotoaufnahmen einen Eingriff in die Privatsphäre darstellen können. Der auf die Grenzüberwachung beschränkte Einsatz dieser Drohnen sei aber als verhältnismässig zu beurteilen. Ursprünglich hatte der Bundesrat beabsichtigt, Einzelheiten beim definitiven Einsatz für die nichtmilitärische Überwachung wie etwa die Aufbewahrungsdauer der Aufnahmen und die Einsatzgebiete in einer Verordnung festzuhalten. Später sprach er sich dann für eine gesetzliche Regelung aus. Entsprechende Vorschläge für diese Bestimmungen gab er im Rahmen des Projekts Revision 09 der Armeegesetzgebung Ende Sommer in die Vernehmlassung [14].
 
[10] BBl, 2006, S. 5061 ff. (Botschaft); LT, 23.11.06 (Pilotversuch).
[11] BBl, 2006, S. 6304; Presse vom 6.7.06. Datenschützer: BaZ, 9.9.06; NZZ, 10.10.06. Parteien: NZZ, 14.10.06.
[12] BBl, 2006, S. 5693 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 20.
[13] BBl, 2006, S. 6641 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 20.
[14] Versuche: AB NR, 2005, III, Beilagen, S. 362. Siehe dazu auch SN, 9.2.06; TA, 10.2.06. Vernehmlassung: TG, 28.8.06. Siehe auch die Antwort von BR Merz auf zwei vom NR abgelehnte Motionen Schlüer und Fehr (beide svp, ZH) für eine Aufstockung des Grenzwachtkorps (AB NR, 2005, S. 600 ff.).