Année politique Suisse 2006 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique / Strafrecht
Zur Vereinheitlichung der Regeln der Zwangsanwendung bei der Ausschaffung von Ausländern siehe unten, Teil I, 7d (Flüchtlinge).
Beide Parlamentskammern genehmigten ohne Gegenstimmen das
UNO-Abkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität sowie die Zusatzprotokolle zur Verhinderung und Bestrafung des Menschenhandels und der Schlepperei
[31].
Als Zweitrat befasste sich der Nationalrat mit den Korrekturen bestimmter Bestimmungen der Ende 2002 vom Parlament verabschiedeten, aber vom Bundesrat noch nicht in Kraft gesetzten umfassenden
Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs. Bei der Verwahrung bekämpfte die Linke vergeblich die beiden beantragten Verschärfungen. Wie bereits in der kleinen Kammer stiessen sowohl die ausgeweitete Definition der Straftaten, bei welchen eine Verwahrung angeordnet werden kann (solche, die mit minimal fünf statt, wie ursprünglich beschlossen, zehn Jahren Gefängnis bestraft werden), als auch die Möglichkeit der nachträglichen, also nach der Verkündung eines Gerichtsurteils verhängten Verwahrung auf Zustimmung. Nachdem sich der Ständerat bei den wenigen noch verbliebenen Differenzen den Beschlüssen der grossen Kammer angeschlossen hatte, verabschiedete das Parlament die Zusätze in der Frühjahrssession. Der Bundesrat setzte die neuen Bestimmungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs auf Anfang 2007 in Kraft
[32].
Der Bundesrat verzichtete darauf, den
elektronisch überwachten Hausarrest für die Verbüssung kürzerer Haftstrafen in die Verordnung zum auf den 1.1.2007 in Kraft gesetzten revidierten Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs aufzunehmen und ihn damit definitiv einzuführen. Als Grund gab er an, dass eine Mehrheit der Kantone diesen ablehnten, und dass zudem mit den neuen Strafbestimmungen die kurzen Freiheitsstrafen ohnehin an Bedeutung verlören. Denjenigen Kantonen, welche diese Art des Haftvollzugs ausserhalb von Vollzugsanstalten seit mehreren Jahren praktizieren (BE, BL, BS, GE, SO, TI und VD), erlaubte er, dies weiterhin zu tun
[33].
Die Gruppe „Marche blanche“ reichte ihre 2004 lancierte
Volksinitiative „für die Unverjährbarkeit von pornografischen Straftaten an Kindern“ im März ein. In einer ersten Stellungnahme empfahl der Bundesrat das Begehren zur Ablehnung. Vor allem auch aus der Sicht der Opfer wäre es seiner Ansicht nach problematisch, wenn bei Prozessen, die sehr lange Zeit nach der Tat stattfinden, die Beweiserbringung derart erschwert wäre, dass sie mit einem Freispruch enden müssten. Die Regierung beauftragte das EJPD, einen indirekten Gegenvorschlag auszuarbeiten. Dieser könnte zum Beispiel den Beginn des Laufens der Verjährungsfrist auf das Mündigkeitsalter ansetzen. Diese Kritik des Bundesrates an der Initiative teilten auch Fachleute. Sie wiesen neben den Schwierigkeiten der Prozessführung auch auf die Unverhältnismässigkeit der Forderung hin, gilt doch das Prinzip der Unverjährbarkeit bisher allein bei Völkermord
[34].
Der Ständerat befasste sich als Erstrat mit den Vorschlägen des Bundesrats für die Umsetzung
der 2004 angenommenen Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“. In der Eintretensdebatte wurde die Option erwähnt, auf den Erlass von ausführenden Gesetzesbestimmungen zu diesem unklaren und überdies kaum menschenrechtskonformen Verfassungsartikel zu verzichten und die Auslegung den Richtern zu überlassen. Ein entsprechender Nichteintretensantrag unterblieb aber. EJPD-Vorsteher Blocher verteidigte den Erlass einer Ausführungsgesetzgebung auch mit dem Argument, dass diese eine einheitliche Rechtsanwendung ermögliche. Blocher räumte zudem ein, dass diese Bestimmungen wohl nur in ganz seltenen Einzelfällen zur Anwendung kommen würden. Den mit dem Entwurf unzufriedenen Initiantinnen gab er zu bedenken, dass auch dank ihrem Vorstoss bereits heute ein wesentlich strengeres Regime für die Verwahrungen und den Strafvollzug von gefährlichen Straftätern gelte als früher. Der Ständerat folgte, abgesehen von einigen redaktionellen Änderungen, den Anträgen des Bundesrates und hiess die StGB-Revision in der Gesamtabstimmung bei zwei Enthaltungen gut.
Eine klare Mehrheit der
Rechtskommission des Nationalrats fand hingegen, dass sich dieser Verfassungsartikel nicht menschenrechtskonform umsetzen lasse. Seine Anwendung solle deshalb den Richtern, die sich gewohnt sind, zwischen verschiedenen Rechtsgütern abzuwägen, überlassen werden. Mit 16 zu 4 Stimmen beschloss die Kommission, dem Plenum Nichteintreten zu beantragen. Die Initiantinnen lancierten eine Petition, in der sie gegen diesen Nichteintretensantrag, aber auch gegen die vom Ständerat beschlossene Version protestieren. Sie verlangten, dass der in die Verfassung aufgenommene Initiativtext vollständig und ohne irgendwelche Einschränkungen umgesetzt wird
[35].
[31]
AB SR, 2006, S. 253 f. und 618;
AB NR, 2006, S. 882 f. und 1146;
BBl, 2006, S. 5883 f. Vgl.
SPJ 2005, S. 25.
[32]
AB NR, 2006, S. 144 ff., 214 ff. und 515 f.;
AB SR, 2006, S. 251 ff. und 302;
BBl, 2006, S. 3557 ff. Siehe
SPJ 2005, S. 25 f. Für eine Kritik am Hinauszögern der Inkraftsetzung durch den BR siehe
AB NR, 2006, IV, Beilagen, S. 308 f. und 344 ff. Zu den Hauptelementen des neuen Strafrechts siehe
Bund, 19.12.06;
LT, 27.12.06;
NZZ, 29.12.06. Zum gleichzeitig in Kraft gesetzten neuen Jugendstrafgesetz siehe
NZZ, 28.12.06.
[33]
BBl, 2007, S. 375 f.;
NZZ, 30.9.06;
BaZ, 4.10.06;
Bund, 15.11. und 22.12.06. Siehe
SPJ 2005, S. 27.
[34]
BBl, 2006, S. 3657 f.;
BaZ,
Express und
24h, 2.3.06;
BaZ, 3.3.06 (Fachleute);
NZZ und
TA, 2.11.06 (BR). Siehe
SPJ 2004, S. 25.
[35]
AB SR, 2006, S. 45 ff.;
TA, 21.6.06;
Bund und
NZZ, 25.11.06 (Rechtskommission NR). Initiantinnen:
Blick, 4.12.06;
NZZ, 13.12.06. Siehe auch Daniel Jositsch, „Hürdenreiche Umsetzung“, in
NZZ, 20.2.06. Vgl.
SPJ 2005, S. 26.
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